S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Montag, den 20.11.2023 um 10.30 UTC

Ausgesprochen unsichere Prognose, aber zum Wochenende wohl durchaus
nennenswerter Kaltluftvorstoß. Dabei an der Küste und im Bergland und an der
Küste anhaltend stürmisch. Nordstauniederschläge in Form von Schnee an den Alpen
und im Erzgebirge nicht ausgeschlossen. Im Flachland eher „nur“ nasskalt.

Synoptische Entwicklung bis zum Montag, den 27.11.2023

Der heutige Start in die Mittelfrist erfolgt ausgesprochen dynamisch. Für
Antrieb sorgt dafür am Donnerstag ein umfassender Tiefdruckkomplex, der von
Grönland bis nach Mittel- und Nordskandinavien reicht und bei T500 von knapp
-40°C mit reichlich Kaltluft gefüllt ist. Dem gegenüber steht ein
Hochdruckgebiet über dem Ostatlantik, dass sich vor allem bodennah bis in den
mitteleuropäischen Raum erstreckt. In der Höhe sind in Kombination mit einem
umfangreichen Cut-Off-Tief mit Zentrum bei Sizilien omegaartige Strömungsmuster
ausgebildet. Summa summarum führt dies zu einem kräftigen Isohypsengradienten
zwischen Atlantikhoch und Skandinavientief. Ein lebhafter Jet ist die Folge,
dessen Ausgang sich über Osteuropa befindet. Die daran gekoppelte Frontalzone
erstreckt sich vor allem über Nord- und Ostsee, streift aber auch noch den
Nordosten Deutschlands. Somit haben wir es in diesem Bereich mit einer
Luftmassengrenze zu tun, an der es streifenweise zu längeranhaltenden
Niederschlägen kommen kann. Gleichzeitig weht bei auch bodennah vorhandenem
Gradienten kräftiger Wind aus West bis Nordwest, der vor allem entlang der Küste
Sturmstärke erreicht.

Am Freitag beginnt das Ostatlantikhoch trotz seiner anfangs noch stabil
ausgeprägten Strukturen zu schwächeln. Zu hohe Baroklinität gepaart mit generell
starker atlantischer Tiefdruckaktivität setzen ihm zu. Daraufhin ist der Weg für
den skandinavischen Tiefdruckkomplex Richtung Nordwest- und Mitteleuropa frei.
Ein umfangreicher Austrogungsprozess setzt ein, in dessen Folge sich die im
Norden liegende Kaltluft auf den Weg macht, unter anderem zu uns nach
Deutschland. Allerdings muss man an dieser Stelle festhalten, dass bei weitem
nicht alle Modelle diesen Weg so mitgehen. Aber dazu mehr in den unten
anschließenden Abschnitten. Es scheint sich aber abzuzeichnen, dass sich bereits
am Freitag die anfangs erwähnte Luftmassengrenze im Zuge der einsetzenden
Austrogung südwärts verschiebt, sodass von Norden kalte Polarluft nach
Deutschland einfließen kann. T850 sinkt auf Werte von etwa -3 bis -5 Grad, ganz
im Norden möglicherweise auch noch tiefer. Auch bodennah bekommt der Wind eine
zunehmend nördliche Komponente. IFS zeigt hierbei im weiterhin ausgeprägten
Frontalzonenbereich eine Randtiefentwicklung, die im Tagesverlauf den deutschen
Ostseeraum erreicht. Es bleibt also vor allem an der Küste auch weiterhin
ziemlich stürmisch. Gleichzeitig verstärkt sich auf der Rückseite dieses
Bodentiefs die Zufuhr polarer Luftmassen aus Norden.

Am Samstag verlagert sich der wetterbestimmende Langwellentrog ostwärts. Das tut
er zentrumsnah über Nordskandinavien deutlich schneller als über Mitteleuropa.
Das bedeutet, dass dessen Achsneigung deutlich zunimmt. Diese erstreckt sich nun
von Nordosteuropa ausgehend in den Mittelmeerraum. Gleichzeitig hat eine
deutliche Amplifizierung des Troges stattgefunden. Ein zunehmend meridionales
Strömungsmuster stellt sich daraufhin ein. Deutschland liegt dabei im
Einflussbereich der Trogrückseite im direkten Zuflussbereich polarer Kaltluft
aus Norden. T850 sinkt dementsprechend noch weiter in den Keller und erreicht in
der Osthälfte Deutschlands Werte um -7°C, während es im Westen und Nordwesten in
der Höhe etwas milder bleibt. In der Nacht zum Sonntag ist es dabei nicht
ausgeschlossen, dass zumindest im äußeren Nordosten Deutschlands sogar mal die
-10°C-Isotherme in 850 hPa vorbeischaut. Mit der weiterhin anhaltenden Nord- bis
Nordwestströmung sind zunehmend Stauniederschläge in den dafür anfälligen Lagen
des Berglandes wie z.B. Erzgebirge und Alpen denkbar, die in Kombination mit den
Temperaturen zu durchaus nennenswerten Neuschneemengen führen würden.

Am Sonntag ändert sich an dieser Grundkonfiguration nur geringfügig etwas. Der
Langwellentrog verlagert sich nur langsam weiter ostwärts, sodass Deutschland
weiter im Einflussbereich polarer Luftmassen auf der Trogrückseite verbleibt.
Kurzwellige Troganteile sorgen dabei weiter für etwas Niederschläge, die im
weiter vorherrschenden Temperaturregime vor allem im Bergland für weitere
Schneezuwächse sorgen können. Insgesamt dreht die Strömung dabei zunehmend auf
eher nordwestliche Richtungen. Der maritime Einfluss nimmt somit wieder zu und
damit auch der Eintrag feuchter Luft, was etwaige Niederschläge in Form von
Regen und Schnee entsprechend begünstigt.

Auch am Montag hält die Kaltluftzufuhr weiter an. Diese wird zunehmend von einem
neuen atlantischen Rücken gestützt, der vorderseitig für die Regeneration des
Troges über Osteuropa sorgt und den erneuten südwärtigen Vorstoß polarer
Luftmassen nach Mitteleuropa ermöglicht. Dabei bleibt auch die Neigung zur
Randtiefbildung im Bereich der Frontalzone erhalten. Es bleibt also bei einer
zyklonal dominierten Großwetterlage, die auch weiterhin für teils stürmischen
Wind sowie wiederholte Niederschläge sorgt, die vor allem im Bergland in Form
von Schnee fallen können.

Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs

ECMWF zeichnet sich heute durch ausgesprochen inkonsistentes Verhalten aus.
Sämtliche Läufe zeigen deutlich voneinander abweichende Lösungen, vor allem
hinsichtlich des beschriebenen Kaltlufteinbruchs zum Wochenende. Dieser soll in
den vorhergehenden Läufen deutlich weiter östlich stattfinden, sodass es für
Deutschland maximal für einen „Streifschuss“ der Polarluft reicht. In der Folge
würde sich eine deutlich maritimer geprägte zyklonale Westlage durchsetzen, die
allen Winterhoffnungen den Garaus macht. Dementsprechend unsicher sind die
Prognosen für die kommenden Tage.

Vergleich mit anderen globalen Modellen

Schon das ECMWF-Modell ist in sich selber inkonsistent. Kaum besser sieht es
aus, betrachtet man sich die anderen Globalmodelle. Immerhin befindet sich der
deterministische GFS-Lauf auf derselben Schiene wie IFS. Auch diesem zufolge
soll es zum Wochenende zu einem markanten Kaltluftvorstoß in Mitteleuropa
kommen. Wie es für das US-Modell recht typisch ist, erfolgt dieser sogar noch
etwas markanter, d.h. die Austrogung besitzt eine höhere Amplitude und stößt bis
weit in den Mittelmeerraum vor, die T850 liegen noch etwas tiefer und es fällt
demnach noch mehr Niederschlag. Dass das aber auch so kommt, steht bei Weitem
noch lange nicht fest. Denn da wäre auch noch das deutsche ICON-Modell – und
dieses möchte von Winter zunächst gar nichts wissen. Es beginnt schon damit,
dass die beschriebene Luftmassengrenze im Nordosten nach ICON deutlich weiter
nordöstlich liegt, und sich die kalte Polarluft deutlich weiter entfernt von uns
befindet. Zwar wird auch in ICON die erneute Austrogung Richtung Mitteleuropa
simuliert, diese findet hier aber erheblich später statt und ohne Einbindung der
kältesten Luftmassen. Dementsprechend ist der barokline Antrieb geringer. Die
Austrogung fällt deutlich schwächer aus. Durch die kleinere Amplitude des Troges
schwenkt dieser auch viel rascher ostwärts durch, sodass sich rasch wieder ein
zonales Strömungsmuster einstellt. Erst zu Beginn der neuen Woche besteht auch
in ICON die Möglichkeit, dass es zu einem kräftigeren Kaltluftvorstoß kommt.
Viel hängt insgesamt an einem ausgeprägten Tiefdruckgebiet südlich von Island.
Während dieses in IFS und GFS vom Langwellentrog isoliert ist und trogrückseitig
einen kurzen Rücken stützt, bindet ICON dieses Tief in die großräumige
Zirkulation ein, was in der Folge den möglichen Kaltluftvorstoß nach Süden
nachhaltig behindert. Erst wenn klarer ist, wie diese Entwicklung abläuft, wird
sich zeigen, in welche Richtung es in den nächsten Tagen wirklich geht. Sicher
ist im Prinzip nur, dass die Wetterlage auch weiterhin deutlich zyklonal geprägt
ist.

Bewertung der Ensemblevorhersagen

Die bereits beschriebenen Unsicherheiten in der Deterministik zeigen sich auch
deutlich in den Ensembles. Die Rauchfahnen des ECMWF-ENS weisen schon zu Beginn
des Mittelfristzeitraumes erste Unsicherheiten auf. Bemerkenswert ist hier vor
allem für die Mitte und den Süden Deutschlands ein bifokales Muster. Das
bedeutet, dass es mehr oder weniger zwei Bündel an Lösungen mit in sich
betrachtet niedrigem Spread gibt, die aber deutlich auseinander liegen. Der
deterministische Hauptlauf folgt dabei eher der wärmeren Variante. Der kältere
Zweig würde ein Vorankommen der polaren Kaltluft bis in den Alpenraum sprechen
und scheint – betrachtet man sich die Anzahl der Member – auch nicht
unwahrscheinlich zu sein. Zu Beginn der neuen Woche verrauschen die
Temperatursignale vollständig, wobei auffällt, dass der Hauptlauf auch hier eher
am oberen, d.h. warmen Rand des Lösungsraums zu finden ist. Die grundsätzliche
Zyklonalität der Großwetterlage spiegelt sich bei den Geopotential- und
Niederschlagsfahnen wieder. Mehr ist daraus nicht zu erkennen, da auch hier die
Signale spätestens ab dem Wochenende komplett verrauscht sind.

Die Cluster zeigen sich relativ übersichtlich. An Tag 3-4 werden insgesamt 3
Cluster angeboten, die auch ungefähr gleichmäßig besetzt sind. Die Lösungen
deuten dabei zunächst allesamt auf das Szenario „Atlantischer Rücken“ hin. Im
Zeitraum 120-196 Stunden werden sogar nur noch zwei Cluster angeboten, die sich
beide auch weiterhin im Lösungsraum „Atlantischer Rücken“ bewegen. Unterschiede
liegen hier vor allem in der Ausprägung des Atlantikhochs, das in der zweiten,
etwas weniger favorisierten Lösung (22 vs. 29 Member) durch eine
Randtiefentwicklung gestört wird.

Das GFS-ENS läuft ab Mitte der Woche deutlich auseinander, wobei insbesondere
für die Mitte Deutschlands eher kältere Szenarien bevorzugt werden. Dass die
-10°C-Isotherme in 850 hPa bis hierhin vorstößt, ist aber vor allem ein Artefakt
des operationellen Hauptlaufs, das von quasi keinem Member in dieser Ausprägung
gestützt wird. Insgesamt sind die Unsicherheiten und die Streubreite aber enorm
hoch, sodass sich kaum weitere Aussagen ableiten lassen. Auffällig ist noch,
dass der operationelle Hauptlauf generell am unteren Rand der Lösungen bewegt.

Fazit:
Die Zeit für den ersten größeren Kaltlufteinbruch scheint gekommen zu sein.
Jedenfalls deuten dies alle Modelle außer ICON so an. Um genau zu sein, deutet
auch ICON dies an, allerdings deutlich schwächer und deutlich verzögert. Die
Unsicherheiten bezüglich sich im Spiel befindender Randtiefs und Ausprägung des
dafür nötigen Langwellentroges sind aber noch derartig groß, dass man heute bei
weitem noch nicht sicher sagen kann, wohin die Reise geht. Auch milde Westlagen
sind weiter im Rennen, wenn auch nicht mehr mit so hoher Wahrscheinlichkeit.
Aber selbst wenn sich die Polarluft durchsetzt, so wird das eher ein Intermezzo
für das Bergland werden. Die tiefen Lagen werden ziemlich sicher keinen Schnee
sehen, dort bleibt es eher nasskalt – wobei es wohl selbst mit dem Frost
schwierig wird. Denn dafür ist die Luftmasse insgesamt zu gut durchmischt und
noch nicht abgekühlt, trotz der niedrigen T850.

Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen

Von Donnerstag bis Samstag vor allem an der Küste und im Bergland Sturmböen,
nach Süden hin zunächst mit abnehmender Wahrscheinlichkeit. Am Samstag sind
Sturmböen im südlichen Bergland wahrscheinlicher als an der Küste. Ab Samstag
außerdem zunehmende Wahrscheinlichkeit für anhaltenden Schneefall im Nordstau
der Alpen, am Sonntag auch geringe Wahrscheinlichkeit dafür in den höheren Lagen
des Erzgebirges.

Basis für Mittelfristvorhersage
ECMWF, GFS, ICON mit Abstrichen, EZMOS, COSMO-LEPS, ECMWF-ENS, GFS-ENS

VBZ Offenbach / M.Sc. Felix Dietzsch