SXEU31 DWAV 191800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 19.12.2023 um 18 UTC

SCHLAGZEILE:
Zunehmend stürmisch mit Höhepunkt am Donnerstag/Freitag. Dabei wohl Minimum
schwere Sturmböen in weiten Landesteilen, an der See und im höheren Bergland
Orkanböen. Dazu viel Regen, in Staulagen der Mittelgebirge teils unwetterartige
Mengen. Im Bayerischen Wald noch länger Schnee.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 06 UTC

Aktuell … erfolgt gewissermaßen der Prolog zu sehr niederschlagsreichen und
stürmischen letzten Tagen vor Weihnachten. Dabei greift derzeit ein Höhentrog
von der Nordsee auf das Vorhersagegebiet über. Diesem ist am Boden ein (über den
Tag noch leicht schleifendes) Frontensystem vorgelagert, dessen
Niederschlagsband sich in einem breiten Streifen von Ems und Lahn sich bis zu
Oder und Neiße erstreckt. Durch den südwärts vorstoßenden Höhentrog wird dieses
in den nächsten Stunden beschleunigt auch über die Mitte bis in den Süden des
Landes geführt. In den Frühstunden erfasst es auch die Alpen. Die Front, die
gewissermaßen als maskierte Kaltfront agiert, wird niedertroposphärisch von
seichter KLA überlaufen, die 850 hPa-Temperatur sinkt bis Mittwochfrüh auf -4
Grad im Norden und 0 Grad an den Alpen. Entsprechend kann es vor Abklingen der
Niederschläge vor allem in den zentralen und östlichen Mittelgebirgen, in der
zweiten Nachthälfte dann auch im Hochschwarzwald und in den ostbayerischen
Mittelgebirgen oberhalb von etwa 600 bis 800 m etwas schneien, mehr als 1 bis 5
cm Neuschnee sollten aber kaum zusammenkommen (allenfalls in Staulagen des
Bayerischen Waldes).

Im Südosten Bayerns sinkt die Temperatur bis in tiefe Lagen vor Eintreffen der
Niederschläge in den leichten Frostbereich. Nicht auszuschließen, dass gerade
bei leichten Niederschlagsintensitäten mit Beginn des Ereignisses und sowie beim
Abklingen örtlich auch mal gefrierender Regen mit Glatteis auftreten kann
(ICON-D2). Nach Top-Down Methode am ehesten am frühen Vormittag postfrontal. Es
stellt sich allerdings ohnehin die Frage, ob die kurze Frostphase in den
kommenden Stunden überhaupt für entsprechend kalte Beläge ausreicht, bevor durch
die aufziehende Bewölkung wieder genug Gegenstrahlung einsetzt.

Ansonsten kommen mengenmäßig in der Mitte und im Südwesten 5 bis 15 l/qm
zusammen, das meiste fällt in den Staulagen. Aufsummiert über den Zeitraum 12
bis 00 UTC ergeben sich für die Staulagen im Bergischen Land Regenmengen nahe
der Warnschwellen um 25 l/qm (Stand 17 UTC haben wir bereits Stationen mit über
10 l/qm binnen 6 Stunden, laut Radar punktuell um 15 l/qm), weshalb kleinräumig
gewarnt wurde. Es regnet die nächsten Stunden weiter mit Raten von 2-3 l/qm/h,
weshalb das einigermaßen passen sollte.

Postfrontal lassen die Niederschläge zunächst rasch nach, ehe es im Küstenumfeld
mit Übergreifen des Höhentroges (-33 Grad in 500 hPa) in der
zweiten Nachthälfte vermehrt Schauer gibt. Auch kurze Gewitter mit Graupel und
Sturmböen sind dann nicht ausgeschlossen.

Warnrelevante Böen beschränken sich auf die Gipfellagen mit (Bft 8 bis 9) aus
West. Nach kurzer postfrontaler Windabnahme frischt er im Nordwesten dagegen mit
Annäherung und Passage eines Bodentroges vor allem ausgangs der Nacht wieder
auf. Im Nordseeumfeld sowie vom Darß bis zur Nordspitze Rügens gibt es steife
bis stürmische Böen, über der offenen Nordsee morgens zunehmend auch Sturmböen
aus West bis Nordwest.

Die Tiefstwerte liegen bei milden 6 bis 2 Grad, in Kammlagen sowie im Südosten
Bayerns um den Gefrierpunkt oder knapp darunter.

Mittwoch … schwenkt der Höhentrog bereits am Vormittag rasch über Deutschland
hinweg ostwärts. Dahinter stellt sich eine stramme und recht glatte
nordwestliche Höhenströmung ein, innerhalb derer in 300 hPa der Jet zum Abend
hin über die Nordsee hinweg auf die Deutsche Bucht gerichtet ist und bereits
Geschwindigkeiten über 100 kt erreicht.
Mit Durchschwenken des Höhen- und eines daran gekoppelten Bodentroges verlagern
sich die Schauer bis zum Nachmittag über die Osthälfte und die Mitte hinweg
ostsüdostwärts. Die Labilität reicht für Gewitter wohl kaum aus, am ehesten
reicht es von Schleswig-Holstein bis nach Vorpommern mal für einen vereinzelten
Blitz. Eher ist auch mal Graupel mit im Spiel. Zudem ist aufgrund der
hervorragenden Scherungsbedingungen (DLS locker 30-40 m/s, LLS bis 20 m/s) und
einer gut definierten Höhenkaltfront linienhaften Bogensegmenten bei den
Schauerstaffeln auszugehen, worauf wir gleich in der Windbetrachtung noch näher
eingehen.

Postfrontal folgt unmittelbar ein Keil des inzwischen imposanten und mit einer
großen 1050 hPa-Kernisobare ausgestatteten Hochdruckgebietes bei den Azoren, der
über Frankreich bis nach Süddeutschland (1020 hPa) reicht. Somit verliert die
Front an den Alpen angekommen an Wetteraktivität und die Niederschläge klingen
zum Nachmittag ab. Bis zum Mittag fallen lediglich an den Alpen (> rund 1000 m)
noch einige Zentimeter Neuschnee. Mit zunehmender Abtrocknung von oben kann es
anschließend bis auf über 1000 m teils gefrierenden Nieselregen geben. In
eventuellen Kaltluftseen ganz im Südosten kann anfangs ebenfalls gefrierender
Regen nicht ausgeschlossen werden.

Trogrückseitig verstärkt sich im Tagesverlauf rasch wieder mitteltroposphärische
WLA und von Nordwesten her greift die weit nach Südosten reichende Warmfront
einer von der Irmingersee zum Seegebiet südlich Islands ziehenden Frontalwelle
bis zum Abend auf den Nordwesten Deutschlands über. Somit bleibt es dort auch
nach Abzug der Schauer meist bedeckt und bereits am Nachmittag setzt von der
Nordsee her skaliger Regen ein, allerdings zunächst mit meist leichter
Intensität.

Da der nach Süddeutschland gerichtete Bodenhochkeil zunächst kaum abgebaut wird,
kann sich mit Durchschwenken des Bodentroges und später auch mit Annäherung der
Warmfront der Gradient nun auch in den mittleren Landesteilen verschärfen. Somit
dürfte es über der Norddeutschen Tiefebene bis hin zum zentralen
Mittelgebirgsraum verbreitet steife bis stürmische Böen geben, letztere vor
allem in Leelagen sowie in Verbindung mit kräftigeren Schauern. Angesichts einer
in unteren Schichten guten Durchmischung und Oberwinden von teils 50 kt in 850
hPa verwundert die gedämpfte Haltung der Modellwelt da etwas. Auch das ICON-D2
ist ziemlich schwach aufgestellt mit nur sehr geringen Signalen für Böen 8 Bft
im Lee des Thüringer Waldes sowie am Erzgebirge. Immerhin simulieren SuperHD und
AROME in Spuren 70-80 km/h, was auf lokaler Ebene mehr als realistisch ist. Die
volle Durchmischung findet mehrheitlich glücklicherweise wohl vorerst nur bis
900 hPa statt, wo rund 35 kt erreicht werden. In den Kamm- und Gipfellagen der
Mittelgebirge und der Alpen gibt es verbreitet stürmische Böen bzw. Sturmböen,
auf exponierten Gipfeln schwere Sturmböen. Im Westen und Südwesten flaut der
Wind nachmittags allerdings mit Stabilisierung der Luftmasse ab, später dann
auch im Norden.

Während die 850 hPa-Temperatur am Nachmittag und Abend auch im Südosten auf etwa
-4 bis -5 Grad zurückgeht, steigt sie dann im Nordwesten bereits wieder auf etwa
-1 Grad an. Somit liegen die Höchstwerte innerhalb der überwiegend gut
durchmischten Luftmasse meist zwischen 4 und 9 Grad, lediglich in höheren
Mittelgebirgslagen und in den Kältelöchern im Südosten etwas darunter.

In der Nacht zum Donnerstag gerät die Frontalwelle auf ihrem Weg nach Südosten
allmählich unterhalb des linken Jetausgangs und kann sich vertiefen. Sie kann
zudem noch mit einem markanten Kurzwellentrog günstig interagieren und schlägt
in den Frühstunden als Sturmtief mit unter 970 hPa vor Kap Svinöy auf. Die
Warmfront überquert bis Donnerstagfrüh weite Teile des Vorhersagegebietes
südostwärts, wobei sich an ihr eine Frontalwelle entwickelt, die sich morgens im
Bereich Nordpolens befindet.

Mit Frontpassage bzw. präfrontal gibt es verbreitet meist leichte Niederschläge,
die sich an den West- bzw. Nordwesthängen der Mittelgebirge stauen und dort
recht erkleckliche Mengen bringen. Vor allem für den Harz deutet sich ein
Überschreiten der Warnkriterien für Dauerregen an; da es in weiterer Folge immer
wieder zu Niederschlägen kommt, dürften auch die übrigen Mittelgebirge mit
entsprechenden Warnungen bedacht werden. , hier und da werden, aufsummiert bis
Freitagfrüh, eventuell Unwetterkriterien überschritten. Ob und wo das der Fall
sein wird, und ob es auch abseits der Berge für Dauerregen reicht, steht noch
nicht wirklich fest.

Interessant wird es im Laufe der Nacht auch, wenn die Niederschläge auf das noch
stattliche niedertroposphärische Kaltluftpolster im Südosten des Landes treffen.
Vor allem im Bayerischen Wald schneit es zunächst teils bis in tiefe Lagen,
selbst um 06 UTC steigt die 850 hPa-Temperatur erst auf -3 Grad, so dass es im
Luv dort noch bis fast noch nach ganz unten schneien könnte. Zwölfstündig werden
dort gebietsweise mehr als 20 l/qm simuliert, somit ist in Lagen oberhalb von
etwa 600 bis 800 mit zumindest markanten Schneefällen zu rechnen, Unwetter (nach
Lesart des ICON-EU) nicht ausgeschlossen. In den übrigen Mittelgebirgen steigt
die Schneefallgrenze dagegen allmählich auf 800 bis 1000 m. Darüber dürften
meist wohl „gelbe“ Warnungen reichen. Frost dürfte in der Nacht keine Rolle
spielen.

Gleichwohl aber der Wind, der mit Verstärkung und Annäherung des Tiefs vor allem
im Warmsektor wieder deutlich zulegt. Außer im Nordosten gibt es in den
Niederungen vielerorts steife Böen, in mittleren Höhenlagen auch stürmische Böen
aus Südwest, über der offenen Nordsee auch Sturmböen. In den Kamm- und
Gipfellagen der Mittelgebirge und der Alpen muss verbreitet mit Sturmböen
gerechnet werden, auf exponierten Gipfeln auch mit schweren Sturm- bzw.
orkanartigen Böen.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 06 UTC

Donnerstag … hat das Tief im neuesten 12z Lauf über dem Oslofjord noch eine
zusätzliche 965 hPa Isobare im Kern bekommen, der Gradient über Deutschland wird
aber nahezu identisch berechnet. Insofern haben die Erkenntnisse aus der
Frühübersicht weiterhin Bestand. Mit Höhepunkt des Sturms ist bei Passage der
Kaltfront in den Abendstunden zu rechnen. Dabei muss im Binnenland bis in tiefen
Lagen mit schweren Sturmböen gerechnet werden, in Küstennähe sowie im höheren
Bergland mit orkanartigen Böen und Orkanböen.

Auch der Niederschlag bleibt weiterhin ein Thema. Bis Freitagfrüh kommen
24-stündig weitere 10 bis 20, in Nordweststaulagen der Mittelgebirge 30 bis 50
l/qm hinzu, wobei ein Großteil davon vor allem im Bayerischen Wald sowie in den
Alpen oberhalb von etwa 1500 m als Schnee fällt. Bis Samstag drohen in den
betroffenen Gebieten weitere Regenfälle mit akkumulierten Summen teils über 100
l/qm (Unwetter) mit entsprechender Hochwassergefahr.

Modellvergleich und -einschätzung

Die Basisfelder sehen modellübergreifend sehr ähnlich aus. Spannend wird sein,
wie die hochauflösenden Modelle die konvektive Aktivität der Kaltfront und damit
verbunden die Böenstärke am Donnerstagabend einschätzen werden. Oberwinde
jenseits der 60 kt in 850 hPa sind unstrittig und könnten potentiell
heruntergemischt werden.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Robert Hausen