#SXEU31 #DWAV #SYNOPTISCHE ÜBERSICHT #KURZFRIST ausgegeben am Samstag den 29.06.2024 um 18 UTC
SXEU31 DWAV 291800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 29.06.2024 um 18 UTC
SCHLAGZEILE:
Abends und nachts Schwergewitterlage; Durchzug eines oder mehrerer MCS mit
Unwetterpotenzial vor allem aufgrund von Orkanböen und (extrem) heftigem
Starkregen, anfangs auch größerer Hagel möglich.
Am Sonntag gebietsweise (mehrstündiger) Starkregen, teils gewittrig, im Osten
und Südosten im Tagesverlauf einzelne kräftige Gewitter, Unwetter nicht
ausgeschlossen, Potenzial dafür aber wesentlich geringer als heute Abend/Nacht.
Synoptische Entwicklung bis Montag 06 UTC
Aktuell … befindet sich Deutschland auf der Vorderseite eines mit einer
positiv geneigten Achse ausgestatteten Langwellentroges, der vom Nordmeer bis
zum Westen der Iberischen Halbinsel reicht, unterhalb einer relativ glatten,
anfangs über weiten Landesteilen durch WLA auch noch antizyklonal konturierten
Höhenströmung. In diese eingebettet, hat ein markanter Kurzwellentrog inzwischen
Zentralfrankreich erreicht, auf dessen Vorderseite die Höhenströmung über
Süddeutschland allmählich aufsteilt und auf Süd dreht.
Markante, aus PVA resultierende dynamische Hebung unmittelbar vor der anfangs
noch scharf gekrümmten Trogspitze hat über Frankreich im Bodenfeld eine
Zyklogenese induziert; das flache Tiefdruckgebiet „ANNELIE“ befindet sich
aktuell mit einem Kerndruck von nahe 1005 hPa knapp südlich von Paris.
Dieses Tief saugt im Warmsektor heiße und labil geschichtete, vor allem aber
feuchte Luft aus dem westlichen Mittelmeerraum an, die inzwischen auch die
gesamte Südhälfte und die Mitte Deutschlands erfasst hat, wobei die Warmfront
von ANNELIE die Grenze zur deutlich trockeneren Luftmasse (Taupunkte 10 bis 14
Grad) über Norddeutschland markiert und aktuell über den mittleren Landesteilen
allmählich nach Norden vorankommt.
Die Luftmasse im Warmsektor ist durch die kräftige niedertroposphärische WLA
(T850 hPa zwischen 19 und 23 Grad, Alpenrand durch das Überströmen und Föhn bis
25 Grad) aktuell in weiten Landesteilen noch ziemlich „gedeckelt“, dazu gesellt
sich eine gute Portion Saharastaub, entsprechend konnte sich in der Grundschicht
mangels vertikalen Austausches eine ordentliche Portion Feuchte ansammeln
(Taupunkte am späten Nachmittag häufig zwischen 19 und 23 Grad bei Temperaturen
zwischen 30 und 34 Grad). Die spezifische Feuchte in den unteren 500 m über
Grund erreicht Werte zwischen 11 und 14 g/kg, im Oberrheingraben sogar nahe 16
g/kg, PWAT 30 bis über 40 mm. Daraus resultiert für diese Region exorbitant hohe
Cape (MU) von teils über 4000 J/kg (Stuttgarter Aufstieg von 12 UTC sogar 4600
J/kg).
Auslöse war bisher (Stand: 18 Uhr) aufgrund des Deckels Fehlanzeige, was sich
allerdings im Kürze ändern sollte. Der Kurzwellentrog kommt im Laufe der Nacht
zögernd nordnordostwärts voran, erreicht morgens mit seiner Achse Belgien bzw.
den äußersten Westen Deutschlands und verliert zwar deutlich an Kontur, dennoch
wird auf seiner Vorderseite vor allem heute Abend noch ein markanter dynamischer
Hebungsimpuls wirksam, der den Deckel locker „sprengen“ sollte.
Im Bodenfeld hat sich neben Tief „ANNELIE“ an den Alpen noch ein Lee-Tief
etabliert. Beide Tiefs sind mit einer bogenförmigen Rinne verbunden, die im
Laufe der Nacht zusammen mit der feuchten und instabilen Luftmasse nordostwärt
vorankommt, wobei das Lee-Tief bis Sonntagfrüh nordwärts nach Vorpommern und
„ANNELIE“ nordostwärts in etwa nach Rheinland-Pfalz zieht, sich dabei aber mehr
und mehr auffüllt.
Auf diese Tiefdruckrinne dürfte sich in den kommenden Stunden hauptsächlich die
konvektive Aktivität konzentrieren. Nach wie vor ist unklar, wie das Ganze im
Detail vonstatten geht. Unzweifelhaft sind aber die sich mit annäherndem
Kurzwellentrog verbessernden Scherungsbedingungen. DLS (0 bis 6 km) steigt auf
25 bis 30 m/s, LLS in den unteren 1 bis 2 km auf 10 bis über 15, lokal auf nahe
20 m/s, wobei eine deutliche Richtungsscherung in den untere 1 bis 2 km
auszumachen ist, die Hodografen in den Prognosetemps weisen vor allem im
Südwesten und in der Mitte eine teilweise scharfe Krümmung auf.
Somit sind alle Zutaten für eine außergewöhnliche Schwergewitterlage bis weit in
die Nacht hinein gegeben. Die Konvektion erlaubenden Modelle zeigen allerdings
auch aktuell noch ein ganzes Potpourri an Lösungen, was die Prognosen weiterhin
deutlich erschwert. Den aktuellen Zustand hat wohl I-D2 noch am besten
abgebildet. Nach dessen Lesart ziehen erste, noch halbwegs „harmlose“ Schauer
und Gewitter, die aktuell auch schon den Südwesten des Landes erreicht haben, in
den kommenden Stunden über den äußersten Westen (Saarland, Rheinland-Pfalz,
westliches NRW) allmählich nordwärts. Aus den Alpen heraus greifen inzwischen
auch dichte Wolken und leichte Regenfälle eines ehemaligen MCS auf
Baden-Württemberg und Südbayern über und dürften dort wohl Schlimmeres
verhindern.
Kräftige Entwicklungen entlang der Warmfront über den mittleren Landesteilen,
wie sie das SuperHD, vor allem aber das AROME auf der Agenda haben bzw. hatten
sind (bisher) ausgeblieben.
An der Vordergrenze der von Nordostfrankreich auf Südwestdeutschland
übergreifenden Tiefdruckrinne dürfte sich dann aber im weiteren Verlauf über den
Vogesen aus ehemals kräftigen und teils auch rotierenden Einzelzellen ein
mesoskaliges System entwickeln, das gegen 20 Uhr eventuell schon den äußersten
Westen Baden-Württembergs erfasst, etwas später jedoch mit größerer
Wahrscheinlichkeit weite Teile des Saarlandes und Rheinland-Pfalz, eventuell
noch Nordbaden. Sollte es dabei noch zu Einzelentwicklungen kommen, so ist das
Potenzial für längerlebige Superzellen hoch und neben(extrem) heftigen
Starkregen und Sturmböen muss auch mit größerem Hagel um 5 cm gerechnet werden.
Das System selbst dürfte ein oder mehrere Bow Echos aufweisen; vor allem dort,
wo unmittelbar im Vorfeld der Wind senkrecht auf das sich nähernde System
gerichtet ist, besteht die Gefahr eines intensive Rear Inflow Jets. Böen bis 120
km/h (Bft 12) wären dann lokal die Folge, vereinzelt auch bis 140 km/h, zudem
muss dabei auch noch mit 1 bis 3 cm Hagel gerechnet werden, was das
Schadenspotenzial eines solchen Systems noch einmal drastisch erhöht. An den
Enden eines Bow Echos können auch die Entwicklung eines oder mehrerer Bookend
Vortices und somit kurzlebige Tornados nicht ganz ausgeschlossen werden.
