#SYNOPTISCHE ÜBERSICHT #MITTELFRIST ausgegeben am Donnerstag den 08.12.2022 um 10.30 UTC
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 08.12.2022 um 10.30 UTC
Winterlicher Witterungsabschnitt mit Vb-Tief und Schneefällen, vor allem, aber
nicht ausschließlich im Osten. Ab Wochenmitte sehr unsichere Entwicklung: mild,
kalt, Grenzwetterlage – nahezu alles möglich.
Synoptische Entwicklung bis zum Donnerstag, den 15.12.2022
Eines ist mal sicher – und damit Gott zum Gruße und Moin Moin in die illustre
Runde interessierter Abnehmer mittelfristiger Wetterprognosen -, nämlich, dass
in der nächsten Woche nichts sicher ist. Vor 48 Stunden hat der Verfasser an
gleicher Stelle mit leuchtenden Augen die Entwicklung einer profunden
Grenzwetterlage mit allen Schikanen und winterlichen „Schweinereien“
beschrieben, wohl wissend, dass das Ganze noch auf sehr tönernen Füßen steht.
Nun sitzt der mit Hoffnung in den Morgen gestartete Hoffmann wieder hier und
muss feststellen, dass sich das schwache Fundament keinesfalls gefestigt hat und
die Prognosen für die nächste Woche weiterhin hochvolantil sind. Spannend bleibt
es allemal, aber der Reihe nach.
Zunächst erst einmal zum vermeintlich sicheren Teil der Vorhersage, über dem
aber auch noch ein paar Fragezeichen stehen. Unstrittig ist, dass sich am
Wochenende sowie zu Beginn der neuen Woche eine schöne „FünfBeh-Lage“ (Vb nach
van Bebber) einstellt, bei dem ein Tief aus dem Mittelmeerraum um Italien herum
ins nahe Osteuropa zieht. Es soll am Montag mit rund 995 hPa Kerndruck Belarus
und nachfolgend das Baltikum erreichen. Da bei uns bereits vorher maritime
Kaltluft eingeflossen respektive eingesickert ist – wir starten Sonntag 00 UTC
mit 850-hPa-Temperaturen zwischen- 5 und -10°C – fallen die von Tief induzierten
Aufgleitniederschläge durchweg als Schnee. Betroffen davon sind anfangs der
Süden (hauptsächlich noch in der Kurzfrist) und dann zunehmend auch der Osten
des Landes. Derzeit ist aber noch vollkommen unklar, wie viel der weißen Pracht
dort tatsächlich runterkommt. Bleiben wir bei der aktuellen IFS-Variante von
heute 00 UTC, dann liegt der Schwerpunkt in Sachsen, dem östlichen
Sachsen-Anhalt sowie in Teilen Brandenburgs, wo es gebietsweise 5 bis 10 cm, im
und am Erzgebirge bis 15 cm schneien soll. Es sei aber schon an dieser frühen
Stelle darauf hingewiesen, dass es auch „optimistischere“ Lösungen mit mehr
Schnee gibt. Da der nordwestliche Wind auf der Westflanke des Tiefs vornehmlich
in den östlichen Landesteilen stark böig auffrischt, besteht zumindest im
Erzgebirge die Gefahr von Schneeverwehungen.
Der große Rest des Landes ist vom Vb-Geschehen weitgehend abgekoppelt, auch wenn
noch nicht abschließend geklärt ist, wie weit die Aufgleitprozesse bzw.
Schneefälle nach Westen ausgreifen. Fakt ist, dass der gesamte Vorhersageraum
unter den Höhentrog gelangt, dessen Vorderseite die Zugbahn des Vb-Tiefs
bestimmt. Dabei schwenkt einmal das komplette Drehzentrum des Troges von West
nach Ost über das Land hinweg, was uns nicht nur niedertroposphärisch, sondern
gesamttroposphärisch in den Genuss von polarer Kaltluft bringt. So sinkt T500
auf Werte um oder sogar unter -35°C, was eine mehr als solide Labilität zur
Folge hat. Mit anderen Worten, dort, wo es nicht stratiform schneit, stehen mal
mehr, mal weniger Schneeschauer auf der Karte, wobei auch ein kurzes
Wintergewitter nicht ausgeschlossen ist.
Am Dienstag schiebt sich eine schmale Hochdruckzone nach Deutschland rein, die
quasi das Vb-Tief (inzwischen unweit der Rigaer Bucht) von einem weiteren Tief
über dem Ostatlantik trennt. Gleichzeitig stellt sich ein nordwestliche
Höhenströmung ein, generiert vom inzwischen ostwärts abgezogenen Trog und einem
sich flach aufwölbenden Rücken über Westeuropa. Es bleibt kalt, auch wenn sich
der Schwerpunkt der Kaltluft Stück für Stück weiter in den Osten verlagert (18
UTC: T850 zwischen -6°C an der Grenze zu BeNe und rund -13°C im Osten, T500
zwischen -22°C! im Raum Basel und bis zu -37°C an der Nordsee). Während sich das
Niederschlagsgeschehen im größten Teil des Landes beruhigt, kommt es im
Nordwesten – ausgelöst durch einen kleinen Randtrog – zu weiteren
Schneeschauern.
Ab Mittwoch rückt das atlantische Tief zwar immer dichter an Europa heran, der
ganz große Schritt bleibt aber aus. Am Donnerstagmittag wird sein Kern noch
immer knapp westlich der Biskaya respektive des Westeingangs des Ärmelkanals
gerechnet. Warum ist das wichtig? – Ganz einfach, je dichter (und auch
intensiver) das Tief, desto stärker die vorderseitige WLA, die zum Aufbau einer
Luftmassengrenze hin zur bestehenden Kaltluft zwingend erforderlich ist. In der
aktuellen Version ist das zumindest bis Donnerstag nur abgeschwächt der Fall,
auch wenn reicht, T850 im äußersten Süden und Südwesten auf leichte Plusgrade zu
schrauben (12 UTC; gleichzeitig im Nordosten um -10°C). Bodennah überwiegt bei
zunächst windschwachen Bedingungen noch die Kaltluft der Vortage bzw. -nächte,
und da weiterhin leichter Hochdruckeinfluss bestimmend ist, werden so gut wie
keine Niederschläge simuliert. Das sah auch schon mal anders aus.
In der erweiterten Mittelfrist zieht das Tief via Biskaya nach Frankreich, wo es
sich auffüllt. Gleichzeitig wird über Benelux aber ein neuer Wirbel generiert,
der via Nord- zur Ostsee zieht. Hochspannend, wenn es denn so käme. Erst würde
die milde Luft aus dem Süden deutlich Boden nach Norden hin gutmachen, ohne dass
niederschlagstechnisch groß was passiert. Dann würde am Freitag mit dem neuen
Tief von Westen her eine neue Frontalzone mit Niederschlägen (erst Regen oder
gefrierender Regen mit Glatteis, danach Schnee + deutlich auffrischender Wind)
und nachfolgend maritimer Polarluft übergreifen. Klingt spannend und für
Vollwetterfans auch äußerst verheißungsvoll, wenn da nicht der bei Meteorologen
ach so beliebte Konjunktiv wäre. Und die Erfahrung, dass solche
deterministischen Einzellösungen mitunter seltsame Blüten treiben, vor allem
wenn sie sich auf dem Zeitstrahl noch ganz weit hinten befinden.
Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs
Für den ersten Teil des mittelfristigen Prognosezeitraums kann dem IFS (ECMF)
eine relativ gute Konsistenz attestiert werden. Die Vb-Wetterlage ist
unstrittig. Unsicher (und deshalb auch nur „relativ gut“) ist auch mit Blick auf
andere Modelle derzeit immer noch, wie viel Schnee dabei am Sonntag und Montag
in den östlichen Landesteilen fällt und ob dieser Schnee evtl. sogar verweht.
Im weiteren Verlauf der Woche nehmen die Inkonsistenzen der Modellaussagen
deutlich zu. Vereinfacht lässt sich sagen, dass es Versuche gibt, die zuvor nach
Deutschland eingeflossene Kaltluft durch mildere Luftmassen aus dem
südwestdeutschen Raum zu ersetzen. Ob das passiert, wann das passiert, wie (also
mit welchen Wettererscheinungen) das passiert, steht noch völlig in den Sternen.
Auch die Bildung einer sogenannten Grenzwetterlage, bei der beide Luftmassen
irgendwo über Deutschland durch eine scharfe Linie voneinander getrennt werden,
ist trotz des oben geschilderten Szenarios noch nicht vom Tisch.
Vergleich mit anderen globalen Modellen
Hinsichtlich der Vb-Entwicklung als solcher besteht Einigkeit unter den diversen
Globalmodellen. Auch weicht die Zugbahn des Haupttiefs gar nicht mal so weit
voneinander ab. Von daher verwundert es in erster Näherung, dass die Schneefälle
auf der Westflanke unterschiedlich stark ausfallen und zusätzlich auch noch
unterschiedlich räumlich verteilt sind. Offensichtloch spielt hier die genaue
Konfiguration des Höhentrogs bzw. des eingelagerten Drehzentrums und die sich
daraus ergebenden Hebungsantriebe eine entscheidende Rolle. ICON und UK10
simulieren auf alle mehr Schnee im äußerten Osten (UK10 sogar deutlich, ist aber
nicht unbedingt der Favorit). Außerdem lassen die meisten Modelle den Schneefall
tendenziell weiter nach Westen ausgreifen, als das bei IFS der Fall ist.
Den weiteren Wochenverlauf betreffend fangen die Modelle an, sich mehr und mehr
zu zanken. Mal abgesehen davon, dass die eigene Modellkonsistenz alles andere
als gut ist, bringt jeder eine andere Lösung auf den Tisch. So fängt ICON
bereits am Mittwoch damit an, Warmluft im Süden zu platzieren, um diese dann am
Donnerstag weit nach Norden zu verfrachten. Dabei ist die Baroklinität stärker
als bei IFS und es kommt auch zu Niederschlägen, bei denen alle Phasen vertreten
sein dürften. GFS – um nur noch ein zweites Beispiel zu nennen – schickt das
atlantische Tief in den Mittelmeerraum, so dass bei uns überhaupt keine Warmluft
ankommt. Stattdessen schneit es munter, zumindest regionsweise.
FAZIT: „Vb“ kommt, Schnee auch, vor allem im Osten und Süden (obwohl auch die
Schauer Überraschungen bringen können). Wie viel, steht noch nicht fest. Im
weiteren Verlauf der Woche lässt sich deterministisch nichts Belastbares
herausholen.
Bewertung der Ensemblevorhersagen
Die IFS-EPS-Rauchfahnen verschiedener deutscher Städte zeigen bis zum Beginn der
kommenden Woche einen gutmütigen Verlauf ohne große Streuung. Das unterstreicht,
dass hinsichtlich der Wetterlage inkl. der thermischen Entwicklung kaum Fragen
offen sind. Derweil geben sich die Niederschlagssignale deutlich volatiler, was
ebenfalls in das o.e. Weltbild passt. Interessant wird es ab Dienstag/Mittwoch,
wenn die Kurven beginnen zu divergieren. Beim Potenzial hält sich die Spreizung
aber in Grenzen bei einer tendenziellen Seitwärtsbewegung. In den
Temperaturverläufen lässt sich mit etwas Fantasie eine bifokale Entwicklung
ablesen, bei der ein Teil (inkl. Haupt- und Kontrolllauf) nach oben geht,
während ein zweiter konservativ auf der kalten Schiene bleibt. Schaut man dabei
z.B. auf München und Freiburg, entscheidet sich das Gros der Kurven für Anstieg.
Anders die Lage im Norden und Nordosten (Wangerooge, Hamburg, Rostock, Berlin),
wo die „warmen“ Lösungen in der Unterzahl sind. Dazu liefern die
Niederschlagssignale ein solides Grundrauschen.
Von den Kurven zu den Clustern, die 72-96-stündig (Sonntag/Montag) gleich mal
fünf Schubladen aufmachen. Die Unterschiede sind mit dem bloßen Auge kaum
auszumachen. Unter Zuhilfenahme einer Lupe sind aber doch kleine Positions- und
Geometriedifferenzen sowohl beim entscheidenden Bodentief als auch beim
Höhentrog zu erkennen, die ein Stück weit die heterogenen Niederschlagsprognosen
erklären.
Von Dienstag bis Donnerstag (T+120…168h) reduziert sich die Anzahl der Cluster
auf drei (21 Fälle + HL/KL, 15, 15), von denen am ehesten CL1 die o.e. Milderung
von Südwesten her widerspiegelt. Alle drei Cluster sind dem Klimaregime „NAO
negativ“ zugeordnet. Ab Freitag (T+192…240h) bleibt es bei drei Clustern (21
Fälle + HL/KL, 20, 10), von denen die ersten beiden einen leicht progressiven
Höhentrog mit zum Ende hin beginnendem Hochdruckeinfluss zeigen. CL3 hingegen
lässt den Trog in seinem Südteil abtropfen und das nördliche Residuum bei uns
einnisten.
FAZIT: Vb wird vom EPS bestätigt, die Unschärfen beim Schneefall können aber
nicht ausgeräumt werden. Der weitere Verlauf bleibt sehr unsicher.
Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen
Es ist wahrscheinlich, dass auf dem Sektor signifikanter Wettererscheinungen
mittelfristig etwas geboten wird. Am interessantesten ist natürlich die Frage,
wo fällt wie viel SCHNEE. Eine belastbare Antwort ist auch nach mehreren Stunden
Beschäftigung mit der Materie nicht möglich. Die Wahrscheinlichkeit ist aber
nicht gering, dass im Osten ab Sonntag gebietsweise größere Neuschneemengen
auftreten. Zwar sind die Hinweise seitens der Probabilistik nicht besonders,
einige deterministische Berechnungen sowie synoptische Überlegungen lassen aber
hoffen. Überraschen lassen müssen wir uns auch hinsichtlich der Schneeschauer im
Trogbereich, die ebenfalls über winterliches Potenzial verfügen, um es mal etwas
salopp auszudrücken.
Ob es ab Mittwoch irgendwo im Lande für GEFRIERENDEN REGEN mit GLATTEIS reicht,
ist sehr unsicher. Wenn, dann startet es im Süden und Südwesten.
Nächster Parameter ist STURM, der sich vor allem auf der Westflanke des Vb-Tiefs
regt. Betroffen sind in erster Linie die Ostseeküste und das Erzgebirge (hier
zusätzlich SCHNEEVERWEHUNGEN).
Bliebe noch das Thema FROST. Nach dem Schneefall besteht bei Aufklaren und
vorhandener Schneedecke die Gefahr von STRENGEM FROST, insbesondere im Bergland.
Dort herrscht auch tagsüber Frost, allerdings ist gerade im südlichen und
östlichen Tiefland ebenfalls mehrtägiger DAUERFROST möglich.
Basis für Mittelfristvorhersage
Modellmix mit IFS-EPS und MOS-Mix. Ab Mittwoch. Mal sehen.
VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann