#SXEU31 #DWAV #SYNOPTISCHE ÜBERSICHT #KURZFRIST ausgegeben am Freitag, den 30.12.2022 um 18 UTC
SXEU31 DWAV 301800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 30.12.2022 um 18 UTC
Markante Wettererscheinungen:
Zu Silvester rekordverdächtig mild. Dazu zeitweise regnerisch und teils
stürmisch, immer mehr nach Norden zurückziehend.
Synoptische Entwicklung bis Montag 12 UTC
Aktuell … sticht im Bodendruckfeld die stramme südwestliche Strömung ins Auge,
die weite Teile West- und Südwesteuropas überdeckt und über Deutschlands nach
Nordosten abbiegt, mithin dann in eine süd-südwestliche Strömung übergeht. In
der Zone des Richtungswechsels ist ein Frontensystem auszumachen, bestehend aus
dem nördlichen, okkludierten Teil sowie einer südlich daran anschließenden
Warmfront, die in der Nacht rasch nach Nordosten vorankommt. Das Frontensystem
gehört zu einem Tiefkomplex (KERSTIN) über der nördlichen Nordsee, welcher zum
Morgen die Küste Mittelnorwegens erreicht. Zu diesem Zeitpunkt ist die Warmfront
schon über Polen gelandet. Auf ihrer Rückseite glättet die südwestliche Strömung
weitgehend durch, wobei die zum Frontensystem gehörende Kaltfront rasch
rückläufig, sprich nach Norden gedrückt wird. Sie bildet sich, dann schon als
Warmfront, in der Frühe auch als schwächerer Trog im Bodendruckfeld ab, der etwa
an der Mittelgebirgsschwelle anzutreffen ist.
Zwar kann es in der Nacht sehr verbreitet etwas Regen geben, aber die stärksten
Niederschläge sind in der Nacht im Bereich bzw. nördlich der Front, genauer
gesagt vom Münsterland bis ins nördliche Ostwestfalen,
zu erwarten. Meist sind das 5 bis 10 l/qm, lokal auch etwas mehr, so zumindest
die Idee der deutschen Modelle, aber auch von GFS und IFS. Als Außenseiterlösung
bietet sich AROME an, welches die Niederschlagsschwerpunkte ins Rheinland legt
und dort auch punktuell formal warnwürdige Mengen von knapp über 25 l/qm in 12
Stunden simuliert.
Doch zurück zur Front selbst: Die rückläufige Verlagerungstendenz initiiert ein
weiterer Tiefkomplex (LIDDY) westlich von Irland. Der Kerndruck von LIDDY steigt
in der Nacht zögerlich an, was daran liegt, dass das Tief vom korrespondierenden
Höhentief, dieses wiederum eingebettet in einen Langwellentrog über Westeuropa
und dem nahen Ostatlantik, überlaufen wird. Der Prozess des Überlaufens ist
einem veritablen Kaltluftvorstoß von der Labradorsee zu den Azoren geschuldet,
durch den der Trog weiter nach Süden ausgreift. Der Langwellentrog selbst hängt
in seinem südlichen Teil deutlich zurück, so dass die Trogachse eine
Nordost-Südwest-Ausrichtung aufweist. Auf der Vorderseite des Langwellentroges,
die in diesem Fall eben die Südostflanke ist, zeigt sich eine recht glatte und
kräftige südwestliche Höhenströmung, die mit dem Ausgreifen des Trogs nach Süden
nochmals weiter aufsteilt und in die auch ein Starkwindband (Jet, z.B. in 300
hPa) eingelagert ist. Da LIDDY unter dem linken Jeteingang anzutreffen ist,
begünstigt auch ihre Lage zum Jet einen leichten Druckanstieg. Unabhängig vom
dezenten Druckanstieg ist die markante südwestliche Höhenströmung ein „idealer“
Nährboden für eine rekordverdächtig milde Lage eingedenk der Tatsache, dass im
Vorfeld von den Kanaren bis in den westlichen Mittelmeerraum die Anhäufung einer
eigentlich sommerlichen Luftmasse stattfand mit 850er Temperaturen über +10°C
und Theta Werten bis an die 40°C.
Und diese Warmluft schafft jetzt die Warmfront heran. Dabei wird der Warmsektor
des Frontensystems, das ursprünglich zu KERSTIN gehörte (so man dies denn
synoptisch sagen kann), durch LIDDY nochmals weit geöffnet. Ausgangs der Nacht
liegen die Temperaturen in 850 hPa nördlich der rückläufigen Warmfront bei 2°C
bis 6°C, südlich dann bei 6°C bis 9°C, regional spezifiziert bedeutet dies eine
Linie etwa vom Ijsselmeer bis zur Lausitz, was sich mit der Drängungszone im
Theta-Feld deckt.
In Ermangelung jedweder auch nur halbwegs winterlich geprägter Wetterelemente
gebührt dem Wind zumindest warntechnisch das Hauptaugenmerk. Im Norden lässt er
nach, so dass ausgangs der Nacht dort keine Windwarnungen mehr nötig sind. Dafür
frischt er, nach vorübergehender Abnahme, unmittelbar am Südrand bzw.
postfrontal der Warmfront wieder auf. So treten in den Frühstunden des
Silvestertags vom Saarland bis nach NRW vermehrt stürmische Böen Bft 8 aus Süd
bis Südwest auf. Auf den Bergen bleibt es ohnehin stürmisch. Die beschriebene
Mixtur sorgt auch für eine milde Nacht mit Tiefstwerten zwischen 12°C und 6°C.
In Niederbayern und in den Hochlagen kühlt bis auf 2°C ab.
Samstag … liegen wir weiterhin auf der warmen Seite einer kräftigen
Südwestströmung (300 hPa-Jet mit bis an die 150 Knoten über der Irischen See und
zentralen Nordsee). Die Qualität des Warmluftberges ist dabei schon
außergewöhnlich! So reicht die -20°C in 500 hPa bis nach England, Südschweden
und ins Baltikum. Südlich davon ist es entsprechend noch wärmer. Mit leicht
föhniger Unterstützung erreicht die Temperatur in 850 hPa am Abend südlich der
Donau Werte zwischen +10 und +13 Grad, in den übrigen Gebieten +5 bis +10 Grad,
nur über Schleswig-Holstein ist es etwas kühler. Zur Verdeutlichung: Im April
wären wir bei einer derartigen Konstellation an manchen Ecken im Oberrheingraben
nicht weit von einem Hitzetag mit 30°C oder mehr entfernt.
Die Gesamtkonstellation der Druck- und Geopotentialgebilde ist von einer
ost-nordöstlichen Verlagerung geprägt. LIDDY greift dabei auf die Britischen
Inseln über und KERSTIN schafft es bis nach Nordschweden. Zwar ist LIDDY das
steuernde Tief über Westeuropa, aber die Welle, die sich in der Luftmassengrenze
zeigt, die auch „unsere“ Warmfront umfasst, ist etwas südöstlich von LIDDY
abgesetzt. Sie zieht im Tagesverlauf von der Biskaya bis zur Themsemündung. Das
bedeutet aber auch, dass die Front über Norddeutschland kaum verschoben wird. In
der sich entsprechend einstellenden Schleifzone sind die „Verlierer“ der
aktuellen Wetterlage auszumachen.
Von Ostfriesland bis zur Ostsee sollte es ganztägig mitunter auch kräftiger
regnen. In einem Streifen vom nördlichen Emsland bis nach Kiel oder Lübeck
könnte das 10 bis 15, lokal auch bis 20 l/m² binnen 12 Stunden bedeuten. Nicht
ausgeschlossen, dass dies sogar kleinräumig in eine Dauerregenwarnung bis in den
Neujahrstag hinein mündet. Allerdings wohl ohne großen Impact, und auch sehr
unwahrscheinlich, weil die Front in der Nacht dann doch deutlicher nach Norden
vorankommt. Bezüglich der Temperaturen ist der Norden auch in der Hinterhand.
Nördlich einer Linie Bremen – Schwedt werden es im Dauerregen nur 11°C bis 15°C,
sonst 15°C bis 20°C, im Südwesten bis 22°C.
Im Geopotentialfeld bleiben der Trog und der Rücken erhalten. Da der trog im
südlichen Bereich etwas nach Südosten schwenkt, kann der Rücken etwas nach
Norden ausgreifen, so dass die Höhenströmung eine anitzyklonale Note bekommt.
Der leichte Potentialanstieg von Süden her macht sich auch über der Mitte und im
Nordosten (also in den Randbereichen des frontal gebundenen Niederschlagsbandes)
bemerkbar, wo die Regenfälle langsam nachlassen.
Südlich der zentralen Mittelgebirge lockert es vielfach auf. Im Warmluftberg
wird die vermutlich mit Saharastaub angereicherte Luft aber großflächige hohe,
lokal auch mittelhohe Wolkenfelder beinhalten. Wie bei so vielen
rekordverdächtigen Lagen (auch im Sommer) könnte das letztlich das Zünglein an
der Waage sein. Ob der Dezemberallzeitrekord vom 16.12.1989 mit 24.0 Grad in
Müllheim geknackt wird, darf aber stark bezweifelt werden. Einige
Stationsrekorde wie 17.5 Grad in Mannheim vom 05.12.1961 oder 16.3 Grad in
Düsseldorf gemessen am 05.12.2006 werden jedoch mit ziemlicher Sicherheit
gerissen. Rekord hin oder her, an der außergewöhnlich milden Witterung ändert
das nichts. Vorsicht bei der Lagerung vom Silvesterkarpfen, Braten oder der
Bowle im Freien. Kühlschrankgekühlt genießen kann man die Lebensmittel danach
leider nicht mehr.
Letztlich noch zum Wind. Den vor wenigen Tagen in den Medien noch groß
angekündigten Silvestersturm wird es in der Schärfe und Breite ziemlich sicher
nicht geben. Gleichwohl gibt es am Südrand der Welle ein moderates Sturmfeld mit
Böen der Stärke 7 bis 8, vereinzelt 9 Bft, das sich vom Westen und der Mitte bis
zum Abend in den Nordwesten verlagern wird. Vor allem von der Nordsee bis ins
Münsterland sollte man die Windkomponente beim Umgang mit Feuerwerkskörpern
entsprechend einberechnen. Auch auf den Bergen und in einigen Leelagen wie dem
Thüringer Becken bleibt es stark böig, teils stürmisch. Auf dem Brocken macht
sich der Low-Level-Jet von 70 Knoten in 850 hPa mit entsprechend extremen
Orkanböen bemerkbar.
In der Silvesternacht erreicht auch LIDDY II (oder ist es LIDDY III?) Irland.
Ein anderes LIDDY-Teiltief (die Nummerierung ist eine Herausforderung) wandert
nach Dänemark und verliert sich dort, je nach seiner Stärke hat es aber auch
Auswirkungen auf die Wind- und Niederschlagsentwicklung. Das Modell UK10 hat
weiterhin die schärfste Entwicklung im Programm, aber auch nach diesem Modell
sollte es auf Sylt nur noch für Sturmböen Bft 9 reichen. Bezüglich des
Niederschlages hat UK10 ebenfalls die Nase vorn. Nach 25 L7qm am Tage in einem
Streifen über dem mittleren Schleswig-Holstein bietet es in der Nacht ebendort
nochmals 30 l/qm an – das wäre über 24 Stunden schon jenseits der
Unwetterschwelle. Doch diesbezüglich ist Zurückhaltung angesagt, andere Modelle
(IFS, GFS, ICON) sind beim Regen deutlich zurückhaltender, eben auch weil die
Front von diesen Modellen weiter nach Norden verlagert wird. Kurz gesagt gilt
aber die Regel: Je weiter im Norden und je mehr Richtung Küste, desto windiger
und regnerischer. Über der Norddeutschen Tiefebene muss man generell mit
Windböen Bft 7 rechnen.
Das kleine LIDDY-Wellenteiltief steuert den Wellenscheitel bis zum Morgen zur
westlichen Ostsee. Zu dem Zeitpunkt verläuft die Kaltfront über das Emsland und
Nordfrankreich bis dicht westlich von Portugal, wo sie wieder wellt. Insgesamt
bekommt der Ausläufer also gerade im Nordwesten etwas Schub durch die
postfrontal leicht auf West knickende Strömung. Dadurch beginnt es in der
zweiten Nachthälfte auch Richtung Emsland und Niederrhein wieder (leicht) zu
regnen. Südlich von Main und Mosel ist es hingegen locker bewölkt, teils klar.
An der Donau und am Bodensee gibt es eine geringe Nebelneigung bei nur schwachem
Wind aus Süd bis Südwest, in Niederbayern auch aus Ost (Entkopplung).
Die „Tiefstwerte“ liegen unter Wolken und bei Wind in einer Spanne von 10°C bis
13°C, im kräftigeren Regen etwas darunter. Damit sind zwischen Ems und Oder auch
diesbezüglich Rekordwerte im Bereich des Möglichen (z.B. Berlin/Schönefeld 11.4
Grad, Leipzig/Schkeuditz 11.5 Grad). In den Flussniederungen im Süden kühlt es
auf einstellige Werte, teilweise bis 2°C ab.
Sonntag … dem Neujahrstag, liegt die Frontalzone zwar weiterhin über
Norddeutschland. Sie wird aber zunehmend inaktiver durch einen flachen
Höhenrücken, der sich von den Alpen ausgehend nordwärts aufwölbt. Dies ist
kräftiger WLA geschuldet, die sich im Vorfeld des stromab liegenden Wellentiefs,
das über die Biskaya hinweg zieht und zum Abend die Bretagne erreicht, aufbaut.
Dadurch setzt sich auch am Boden von Süden Druckanstieg nordwärts fort und ein
flacher Keil liegt ausgehend von den Alpen über der Mitte des Landes. Auch wenn
die 850er Temperaturen effektiv kaum oder nur ganz leicht zurückgehen, so sorgt
vor allem der aufweichende Gradient im Süden und der Mitte dafür, dass der
Höhepunkt der außergewöhnlichen Mildwelle überschritten ist.
Während es von den Küsten bis zu den westlichen Mittelgebirgen hin und wieder
noch etwas regnet und man dort getrost ohne schlechtes Gewissen seinen Kater
ausschlafen kann, ist es in der Südosthälfte häufig freundlich und trocken.
Höhepunkt überschritten heißt aber immer noch, dass wir von Höchstwerten
zwischen 13 und 19 Grad sprechen. Nur direkt an der See wird es nicht ganz so
mild.
Wind- und Sturmböen beschränken sich immer mehr auf die Inseln und Gipfellagen,
Tendenz im Tagesverlauf weiter abnehmend.
Montag … liegt Deutschland weiter auf der Vorderseite des langwelligen Troges
über dem Ostatlantik. Die Trogachse erreicht im Tagesverlauf die Britischen
Inseln, Westfrankreich und die Iberische Halbinsel. Dadurch steilt sich bei uns
die bekannte südwestliche Höhenströmung wieder etwas auf. Im Bodendruckniveau
wird der Norden von einer Frontalwelle passiert und auf der Rückseite kommt die
Kaltfront bis in den Westen voran. Der frontale Regen beeinflusst vor allem den
Norden und den Westen. Dabei muss vor allem im Westen und Nordwesten auch mit
Regenfällen von über 10 l/qm, in Staulagen auch mit über 20 l/qm gerechnet
werden. Weiterhin gibt es in den westlichen Mittelgebirgen sowie auf den
Alpengipfeln stürmische Böen oder Sturmböen. Die Temperaturen steigen am Montag
nochmals verbreitet und deutlich über 10°C. Die Nacht bleibt frostfrei. Mit
Voranschreiten der Kaltfront sinkt die Temperatur in 850 hPa allerdings ab. Die
0-Grad-Isotherme erstreckt sich am Tagesende von der Odermündung bis in die
Pfalz. Präfrontal wird es vor allem im Südosten nochmals ein recht freundlicher
Tag.
Modellvergleich und -einschätzung
Die Unterschiede der Basisfelder sind meist marginal. Die Deutsche Modellkette
ist bei der Böenprognose je nach Zeitpunkt und Region teilweise 0,5 bis 1 Bft
unter den anderen Globalmodellen (z.B. Nacht zum Sonntag an der Ostsee).
Gemessen am MOS und den Erfahrungen der Vortage sind diese Berechnungen zu
defensiv.
Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Martin Jonas