SXEU31 DWAV 130800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 13.09.2022 um 08 UTC

GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Anfangs Wz (West zyklonal), später mehr NWz (Nordwest zyklonal)

Quartett in der Meteorologie – Vierdruckfeld mit Frontogenese sorgt ab heute
Abend für aktives Wetter mit Dauerregen wechselnder Aktivität in Teilen der
Mitte und kräftigen konvektiven Umlagerungen bis hin zu WU im Süden. Im Norden
dagegen vergleichsweise Langeweile mit Wind an der Küste.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 24 UTC

Dienstag… hat sich großräumig inzwischen eine hochinteressante Konstellation
herauskristallisiert, die auch uns in den nächsten Tagen sehr interessantes,
z.T. aber auch diffiziles Wetter bringt. Das Gute dabei: Es regnet, gebietsweise
sogar richtig fett, so wie es die Natur dringend braucht. Das weniger Gute: Im
Süden wird an der einen oder anderen Stelle vielleicht übertrieben, weil dort
der Niederschlag nicht als Landregen, sondern konvektiv geprägt in Form teils
kräftiger Gewitter runterkommt, Hagel und Sturm gratis dazu. Doch der Reihe
nach.

Die Ausgangslage zeigt Deutschland im Schnittstellenbereich zwischen einem von
Nordwestafrika bis zum westlichen Mitteleuropa reichenden Höhenrücken und einem
quasistationären Höhentief über Südskandinavien. Beim „Kampf“ um die
Vorherrschaft scheint das Tief die deutlich besseren Karten zu haben, baut es
doch langsam aber stetig immer mehr vom Rücken ab. Die Folge ist einerseits
Amplitudenverlust, andererseits eine zunehmende Zonalströmung über dem
Vorhersageraum, die mehr und mehr zyklonale Konturen annimmt. Das geht sogar,
dass es in Richtung Wochenende in eine veritable Austrogung über Mitteleuropa
mündet, mit der ein erster, zugegebenermaßen noch mit gebremsten Schaum
agierender Kaltlufteinbruch aus polaren Breiten verbunden ist. Mehr dazu aber in
der heute Mittag erscheinenden Synoptischen Übersicht Mittelfrist.
Fast noch interessanter als die Potenzialverteilung, von der eben ja nur ein
Teil der großräumigen Verteilung beschrieben wurde, ist das Muster der
Bodendruckgebilde. Viererdruckfeld heißt das Motto mit Hochs westlich Irlands
sowie über Süd- und Südosteuropa (RONALD) sowie Tiefs über Südskandinavien
(QUEENIE, gehört zum o.e. Höhentief) und dem ehemaligen Tropensturm Ex-DANIELLE
westlich der Iberischen Halbinsel plus Sekundärkern über der Biskaya. Das
nördliche Paar verfrachtet erwärmte Meereskaltluft aus nördlichen Breiten
südwärts, das südliche Paar löffelt warme Subtropikluft nordwärts, was ein
Aufeinandertreffen unausweichlich macht. Deutschland gehört zu den auserwählten
Ländern, wo dieses Aufeinandertreffen – man sprich hier von einer
frontogenetischen Situation oder einfach nur Frontogenese – stattfindet. Bereits
jetzt sind die Temperaturunterschiede zwischen Nord und Süd auf 850 hPa enorm,
heute Abend reicht das Spektrum von 5°C an der Grenze zu Dänemark und 20°C an
der Grenze zur Schweiz. Damit ist ein hochgradig baroklines thermisches Feld
geschaffen, was gute Voraussetzungen für aktives Wetter bedeutet. Allerdings
braucht es Impulse, um die Baroklinität auch umzusetzen.

Da wäre zunächst mal die Kaltfront des Tiefs QUEENIE, die sozusagen die polare
Meeresluft anführt. Sie hat mit ihrem Regenband weite Teile Nord- und
Nordwestdeutschlands bereits überquert und die westliche Mitte erreicht, wo sie
nun zunehmend ausgebremst wird durch die Bewegung von Süden. Die ohnehin nur
schwachen Niederschläge schwächen sich in den nächsten Stunden weiter ab, weil
der korrespondieren Randtrog in der Höhe nach Osten abzieht. Es dauert
allerdings nicht lange, bis von Westen her neuer Regen auf Teile NRWs, RPs und
Hessens übergreift. Auslöser ist neben frontaler Querzirkulation die Deformation
des Potenzialfeldes mit einem von West nach Ost zunehmenden Gradienten. Dadurch
weht der Höhenwind im Osten stärker als im Westen, heißt, es fließt mehr Masse
ab als nachkommt, heißt Höhendivergenz, heißt Hebung. Eigentlich ganz einfach,
wennŽs nicht so kompliziert wäre. Viel Regen fällt bis zum Abend noch nicht, es
denn, das ICON-D2-Szenario setzt sich durch. Demnach wären am Südrand des Regens
heute schon die ersten Gewitter am Start, die bei PPWs deutlich über 30 mm
Starkregen bewirken würden. Die I-D2-Meinung ist allerdings exklusiv, das Groß
der Modellwelt bevorzug eine deutlich defensivere, gewitterfreie Variante.

Was gibt es noch zu sagen zum heutigen Tag? – Postfontal lockert die Bewölkung
von Nordwesten her auf, zeitweise zeigt sich die Sonne. Da die Luftmasse stabil
ist (T850 um 6°C, T500 um -12°C), sind Schauer kein großes Thema, nach Abzug des
morgendlichen Gefissels bleibt es meist trocken. Dazu weht an der See ein
mäßiger bis frischer, auf West bis Nordwest drehender Wind mit Böen 7 Bft,
exponiert später vereinzelt 8 Bft.
Südlich der sich in der Mitte zusammenbrauenden Frontogenese tut sich heute noch
nicht allzu viel. Man profitiert noch vom scheidenden Hochdruckeinfluss, so dass
nach Auflösung morgendlicher Nebelfelder vom Schwarzwald bis hinüber nach Ober-
und Niederbayern für längere Zeit die Sonne scheint. Dort wird es mit 24 bis
29°C auch am wärmsten, während in Küstennähe die 20°C-Marke knapp nicht erreicht
wird.

In der Nacht zum Mittwoch verstärken sich die Hebungsprozesse, weil die
Strömungskonfiguration in der Höhe noch mehr Divergenz zulässt und sich zudem
ein eher im unteren Troposphärenniveau erkennbarer Sekundärtrog nähert. Hinzu
kommt ein noch besser ausgeprägter Gegensatz der Luftmassen. Insbesondere die
von Süd-Südwest einströmende Subtropikluft hat es in sich. PPW teils an die 40
mm, dazu eine zunehmende Grundschichtfeuchte, ausreichend, wenn auch abgehobene
Labilität, MU-CAPE gebietsweise über 500 J/kg und noch Scherung (LLS bis 15 m/s,
DLS um 20 m/s). Das Einzige, was nicht passt, ist die Tageszeit und vielleicht
die fehlende Dynamik. Trotzdem reicht es im Südwesten für die ersten Gewitter,
bei denen der Fokus vor allem auf dem Starkregen liegt. Dagegen fällt in einem
noch nicht zu 100% räumlich festgelegten Streifen in der Mitte skaliger Regen,
wobei die Demarkationslinie zwischen konvektiv und skaligen Niederschlägen – das
gilt auch für den weiteren Verlauf – nicht klar definiert ist. Sehr
wahrscheinlich kommt es zu Überlappungen, was das Warnmanagement nicht gerade
einfach macht, aber dazu später mehr. Aufsummiert über 12 Stunden kommen von
NRW/RP/Saarland bis hinüber nach Nordbayern und Thüringen sowie im südlichen
Sachsen 5 bis 15, lokal um 20 l/m² zusammen. Im Falle konvektiver Verstärkungen
ist lokal auch noch mehr drin, was freilich auch für die Gewitter weiter
südwestlich gilt.

Südlich der Donau passiert in dieser Nacht noch nicht allzu viel, auch wenn die
Bewölkung allmählich zunimmt. Noch weniger passiert im gesamten Norden, wo es im
Binnenland bei längerem Aufklaren auf knapp unter 10°C abkühlen kann. An der
Küste weht weiterhin ein flotter west-Nordwestwind mit Spitzen 7 Bft, exponiert
8 Bft.

Mittwoch… spitzt sich die Lage zu, weil an der quasistationären, über der
Mitte liegenden Luftmassengrenze eine flache Bodenwelle von West nach Ost zieht.
Am Nachmittag und Abend schwenkt dann auch noch ein Randtrog von der Nordsee und
Benelux zu uns rein, der ebenfalls für Impulse sorgt. Kurzum, die skaligen
Regenfälle intensivieren sich vorübergehend und auch das konvektive Geschehen im
Süden schaltet mit Unterstützung des Tagesgangs ein bis zwei Gänge hoch.
Akkumuliert über den Tag kommen in den o.e. Gebieten der Mitte etwa 10 bis 25,
in Staulagen auch bis zu 35 l/m² zusammen, bei konvektiven Verstärkungen lokal
auch noch etwas mehr.

Im Süden, also insbesondere in Bayern und BaWü, aber auch noch bis in südliche
RP und Hessen sowie ins Saarland übergreifend gilt es den Fokus eher auf
Gewitter und Starkregen zu legen. Vor allem in der zweiten Tageshälfte ist mit
Annäherung des Randtroges von Westen her mit einer erhöhten konvektiven
Aktivität zu rechnen. Aufgrund des weiterhin hohen Wasserdampfgehalts und
leidlicher Labilität kann ausreichend CAPE generiert werden, auch wenn es mit
der Einstrahlung morgen nicht mehr so klappt wie noch heute. Weiterhin sind sehr
gute Scherungsbedingungen gegeben, so dass von organisierter Konvektion bis hin
zu Superzellen auszugehen ist. Neben Starkregen sind auch größerer Hagel und
(schwere) Sturmböen nicht wegzudiskutieren, auch wenn wir uns nicht mehr im
Hochsommer befinden. Unterschätzen sollten wir auch nicht das Potenzial der von
Ex-DANIELLE herangeschaufelten Luftmasse, die latent noch immer tropische Züge
aus der Ursprungszeit aufweist. Es ist also davon auszugehen, dass die eine oder
andere rote Karte gezogen werden muss. Zusätzlich zu den Gewittern kommt noch
eine rein gradientbedingte Windauffrischung mit Böen 7 Bft, in freien und
höheren Lagen sowie im Alpenvorland mit Leitplankeneffekt auch Böen 8 Bft.

Vergleichsweise unspektakulär verläuft der Tag im Norden, der sich bei aller
gegebenen Prognoseunschärfe etwa von einer Linie Borken-Coschen bis hoch zur
Küste erstreckt. Wechselnde bis starke Bewölkung, aber kaum Schauer (am ehesten
an und über der See), dazu knapp unter 20°C und an der Küste ein etwas
nachlassender, gleichwohl noch spürbarer West-Nordwestwind.

In der Nacht zum Donnerstag breitet sich der Höhentrog über dem Vorhersageraum
weiter nach Süden aus, wodurch auch die Luftmassengrenze peu a peu südwärts
vorankommt. Derweil beehrt die nächste Kaltfront den Norden des Landes, die
einen weiteren Schwall maritimer Polarluft heranführt. Besonders wetteraktiv
scheint die Front nicht zu sein, übergreifend simulieren die Modelle nur wenig
Regen. Dafür legt der West-Nordwestwind auf der Südwestflanke der mittlerweile
dicht bei Stockholm liegenden QUEENIE wieder zu, was vermehrt Böen 7 Bft, auf
den Nordfriesischen Inseln und den Halligen auch 8 Bft zur Folge hat.

Bei allem Respekt vor dem Wind an der Küste, der in dieser Intensität dort
sowieso niemanden juckt, das „wirkliche Leben“ spielt sich nach wie vor im Süden
ab, wo es zu weiteren Regenfällen und Gewittern mit erhöhter Starkregengefahr
kommt (kurzzeitig, teils aber auch mehrstündig). Die Trennung zwischen skaligem
Regengebiet (besser Regenband) und der konvektiven Komponente wird zunehmend
unschärfer, so dass nach Auslaufen der Dauerregenwarnungen möglicherweise nur
noch mit Starkregen- und Gewitterwarnungen hantiert wird. Das letzte Wort
darüber wird aber erst morgen zu sprechen sein, wenn die Modelle vielleicht
etwas klarere Strukturen anbieten als aktuell. So oder so, die Regenmengen
fallen gebietsweise mit 10 bis 25 l/m² sehr solide aus, in Staulagen und in
konvektiven Hotspots ist durchaus auch noch mehr drin.

Donnerstag… wird der Trog über Mitteleuropa durch rückseitig einlaufende
KW-Anteile zwar regeneriert, die große Amplitudenvergrößerung bleibt zunächst
aber noch aus. Es reicht aber, um die südliche Kaltfront immer näher an den
Alpenrand zu drücken, zumal auch keine weitere Welle als Bremsklotz am Horizont
zu erkennen ist. Mit großer Beharrlichkeit verweilt das Tief QUEENIE über dem
Seegebiet unweit von Stockholm, wo sie gemeinsame Sache mit dem Hoch über
Grönland und dem nahen Atlantik macht. So kommt die nördliche, weiterhin wenig
wetteraktive Kaltfront noch etwas weiter Richtung Mitte voran, während in der
postfrontal einfließenden Polarluft T850 auf bis zu 3°C sinkt. Dabei weht an der
Küste ein lebhafter und böiger West-Nordwestwind mit Spitzen 7-8 Bft. Dazu
gibtŽs im Norden wechselnde Bewölkung mit nur wenigen Schauern und einigen
Sonnenfenstern vor allem in Küstennähe.

Die höchste Warnerregung wird nach wie vor in Süddeutschland gegeben sein, wo es
mit Luftmassenwechsel nochmalig zu teils kräftigen Gewittern und
(Stark)Regenfällen mit lokaler Unwettergefahr kommt. Ob für den Alpenrand evtl.
eine Dauerregenwarnung ausgegeben werden muss (wenn sich die Kaltfront in der
Nacht zum Freitag anschmiegt), ist derzeit noch offen. Auf alle Fälle weht im
äußersten Süden präfrontal ein mäßiger bis frischer Südwest- bis Westwind mit
Böen 7 bis 8 Bft (Leitplanke).

Die Temperatur reicht von gerade mal rund 17°C an der See bis zu 22 oder 23°C im
Süden Bayerns und BaWüs.

In der Nacht zum Freitag erreicht die südliche Kaltfront die Alpen und die
nördliche Franken bzw. Nordbaden. Regenintensität und konvektive Umlagerungen im
Süden nehmen ab, die Wetteraktivität der Nachfolgefront bleibt sowieso gering,
auch wenn es hier und da mal etwas regnet. Ganz im Norden nimmt die Schauer- und
Gewitterwahrscheinlichkeit bei weiterhin steifem bis stürmischem
West-Nordwestwind im Zuge permanenter Labilisierung zu. Die Formel dafür lautet
oben KLA (T500 runter auf rund -24°C), unten diabatischer Input durch die noch
vergleichsweise hoch temperierten Wasseroberflächen.

In der sich im ganzen Land ausbreitenden maritimen Polarluft (T850 am
Freitagmorgen 2°C an den Küsten und 8°C im Alpenvorland) kühlt es je nach
Bewölkung auf 12 bis 6°C ab. Einzig im äußersten Süden sowie lokal an der See
bleibt es etwas milder.

Modellvergleich und -einschätzung

Die beschriebene Wetterentwicklung als solche ist modellübergreifend unstrittig.
Auch hinsichtlich der Niederschläge ist man dicht beieinander, auch wenn
natürlich immer noch Unschärfen vorhanden sind. Warnstrategisch wird auf Basis
einer soliden numerischen Schnittmenge eine zeitlich gestaffelte
Dauerregenwarnung (mit dem Hinweis wechselnde Aktivität) für die (südliche)
Mitte ausgegeben, wobei von heute Abend bis Donnerstagfrüh 30 bis 50 l/m² fallen
sollen. Dabei wird ein gewisses Quantum an FAR bewusst in Kauf genommen, aber
die o.e. Unschärfen lassen eine genauere Positionierung nicht zu.
Das konvektive Geschehen weiter südlich wird weitgehend in situ abgewarnt, wobei
nicht auszuschließen ist, dass am Mittwoch oder auch noch am Donnerstag
gebietsweise präventive Starkregenwarnungen gezogen werden. Bei Überlappung von
skalig und konvektiv wird eine entsprechende Gewitter-/Starkregenwarnung auf die
RR-Warnung draufgesetzt.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann