#SXEU31 #DWAV #SYNOPTISCHE ÜBERSICHT #KURZFRIST ausgegeben am Freitag den 14.07.2023 um 18 UTC
SXEU31 DWAV 141800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 14.07.2023 um 18 UTC
SCHLAGZEILE:
SANDOR der Tückische – Samstag Konvektionspuzzle mit Fragezeichen, in der
Südosthälfte heiß bis sehr heiß. Am Sonntag im Nordwesten windig, an der Nordsee
stürmisch, sonst Wetterberuhigung.
Synoptische Entwicklung bis Sonntag 06 UTC
Aktuell … stellt sich die Großwetterlage eigentlich sehr überschaubar dar:
Relativ klar definierte Drucksysteme interagieren mit nicht minder klaren
Potenzialstrukturen und auch die Verteilung der Luftmassen ist alles andere als
„wischi-waschi“. Die verschiedenen Modelle bilden die Lage entsprechend sehr gut
ab – nicht nur aktuell, sondern über den gesamten Kurzfristzeitraum hinweg
werden die Basisfelder überaus kongruent mit nur geringem Spread simuliert. Umso
erstaunlicher, oder sollte man besser formulieren faszinierender ist es, dass
vor diesem Hintergrund der morgige Wetter-Fahrplan alles andere als sicher ist.
Die große Unbekannte, die das ganze Gleichungssystem ins Wanken bringt, schimpft
sich KONVEKTION. Noch immer ist es so, dass Gewitter respektive Gewittersysteme
sowie deren Interaktion und gegenseitige Abhängigkeit die Meteorologenschaft
inklusive der inzwischen im Überfluss vorhandenen numerischen Produkte Rätsel
aufgeben, deren Lösungen ein bis zwei Tage, manchmal selbst wenige Stunden vor
dem Ereignis noch nicht vorliegen. Wobei, Lösungen gibt es schon, genügend
sogar, doch divergieren diese bisweilen so sehr, dass belastbare
Detailvorhersagen einfach nicht möglich sind. Ärgerlich für alle Nutzer,
ärgerlich aber auch für die Forecaster, die gerne mehr Verlässlichkeit und
Planungssicherheit vermitteln würden. Aber es ist wie es ist und es wird so
bleiben. Auch zukünftig wird es immer wieder Wetterlagen geben, wo prognostische
Theorie und praktische Abläufe Diskrepanzen aufweisen. Wetter am Reißbrett ist
das eine, Wetter in natura das andere. Genug philosophiert, ran an den Speck.
Die Nacht zum Samstag verbringt Deutschland auf der Vorderseite eines mehr als
solide aufgestellten Höhentrogs über dem nahen Atlantik. Eingelagert ist ein
hochreichendes Drehzentrum mit Bodenkern, der den Namen SANDOR trägt. Da die
Vertikalachse noch nicht ganz aufgerichtet ist, vertieft sich das Tief in der
Nacht noch etwas auf unter 990 hPa, was für Mitte Juli kein schlechter Wert ist.
Was nicht zu den Stärken des guten SANDOR gehört, sind Beweglichkeit und
Mobilität. Oder sagen wir so, die Liebe zur Grünen Insel ist so groß, dass er
die ganze Nacht über Irland verweilt und selbst morgen Mittag noch nicht
loslassen kann. Weniger blumig ausgedrückt, SANDOR nimmt die Züge eines
zentralsteuernden Tiefs an, das – so viel sei an dieser Stelle schon verraten –
am Ende doch noch in der Lage sein wird, Strecke zu machen.
Zunächst mal aber wird auf der Vorderseite des Tiefs bzw. des Troges reichlich
Warmluft nordwärts gepumpt, die dem flachen Höhenrücken über Mitteleuropa zu
Potenzialgewinn und Amplitude verhilft. Da das aber alles leicht östlich des
Vorhersageraums passiert, gelangen wir bis zum Morgen unter eine sich zunehmend
aufsteilende, zunächst noch schwach antizyklonal bis indifferent konturierte
südwestliche Höhenströmung, aus der sich keine nennenswerten Hebungsimpulse
ablesen lassen. Dafür wird eine potenziell instabile, zunächst aber noch recht
trockene Subtropikluft advehiert, in der die 850-Temperatur auf rund 14°C im
Norden und bis zu 20°C im Süden ansteigt.
Wettertechnisch läuft die Nacht so ab, dass ein Bodentrog und die Warmfront von
SANDOR im Nordwesten durchziehen. Mehrschichtige Wolken, aber nur wenig Regen,
dazu auf der Nordsee auffrischender Südost- bis Südwind ohne warntechnische
Konsequenzen (Windmaximum eher weiter westlich) sind die Folge. Darüber hinaus
können im äußersten Westen und Südwesten ein paar Restposten französischer
Konvektion anlanden, ob gewittrig oder ungewittrig sei mal dahingestellt. Im
größten Teil des Landes bleibt es ohnehin trocken, im Süden und Südosten klart
es verbreitet auf. Das ist insofern von Vorteil, als dass die Temperatur
zumindest einigermaßen zurückgehen kann auf örtlich bis zu 12°C. Davon kann man
in den west- und südwestdeutschen Städten und Ballungszentren nur träumen
angesichts von fiesen Tiefstwerten um 20°C.
Samstag … schwenkt die Hauptachse des o.e. Höhentrogs über den Ärmelkanal
hinweg bis zur französischen Biskayaküste. Derweil bildet Tief SANDOR an der
Okklusion seines Frontensystems einen zweiten Kern aus, der am Mittag über
Schottland liegt. Er wird im Weiteren die Hauptrolle übernehmen und sich langsam
auf den Weg nach Nordosten machen. Das ursprüngliche Drehzentrum mutiert zu
einem gewöhnlichen Bodentrog, der zur westlichen Nordsee schwenkt. Für unseren
Raum von Bedeutung ist die Kaltfront des o.e. Frontensystems, die aber wohl erst
spät abends schleifend auf den äußersten Westen und Nordwesten übergreift. Zuvor
schiebt sich eine Rinne nach Deutschland rein, in die eine
südwest-nordost-exponierte Konvergenz eingelagert ist. Vorderseitig steigt T850
weiter an auf über 20°C im Süden und Südosten, im höheren Alpenvorland mit
leichter Föhnunterstützung (auf den Alpengipfeln maximal 8-9 Bft, in anfälligen
Tälern vielleicht steife Böen 7 Bft) bis zu 25°C. Dabei ist die Schichtung zwar
erzlabil mit einem ausgeprägten trockenadiabatischen Gradienten bis hoch auf 600
hPa, auf der anderen Seite aber auch sehr, sehr trocken (die von der Numerik in
Südostbayern angebotenen PPWs von rund 30 mm sowie spez. Feuchten bis 10 g/kg
scheinen überhöht). Mit anderen Worten, trotz satter Einstrahlung ist die
CAPE-Produktion gehemmt und das, was in der Auslage landet, ist stark gedeckelt.
Von daher werden es morgen im Süden und Südosten weniger die Gewitter als
vielmehr die Temperaturen auf die Anzeigetafel schaffen. So stellt die nicht
alltägliche Marke von 35°C keine nennenswerte Hürde dar, punktuell sind 38°C,
vielleicht sogar 39°C drin. Na herzlichen Glückwunsch…
Schauern wir auf die Regionen westlich der Rinne, wo der Hase etwas anders
läuft. Dort kommt es zu einer deutlichen Anfeuchtung der Luftmasse (PPW bis zu
40 mm, s.F. bis zu 14 g/kg), während es mit der Labilisierung nicht so recht
klappt. Mit Winddrehung auf Südwest setzt schon vor Eintreffen der Kaltfront in
Teilen der unteren Troposphäre KLA ein, die eine stabilisierende Wirkung ausübt.
Entsprechend wird auch dort bei der CAPE-Bildung auf Sparflamme gekocht. Meist
reicht es nicht mal für 500 J/kg, lediglich im Südwesten werden ab dem
Nachmittag gebietsweise einige hundert Joule pro Kilogramm mehr angeboten. Die
Frage ist nun, welche Folgen das alles auf die Tagesentwicklung hat. ICON-D2
zieht konsequent seine Linie durch, wie der jüngste Lauf von 12 UTC
eindrucksvoll bestätigt. Danach wäre mit folgendem Szenario zu rechnen.
Bereits am Vormittag erreicht ein an einen flachen KW-Trog gebundenes
Gewittersystem den Südwesten (Saarland, RP), das in der Folge über die Mitte
nordostwärts zieht. Zwar steht der Organisationsgrad noch nicht final fest, die
Gewitter dürften aber vor allem von lokalem Starkregen begleitet sein.
