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S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 02.01.2024 um 18 UTC

SCHLAGZEILE:
Sturmtief ANNELIE sorgt für Sturm und viel Regen (örtlich UNWETTER), auf den
Nordseeinseln teils für orkanartige Böen (ebenfalls UNWETTER). Bis Donnerstag
zögernde Abschwächung und von Norden allmählich kälter.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 06 UTC

Aktuell … dreht sich alles um das intensive Sturmtief ANNELIE, das um 18 UTC
mit einem Kerndruck etwas unter 975 hPa Ostengland verlassen und die Doggerbank
erreicht hat. Im Vorfeld haben wir bis zu 80er Druckfall (8 hPa binnen 3 h) zu
verzeichnen. Das Tief weist eindeutige Züge einer Shapiro-Keyser Zyklone (T-Form
mit gut ausgeprägtem Wolkenkopf der Warmfront und schlechter definierten
Kaltfront, warmer Kern, Ansätze eines Sting Jets an der Südwestflanke), ist
letztlich wohl eine hybride Form mit Zügen auch klassischer Zyklonen. In diesen
Minuten erreicht das Tief auch seinen vorläufigen Höhepunkt. Zwar fächert die
anfangs noch recht glatte Strömung in der Höhe gerade vorderseitig in den
kommenden Stunden deutlich auf (in 500 hPa stärker als in 300 hPa), die
thermischen Gegensätze werden allerdings immer mehr abgebaut und damit
allmählich auch der warme Kern.

Gerade der scharfe Gradient an der Südflanke bereitet doch einige Sorgen: So
unterschätzt das ICON-D2 die Böen aktuell um etwa 1 Bft, immerhin hat sich aber
ICON im 12z Lauf angepasst. Über dem Kanal und unmittelbar an der Südküste
Englands treten doch relativ verbreitet nicht nur schwere Sturmböen, sondern
auch orkanartige Böen und Orkanböen auf. Dort wirken die Böenprognosen von IFS
und UK10 profunder. Immerhin bestätigt die Region des aktuell stärksten
Druckfalls die erwartete Zugbahn bis morgen Früh über die südwestliche Nordsee
und Deutsche Bucht hinweg bis dicht vor Sylt. Das bedeutet gerade in der zweiten
Nachthälfte ein erhöhtes Potential für orkanartige Böen auf den Ostfriesischen
Inseln, exponiert vielleicht sogar Orkanböen um 120 km/h. Im Binnenland sollten
die Warnungen mit Bft 8-9, exponiert Bft 10 erstmal ausreichend sein.

Um den Wind gleich komplett abzuhandeln: Mit weiterer Annäherung des Sturmtiefs
kommt es an der Südflanke postfrontal des zunehmend okkludierenden
Frontensystems über der Südwesthälfte verbreitet zu Sturmböen zwischen 70 und 80
km/h (Bft 8-9), im Laufe der Nacht bis etwa zur Elbe ausweitend. Auch hier
schaut die deutsche Modellkette teilweise etwas zu vorsichtig aus. Im höheren
Bergland treten schwere Sturmböen, auf exponierten Gipfeln (Feldberg, Brocken)
Böen bis Orkanstärke auf.

An auflandigen Küstenabschnitten and er Ostsee treten Sturmböen (Bft 8-9) aus
östlichen Richtungen auf (v.a. Nordspitze Rügens, Fehmarns sowie Richtung Kieler
und Eckernförder Bucht). Mit Frontpassage zum Morgen und Winddrehung auf Süd
lässt der Wind dort tendenziell nach.

Darüber hinaus regnet es weiter. Die Bilanz fällt jetzt schon vergleichsweise
üppig aus mit 24h Summen, die in sämtlichen Weststaulagen der Mittelgebirge
bereits 30 l/qm überschritten haben. In einem breiten Streifen von Niedersachsen
und NRW bis zum Bayerischen Wald hat es flächendeckend 10-20 l/qm, lokal bis 30
l/qm gegeben. Vor allem im Bereich des Wolkenkopfes sowie der in der Höhe
rumgeholt Warmluft, der nach Norden hin langsam ausgebremsten Front kommen bis
morgen Früh über Norddeutschland und im Weststau der Mittelgebirge weitere 10
bis 20 l/qm dazu, von Ostfriesland bis nach Schleswig teils um die 30 l/qm, was
durch die bestehenden Dauerregenwarnungen abgefangen wird. Eine Ausweitung bis
nach Mecklenburg-Vorpommern ist bereits erfolgt.

Postfrontal setzt sich auch im Nordosten mildere Atlantikluft mit T850 um oder
knapp über 0°C durch, weshalb die Schneephase selbst in den Kammlagen kein Thema
mehr ist. Da es gleichzeitig in der Höhe etwas abkühlt (T500 hPa <-25°C)
entwickeln sich in der zunehmend labil geschichteten Luftmasse vor allem über
der Mitte und im Süden zahlreiche Schauer. In der milden Luftmasse bleibt es bei
guter Durchmischung frostfrei, die Minima liegen meist zwischen 10 bis 3°C,
wobei es im Nordosten eher im Verlauf etwas milder wird.

Mittwoch … nistet sich ANNELIE mehr oder weniger über Jütland respektive Fünen
unweit zur Deutsch-Dänischen Grenze ein. Entgegen der Frühberechnungen ist nun
auch vom ICON eine Verlagerung bis nach Rügen verworfen worden. An der
Nordflanke sorgt es in weiten Teilen Dänemarks und Südschwedens für anhaltende
Schneefälle. Wir verbleiben (vorerst nach auf der milden Südflanke.

Die Höhenströmung, die sich über dem Süden anfangs recht glatt und
zonal orientiert präsentiert, weist über dem Norden zwei recht markante
kurzwellige Anteile auf. Der östlichere überläuft das Bodentief, was zu
Druckanstieg führt, so dass sich das Tief bis zum Abend allmählich bis auf einen
Kerndruck von 980 hPa abschwächt. Der zweite Kurzwellentrog überquert England
und zieht in die südliche Nordsee, wobei er auch weiter nach Süden in Richtung
Frankreich ausgreift (mehr dazu gleich). Da seine Hebungsprozesse über der
südlichen Nordsee für Druckfall sorgen, etabliert sich dort zum Abend ein
weiteres kleines Tief, so dass insgesamt eine von der westlichen Ostsee (bis
dahin greift die Front nordwärts aus) über Jütland und die südliche Nordsee bis
zu den Hebriden reichende Tiefdruckrinne ausbildet.

An dessen Südflanke bleibt es nicht nur vorerst mild, sondern in der wiederholt
um das Tief geführten Warmluft in Küstennähe auch bei skaligen Regenfällen, die
allerdings tendenziell aufgrund mangelnder Dynamik in der Höhe im Tagesverlauf
etwas nachlassen. Von Rügen bis nach Hamburg kommen binnen 12 h dennoch weitere
10, lokal bis 20 l/qm zusammen.

Im großen Rest des Landes dominiert eher der konvektive Charakter, was nicht
bedeutet, dass bezüglich Dauerregen/Hochwasser bereits Entwarnung angesagt ist.
So bleibt die Labilität angesichts limitierter Höhenkaltluft von bis zu -28°C
und T850 um oder etwas über 0°C zwar überschaubar (daher nur sehr geringe
Gewitterneigung), die zwei erwähnten Kurzwellentröge sorgen jedoch immer wieder
für schwache Hebungsimpulse. Dadurch bleibt die Schauertätigkeit mehr oder
weniger beständig aufrecht mit Schwerpunkten am späten Vormittag über der Mitte
(vorlaufender Randtrog) und am Nachmittag und Abend im Westen und Südwesten
(zweiter Trog). Vor allem im Weststau der Mittelgebirge kommen dadurch bis zum
Abend weitere 10 bis 20 l/qm zusammen, abseits davon meist einstellig. Von der
Börde bis zur Neiße und auch südlich der Donau fallen dagegen nur vereinzelt
schwache Schauer.

Am Temperaturniveau sind wieder keine größeren Sprünge zu erwarten. Erneut
wartet ein milder Januartag mit 6 bis 13°C auf uns, wobei mit Winddrehung auf
Nord die Temperatur in Schleswig bis zum Abend auf nahe 0°C zurückgeht.

Auf der Südflanke der Rinne bleibt der Gradient anfangs weiterhin so gedrängt,
dass verbreitet steife bis stürmische Böen (Bft 7-8) auftreten. Vor allem in
Schauernähe und im Bergland sind auch nach wie vor Sturmböen (Bft 9) mit dabei
(exponierte Gipfel: orkanartige Böen). Mit allmählicher Abschwächung des Tiefs
fächert der Gradient zum späten Nachmittag und Abend von Norden etwas auf, so
dass der Wind neben dem Tagesgang auch allgemein nachlässt. Spannend bleibt noch
die kleinräumige giftige Südflanke des Tiefs, wo es am Vormittag von den
ostfriesischen Inseln bis zur Elbmündung und zu den Halligen durchaus noch etwas
ruppiger mit schweren Sturmböen oder orkanartigen Böen (Bft 10-11) zur Sache
gehen kann. ICON-D2 EPS simuliert immerhin Wahrscheinlichkeiten bis zu 30% für
Böen > 11 Bft im küstennahen Umfeld. Im nordfriesischen Binnenland reicht es
wohl abgeschwächt meist „nur“ noch für 9er Böen bis zum Nachmittag.

In der Nacht zum Donnerstag wird das sich weiter abschwächende Tief im Bereich
der Dänischen Grenze weiterhin durch das umfangreiche winterliche Hoch über
Skandinavien blockiert. Infolge des ostwärts durchschwenkenden Randtrogs an
dessen Südflanke effektiv wohl doch ein Stück südostwärts Richtung Fehmarn
verfrachtet. Letztlich ist das aber noch mit großen Unsicherheiten verbunden,
wobei sich auch immer noch Lösungen finden, die es bis zum Oderhaff ziehen
lassen (UK10 sogar bis Polen, ICON zumindest mit Dipol). Letztlich sind diese
Details aber „nur“ für die Windentwicklung von besonderer Bedeutung, da
kleinräumig an Bereich von Nord- und Ostseeküste stürmische Böen erst aus
Südwest, rückseitig aus Nord möglich sind. Dort wird dann auf Umwegen auch
polare Festlandsluft aus Skandinavien angezapft mit Rückgang der 850er
Temperaturen auf -5 bis -8°C. Stromauf schließt sich ein flacher Rücken über
Frankreich an.

Ansonsten ist die Nacht geprägt vom breiten, durchschwenkenden Randtrog mit
einer regen Schauertätigkeit, aufgrund der hohen wenn auch etwas nachlassenden
Scherung teils linien- oder kommahaft organisiert. Es sind zwar nicht mehr die
ganz großen Regenmengen damit verbunden, unterm Strich läppert es sich aber mit
weiteren 10 bis 20 l/qm binnen 12 h vor allem an den Westrändern der
Mittelgebirge. Damit erreichen wir Größenordnungen von 30-50, im Bergland bis 70
l/qm was mehr oder weniger auch in den Warnungen verschlüsselt wurde.

Oberhalb von etwa 1200 bis 1300 Meter sowie zunehmend auch in Schleswig-Holstein
auf der Rückseite des Tiefs fällt Schnee. Bei oft nur schwachen
Niederschlagsintensitäten, einer milden Vorgeschichte und noch recht anständigen
Durchmischung ist Glätte durch Schneematsch aber noch nicht sonderlich
wahrscheinlich.

Durch den Druckanstieg über Frankreich bleibt der Gradient (abgesehen vom
unmittelbaren Randbereich des Tiefs an der Ostsee) vor allem in der Südhälfte
halbwegs aufrecht mit steifen Böen (Bft 7), im Bergland und im Alpenvorland
durch Leitplankeneffekt auch stürmischen Böen (Bft 8) aus Südwest bis West.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 06 UTC

Donnerstag … Infolge eines neuerlichen Trogvorstoßes zur Biskaya kann sich der
Rücken über Frankreich noch etwas kräftigen und wir gelangen von Westen auf
dessen Vorderseite. Damit lässt die Niederschlagstätigkeit zwar nach, kommt aber
nicht gänzlich zum Erliegen.

Vor allem in einem Streifen vom Münsterland über Thüringen bis zum Erzgebirge
hält sich eine feuchte und labil geschichtete Luftmasse mit schauerartigen
Regenfällen mit Mengen der Größenordnung 5 bis 10 l/qm, nur vereinzelt darüber.
Trotz allgemeiner Wetterberuhigung und Druckanstiegs von Norden und Süden, wird
diese „Schwachstelle“ modellübergreifend recht einheitlich simuliert. Ob das
eine Verlängerung der Dauerregenwarnungen rechtfertigt, wird in der Folge zu
diskutieren sein. Insbesondere vor dem Hintergrund, da in der Nacht zum Freitag
aus Südwesten neuerliche Regenfälle (wenn auch nicht so intensiv und langlebig
wie aktuell) drohen. Ansonsten gibt es zu den Schilderungen aus der
Frühübersichten keine wesentlichen neuen Erkenntnisse.

Modellvergleich und -einschätzung

Bezüglich der Zugbahn des Tiefs mitsamt Böenprognose haben sich die Modelle
inzwischen angeglichen, auch wenn ICON-D2 im Ausgangszustand noch immer etwas zu
schwach daherkommt. Ab Mittwochnachmittag gibt es dagegen noch größere
Unsicherheiten mit Südostverlagerung des Tiefs, was dann da in Abschwächung
begriffen, nicht mehr die ganz großen Auswirkungen auf Warnungen und Vorhersage
hat.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Robert Hausen