Zunehmend in den Fokus gerät dann im weiteren Verlauf des Abends und der Nacht
mit Intensivierung des MCS, der ein ausgeprägtes Eigenleben aufweist der damit
einhergehende lokal extrem heftige Starkregen. Innerhalb kurzer Zeit können
durchaus 30 bis 40 l/qm zusammenkommen, innerhalb mehrerer Stunden auch um die
60 l/qm oder gar mehr.
Ob es ein oder zwei MCS werden, ist noch unklar (I-D2 von 12 UTC simuliert zwei
Systeme, SuperHD von 06 UTC erst einmal eines, das aber im Laufe der Nacht in
grob drei Bow Echos zerfällt). Wie auch immer, die oder das MCS schlagen einen
Nordnordostkurs ein und weiten sich dabei auch etwas nach Osten aus, so dass
neben den mittleren Landesteilen im weiteren Verlauf der Nacht und in den Früh-
bis Vormittagsstunden des Sonntags auch der Norden und Nordosten betroffen sein
dürften. Ale Begleiterscheinung steht dann aber aufgrund der allmählichen
Stabilisierung der Grundschicht mehr und mehr der Starkregen im Fokus, wobei es
auch in der zweiten Nachthälfte durchaus noch zu (schweren) Sturmböen kommen
kann.
Trocken bleibt es voraussichtlich im Südosten Bayerns, wo zunächst noch lange
der Föhn gegenhält (Böen Bft 8 bis 10 auf den Alpengipfeln) sowie in Teilen der
Osthälfte und im Nordseeumfeld. In den äußersten Westen und Nordwesten sickert
rückseitig der Rinne von Norden her allmählich kühlere und stabilere Luft, so
dass es dort kaum für Gewitter reichen sollte. Nach Abzug des MCS klingen die
Niederschläge ebenfalls deutlich ab, ein paar Schauer sind aber noch möglich.
Im Osten und Süden verläuft die Nacht nochmals sehr mild bis unangenehm warm mit
Tiefstwerten zwischen 22 du 17 Grad, im Nordwesten wird es mit 18 bis 14 Grad
schon etwas frischer.
Sonntag … schwenkt der weiter an Kontur verlierende Kurzwellentrog über das
Vorhersagegebiet hinweg allmählich ostnordostwärts, wodurch die Höhenströmung
auf Westsüdwest dreht.
Tief „ANNELIE“ bzw. das darin aufgehende ehemalige Lee-Tief zieht allmählich
nach Südostschweden und kann sich noch auf einen Kerndruck von etwa 997 hPa
vertiefen. Mit Abzug des MCS (am frühen Vormittag eventuell noch mit
unwetterartigem Starkregen ganz im Norden/Nordosten) und einer damit
einhergehenden, bis zu den Alpen reichenden und rasch nach Osten ziehenden
Druckwelle wird die potenziell instabilste Luftmasse am Vormittag auch im Osten
und Südosten rasch ausgeräumt. Die folgende Kaltfront von ANNELIE befindet sich
morgens über dem Nordwesten Deutschlands und kommt mangels Schubkomponente nur
sehr langsam südostwärts voran. Sie kann über dem Westen und der Mitte des
Landes noch längere Zeit verwellen und schleifen. Der Trog bietet nach wie vor
noch einen dynamischen Hebungsimpuls, dazu gesellt sich ein markanter Windsprung
(von Südwest auf Nordwest), zudem weist die Luftmasse immer noch hohe PWAT von
über 30 mm auf und etwas MU-Cape, so dass es im Frontbereich zu weiteren
schauerartigen, teils auch gewittrigen Regenfällen kommt. I-D2-EPS hat die
höchsten Wahrscheinlichkeiten für warnrelevante Mengen von West nach Ost über
den mittleren Landesteilen (etwa Saarland, Rheinland-Pfalz, Süd-NRW bis
Westsachsen, Sachsen-Anhalt) auf der Agenda. Die Signale für Unwetter sind
dagegen nur noch sehr gering.
Präfrontal nimmt zwar die Druckwelle einiges an „Luft“ raus, dennoch kann sich
die Luftmasse durch Einstrahlung trotz des Entrainments etwas trockenerer und
stabilerer Luft im Osten und Südosten nochmals etwas regenerieren, immerhin
handelt es sich nach wie vor um eine ehemals subtropische Luftmasse mit 12 bis
16 Grad in 850 hPa und PWAT über 35 mm. Gebietsweise können nochmals mehr als
500 J/kg ML-Cape generiert werden.
Zur Auslöse dürfte der dynamische Antrieb (vor allem mit Unterstützung durch die
Orographie) reichen. Wie verbreitet, ist dagegen noch unklar. Erneut simuliert
SuperHD deutlich mehr Konvektion als I-D2, beiden gemein ist aber ein
kräftigeres System an den Alpen. Wie auch immer, man kann schon davon ausgehen,
dass es etwa von Vorpommern bis zum Erzgebirge und weiter nach Ost- und
Südbayern für einzelne kräftigere Gewitter reicht. Die Begleiterscheinungen
(Starkregen, Hagel, Sturmböen) spielen sich weitgehend im markanten Warnbereich
ab, einzelne Unwetter bzgl. Hagel oder Starkregen nicht ausgeschlossen.
Warnrelevant ist auch der Wind, vor allem präfrontal kommt es im Osten und
Süden, anfangs auch noch in den mittleren Landesteilen vorübergehend zu einer
Gradientverschärfung. Die Folge sind auch außerhalb der Gewitter einzelne
steife, in freien und höheren Lagen auch stürmische Böen aus Südwest, auf
einigen Mittelgebirgsgipfeln kann es Sturmböen geben. Mit Frontpassage dreht der
Wind auf Nordwest und flaut rasch ab.
Postfrontal folgt subpolare Meeresluft mit etwa 8 Grad in 850 hPa, die deutlich
stabiler geschichtet ist und auch allmählich abtrocknet, so dass es im Westen
und Nordwesten vorübergehend seltener Schauer gibt bzw. ganz trocken bleibt.
Gegen Abend greift aber die Hauptachse des Langwellentroges auf die mittlere und
südliche Nordsee über, im Vorfeld gibt es erneut Schauer und kurze Gewitter, die
abends eventuell schon die westgrenze Deutschlands erreichen.
Während es im Südosten und Osten mit 26 bis 32 Grad noch einmal sehr warm wird,
stehen im Rest des Landes Höchstwerte zwischen 19 du 24 Grad zu Buche.
In der Nacht zum Montag greift die Hauptachse des Langwellentroges auf Benelux
und den Westen Deutschland über. Die Kaltfront kann nun deutlich an Fahrt
aufnehmen und überquert bereits in der ersten Nachthälfte auch den Osten und an
den Alpen mit schauerartigen Regenfällen (anfangs vereinzelt noch Gewitter)
rasch südostwärts ab.
Im Westen und Nordwesten dagegen nehmen mit Annäherung des Troges und dem von
ihm ausgehenden dynamischen Hebungsantrieb die schauerartigen Regenfälle wieder
zu, MU-Cape steht nach wie vor etwas zur Verfügung, so dass durchaus auch
einzelne kurze Gewitter dabei sein können. Vor allem von Rheinland-Pfalz und dem
südlichen NRW bis nach Mittel- und Nordhessen haben die Konvektion erlaubenden
Modelle durchaus auch wieder Signale für mehrstündigen Starkregen auf der
Agenda.
Schauer und kurze Gewitter gibt es durchaus auch im Nordseeumfeld, während sich
sonst im Norden und auch im Südosten und Osten nach Abzug der Schauer eine
gewisse Wetterberuhigung einstellt.
Die 850 hPa-Temperatur sinkt sukzessive auf Werte zwischen 4 Grad im Nordwesten
und 9 Grad an den Alpen, entsprechend kann man bei Tiefstwerten zwischen 16 und
10 Grad mal wieder gut durchlüften.
Synoptische Entwicklung bis Dienstag 06 UTC
Montag … ist den Ausführungen in der Frühübersicht nichts hinzuzufügen. Morgen
dann mehr.
Modellvergleich und -einschätzung
Die Modelle unterscheiden sich, die synoptischen Basisfelder betreffend, kaum.
Die Unterschiede bzgl. der konvektiven Aktivität in der kommenden Nacht wurden
im Text angesprochen.
Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Winninghoff