Rückseitig kühlt es deutlich ab („Cold Pool“), was einen gewaltigen
Temperaurgradienten zur Folge hat. Der wiederum erzeugt einen starken Outflow
respektive mesoskaligen Druckgradienten, der im Norden und Westen einen merklich
auffrischenden Wind bewirkt (7-8 Bft, sogar „9er bis 10er“ tauchen in einigen
Simulationen auf). Ansonsten „stiehlt“ das System der Luftmasse Energie, so dass
sich die weitere konvektive Entwicklung vornehmlich in der Peripherie (teilweise
ausgelöst durch die Outflow Boundary) und weniger in der Spur der
vormittäglichen Gewitter abspielt. Dabei kristallisiert sich eine von Südwesten
über die Mitte bis in den Norden reichende Zone heraus. Auch im Nordwesten
steigt die Gewitterwahrscheinlichkeit mit Annäherung der Kaltfront immer weiter
an. Die sehr guten Scherungsbedingungen (LLS bis zu 20 m/s, DLS bis zu 30 m/s,
im Nordwesten noch höher) kaschieren bzw. übertrumpfen die mäßigen Energiewerte
(„low CAPE, high shear“), so dass die Wahrscheinlichkeit organisierter Gewitter
bis hin zu Superzellen hoch ist. Möglich, dass es am Spätnachmittag oder Abend
im Südwesten zur Bildung eines Clusters oder MCS kommt, der sich in der Nacht
zum Sonntag bis in den Osten und Südosten verlagert. Die Qualität der Gewitter
ist nach wie vor schwer zu bewerten. Starkregen bis WU ist eigentlich immer
drin, auch wenn die Zellen ziehen. Hagel natürlich auch, allerdings sollte die
Korngröße aufgrund der beschränkten Labilität limitiert bleiben (vielleicht 3 cm
Maximum). Unangenehm könnte der Wind werden, wenn sich nämlich Liniensegmente
bilden sollten, aber auch bei gut organisierten Superzellen. Windstärke 10 Bft,
vereinzelt 11 Bft wären keine Überraschung, zumal es auch Hinweise der Numerik
gibt. Will man das Ganze noch auf die Spitze treiben, bringt man im Nordwesten
vor der Kaltfront noch die Möglichkeit rüsselnder Zellen ins Spiel. Die
Hodographen wechseln von geradlinig in gekurvt, vor allem unten ist
Richtungsscherung vorhanden. SRH ist ebenfalls am Start (auch wenn das Maximum
weiter östlich zu finden ist), außerdem sinkt das HKN deutlich ab. Nun gut,
schauen wir mal, wohin die Reise geht.
In der Nacht zum Sonntag schwenkt der Trog nach Deutschland rein, während auf
der Rückseite bereits an seiner Regeneration gearbeitet wird (KLA). Das
Bodentief zieht zur nördlichen Nordsee, was in der Deutschen Bucht sowie der
daran anschließenden Küstenlinie einen merklich auffrischenden, zum Morgen hin
teils stürmischen Südwestwind zur Folge hat. Ansonsten bekommt die Kaltfront
einen deutlichen Schubs nach Südosten, hängt aber nach wie vor nach Südwesten
zurück. Die z.T. schweren Gewitter aus dem Südwesten – wie immer sie
schlussendlich organisiert sind – ziehen in den Osten bzw. Südosten, wobei sie
sich langsam (wie langsam hängt von der Struktur ab) abschwächen. Anfangs
besteht aber noch die Gefahr größeren Hagels sowie Böen 10 bis 11 Bft, bevor
später mehr und mehr der Starkregen (evtl. mehrstündig) dominant wird. Außen vor
bleibt bis zum Morgen wahrscheinlich noch der Südosten Bayerns (Föhn).
Hinter der Front fließt nicht nur ein Schwall subpolarer Meeresluft ein (T850 10
bis 7°C), KLA-bedingt setzt zudem Absinken ein (sogenannte postfrontale
Subsidenz). Entsprechend beruhigt sich das konvektive Geschehen ziemlich zügig
und die Wolkendecke lockert auf.
Synoptische Entwicklung bis Montag 06 UTC
Sonntag … Was die Entwicklung am Sonntag sowie in der Nacht zum Montag angeht,
hat sich im 12-UTC-Lauf von ICON kaum etwas verändert gegenüber den Vorläufen.
Entsprechend behalten die Aussagen der sehr lesenswerten Frühübersicht ihre
Gültigkeit und müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden.
Modellvergleich und -einschätzung
Über die Einigkeit und Uneinigkeit der Modelle wurde im Text viel philosophiert.
Noch mal, die beschriebene Entwicklung fußt auf konzeptionellen Überlegungen
sowie den ICON-Prognosen, die durch eine sehr gute Konsistenz überzeugen. Ein
Garant, dass es genau so oder so ähnlich kommt, ist das aber nicht. Bis zum
06-UTC-Lauf wollte SuperHD vom vormittäglichen System nur bedingt was wissen
(eher Einzelentwicklungen), was am Ende zu einem ganz anderen Energiesetup
führt. Größere Ähnlichkeiten zu ICON-D2 zeigt UK10 (HD), während AROME eine
Zwischenlösung einnimmt.
Nur so viel, sollte sich auch morgen früh noch das ICON-Szenario als die
wahrscheinlichste Variante herausstellen, wäre für den Südwesten (für die Nacht
zum Sonntag evtl. noch etwas nach Nordosten ausgedehnt) eine Vorabinformation
mehr als sinnvoll.
Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann