SXEU31 DWAV 101800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Montag, den 10.06.2024 um 18 UTC

SCHLAGZEILE:
Nach Abzug des kleinen Tiefs ULJANA am Dienstagmorgen Übergang zu wechselhaftem
und recht kühlem Trogwetter.

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 06 UTC

Aktuell … sind sämtliche Blicke auf das westliche Niedersachsen – sonst eher
bekannt durch Moore, Apfelkorn und bestenfalls mittelmäßigen Fußball –
gerichtet. Hingucker, und das ist keinesfalls despektierlich oder sexistisch
gemeint, ist eine junge „Dame“ namens ULJANA, ihres Zeichens ein kleines, aber
giftiges Tief, das sich heute aus einem Bodentrog entwickelt hat (deswegen auch
noch „jung“). ULJANA ist gerade dabei, die deutsch-niederländische Grenze in
Richtung Emsland zu überschreiten, wo das Tief am frühen Abend mit einem
Kerndruck knapp über 1000 hPa erwartet wird. Korrespondierend dazu greift ein
nicht minder giftiger, weil scharf geschnittener Randtrog über, was die beiden
zu einem brisanten Pärchen macht. Betrachtet man zusätzlich noch die
Remote-Sensing-Produkte, dann fühlt man sich doch sehr stark an die Muster einer
SKZ (Shapiro-Keyser-Zyklone) erinnert, auch wenn einige dafür notwenigen
Voraussetzungen wie z.B. Doppel-Jet-Struktur oder auch warmer Kern nicht gegeben
sind. Egal, die Strukturen wie WCB und CCB (Warm/Cold Conveyor Belt) waren vor
allem heute Nachmittag ebenso gut erkennbar wie die DI (Dry Intrusion) in den
Kernbereich hinein sowie die Back-Bent-Kaltfront am westlichen Rand des Kerns.
Und selbst die eigentliche Kaltfront, die inzwischen Teile West- und
Norddeutschlands hinter sich gelassen hat, gab sich zumindest zu diesem
Zeitpunkt sehr SKZ-like. Sie war im Radar sehr gut als definiertes schmales Band
zu erkennen, welches nicht bis in den Kernbereich hineingewickelt war, sondern
vorher abrach. Inzwischen sind die Strukturen etwas diffuser geworden, aber
durchaus noch nachvollziehbar. Um nun nicht zu sehr ins
akademisch-philosophische abzudriften einigen wir uns also auf die Bezeichnung
„SK-ähnlich“, womit das Thema von Verfasserseite für erledigt erklärt wird.

Kommen wir zur Entwicklung der nächsten Stunden, in denen der mittlerweile zum
abgeschlossenen Höhentief mutierte Randtrog ebenso wie das Bodentief unter
Beibehaltung seines Kerndrucks von nahe 1000 hPa über Reeperbahn und
Elbphilharmonie zur westlichen Ostsee ziehen. Zwar schwächt sich das Tief per se
nicht ab, trotzdem nimmt die Wetterwirksamkeit – wenn auch langsam – ab. Neben
der Tatsache, dass vor allem der Trog respektive das Höhentief zusehends an
Kontur verlieren, richtet sich zudem die anfangs noch geneigte Vertikalachse des
Systems immer weiter auf, was der fruchtbaren Interaktion zwischen „oben“ und
„unten“ nicht förderlich ist. Außerdem beginnt der Gradient durch den
rückseitigen Druckanstieg allmählich aufzuweichen, was vor allem im Bereich der
stärksten Isobarendrängung direkt an der Südwestflanke des Tiefkerns gut
erkennbar ist.

Nevertheless wird zunächst noch einiges geboten beim Wetter. Da wären zunächst
mal die z.T. starken Regenfälle im Norden von NDS zu erwähnen, die sich weiter
über den Hamburger Raum bis nach SH, evtl. sogar bis zur Küste MVs ausweiten.
Dabei besteht in einem relativ schmalen Korridor die Gefahr von mehrstündigem
Starkregen zwischen 20 und 30 l/m², bevor die Wahrscheinlichkeit dafür bis zum
Morgen kontinuierlich abnimmt. Weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist
bisher das konvektive Geschehen. Zwar hat es auf holländischer Seite und
inzwischen auch bei und im Innern sowie am Rand des Tiefs (das übrigens den Hang
zur Doppelkernstruktur aufweist) punktuell mal gezündet, doch so richtig in Gang
scheinen die Überentwicklungen nicht zu kommen. Ein gewichtiger Mitgrund dafür
dürfte das Eimischen trockener Luftmassen aus höheren Troposphärenschichten
sein, die doch arg dämpfend wirken. Noch ist aber nicht aller Tage Abend und es
gilt, die Entwicklung weiter zu beobachten, wobei die Modelle nur eine bedingte
Hilfe darstellen. Wenn Gewitter, dann liegt der Schwerpunkt auf Starkregen um 15
l/m², während die Komponenten Wind/Sturm und Hagel eher auf dem absteigenden Ast
sind (was anfänglich noch auftretende Böen 9-10 Bft aber nicht ausschließt).
Ergänzend sei noch erwähnt, dass nach Abzug des Hauptregens von Westen her die
um den Tiefkern gewickelten schauerartigen Regenfälle (höhenkalte Luft um -25°C
auf 500 hPa) nachkommen (vor allem in NDS und NRW), die von der Intensität her
aber nicht mehr schlagzeilenträchtig sind.

Thema #2 neben den Regenfällen und Gewittern betrifft den Wind, der heute
Nachmittag mit einzelnen schweren Sturmböen 10 Bft im Bereich der
niederländischen Rheinmündung erstmals nachhaltig auf sich aufmerksam machte.
Übrigens genau an der Stelle, wo bei SKZ gerne mal der Skorpion zusticht
(„Sting-Jet“), auch wenn es sich bei den beiden Orten (Vlissingen und
Oosterschelde) um küstennahe und somit gerade bei Nordwest sehr windanfälligen
Stationen handelte. Heute Abend greift das räumlich nicht übermäßig große
Hauptwindfeld, das wie gesagt an die S-SW-Flanke des Tiefkerns gekoppelt ist,
mit vermehrten Böen 8, vereinzelt 9 Bft auf NRW über, um sich von dort im
Verlauf unter allmählicher Abschwächung knapp nördlich der Mittelgebirgsschwelle
gen Osten zu verlagern. Dabei dreht der Wind von Südwest auf West.

Bliebe der Vollständigkeit halber noch ein kurzer Exkurs in den Süden, wo die
teilokkludierte Kaltfront kurz vor Erreichen der Alpen noch mal ein paar
Frischzellen verpasst bekommt, nachdem sie zuvor etwas ins Stottern geraten ist.
Zum einen nimmt die Baroklinität zur südlich der Alpen lagernden Warmluft zu,
zum anderen wird etwas Aufgleiten generiert (unten NW-, oben SW-Wind). Mehr als
5 l/m² dürften aber kaum zusammenkommen.

Dienstag … zieht die gute ULJANA nebst korrespondierendem Höhentief via Ostsee
in Richtung Baltikum ab. Dabei dauert es im Nordosten bis weit in den Vormittag
hinein, bis auch die zugehörigen Regenfälle im Schlepptau des Tiefs (Stichwort
„herumgeholte Schliere“) abziehen. Dahinter gelangt Deutschland mehr und mehr
unter den bisher noch gar nicht erwähnten Haupttrog, der sich mit leicht positiv
geneigter Achse vom Nordpolarmeer über Skandinavien bis hinunter zur Iberischen
Halbinsel und sogar noch ein Stück weit darüber hinaus erstreckt. Am Boden
mischt noch immer eine alte Bekannte – die Rede ist von Tief SWANTJE – mit, die
inzwischen in Nordskandinavien ihre Zelte aufgeschlagen hat. Auf der anderen
Seite erfährt Atlantikhoch XENOPHILIUS („der Gastfreundliche“) Unterstützung vom
Ableger YOGI (der Gastfreundliche und Altbundestrainer Löw (dessen Nickname
allerdings mit „J“ geschrieben wird, aber egal) passen zur kurz bevorstehenden
Fußball-EM wie die Faust aufs Auge), der morgen Mittag knapp westlich Irlands
positioniert ist.

Zwischen dem hohen Luftdruck westlich und dem tiefen Luftdruck nord-nordöstlich
von uns wird mit westlicher Grundströmung eine Portion maritimer Polarluft (mP)
bis zu den Alpen gespült, in der T850 auf 5 bis 1°C zurückgeht. Heißt im
Umkehrschluss, dass die Tageshöchsttemperatur am morgigen Dienstag, immerhin ein

  1. Juni, unterhalb der 20°C-Marke verbleibt.

Wettertechnisch geht es sehr gemischt zu mit mehr oder weniger fetten
Quellwolken im Wechsel mit einigen Auflockerungen, im Südwesten gar sonnigen
Abschnitten. Die meisten Schauer und auch kurze Graupelgewitter entwickeln sich
im Norden und Westen, wo sich die höhenkälteste und labilste Luft (T500 um -26°C
über T850 um +2°C) befindet. Bei Höhenwinden bis zu 30 Kt sind Böen 7 Bft
häufige Begleiter, in Einzelfällen sind auch ein paar stürmische Böen 8 Bft
denkbar. Gradientbedingt frischt der westliche Wind insbesondere im Norden und
Osten böig auf mit Spitzen der Stärke 6 bis 7 Bft.

Ganz im Süden auf der Rückseite der am Alpenhauptkamm ausgebremsten Kaltfront
tröpfelt es mitunter, direkt an den Alpen auch länger andauernd leicht vor sich
hin. Hier wird die Sonne große Schwierigkeiten haben, sich irgendwie in Szene zu
setzen. Anders die Situation etwas weiter nördlich, wo sich ein breiter, vom
Oberrheingraben bis nach Oberfranken respektive der östlichen Mitte reichender
Korridor mit kompensatorischem Absinken und weitgehend trockenen Verhältnissen
etabliert.

In der Nacht zum Mittwoch zeichnet sich weit draußen auf dem Atlantik eine neue
Austrogung aus dem Raum Westgrönland/Labradorsee ab. Das ist insofern von
Bedeutung, als dass sich dadurch das großräumige Strömungsmuster ändert. Die
Wellenzahl nimmt zu, was automatisch mit einer Verkürzung der Wellenlänge sowie
einer leichten Progression der bevorstehenden Systeme einhergeht. Für den
Vorhersageraum bedeutet das eine leichte Ostverlagerung des Haupttroges, der uns
aber nicht zuletzt wegen seiner nach Südwesten zurückhängenden Exposition
weiterhin erhalten bleibt. Dass die Wetterwirksamkeit trotzdem abnimmt, ist zum
einem dem Tagesgang, zum anderen leichtem Druckanstieg geschuldet, der sich in
Form eines nach Mitteleuropa vorschiebenden Bodenkeils (Absender ist der YOGI)
widerspiegelt.

So verläuft die Nacht in weiten Landesteilen bei unterschiedlichen
Bewölkungsverhältnissen trocken und vielfach frisch. Insbesondere in der Mitte,
aber auch nach Südwesten hin kühlt es bei Aufklaren nicht selten in Richtung 5°C
oder etwas darunter ab. In einigen Mulden und Senken der Mittelgebirge droht
sogar leichter Frost in Bodennähe. Aktives Wetter tritt nur noch an den Rändern
der Nation auf: im äußersten Norden und mit Abstrichen im nordwestdeutschen
Binnenland einzelne Schauer oder kurze Gewitter, dazu ein lebhafter Wind um West
an der Küste (Böen 7 Bft). Im äußersten Süden und Südosten (Alpenrand bis hoch
ins östliche Niederbayern) durch WLA induzierter stratiformer Regen leichter
Natur. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass die Schneefallgrenze mit rund
2000 m für diese Jahreszeit vorübergehend mal recht weit nach unten absinkt.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 06 UTC

Mittwoch … bleibt der neueste Lauf von ICON 12 UTC auf Linie. Auch im
Vergleich zu anderen Modellen sind keine Auffälligkeiten gegeben. Somit hat der
Hoffmann den Aussagen der Frühübersicht des geschätzten Kollegen Hausen nichts
Erwähnenswertes hinzuzufügen.

Modellvergleich und -einschätzung

Im Großen und Ganzen läuft bisher abgesehen von den Gewittern vielleicht alles
nach Fahrplan. In den nächsten Stunden muss im Nowcast hier und evtl. noch was
angepasst werden. Danach kann man den numerischen Vorgaben aber weitgehend
trauen.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann