SXEU31 DWAV 121800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 12.01.2024 um 18 UTC

SCHLAGZEILE:
Zunächst weiterhin unangenehme Grenzschichtniederschläge jeglicher Couleur. Im
Laufe des Wochenendes zunehmend Tiefdruckeinfluss, dabei insbesondere im Norden
Wind und Durchmischung.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 06 UTC

Aktuell … wird weiter am Karriereende von Hoch HANNELORE gearbeitet, das seit
Ende Dezember die einschlägigen Wetterkarten ziert und damit als äußerst zäh
tituliert werden kann. Nun kommen die zyklonalen Einschläge allerdings immer
näher, was für die gute HANNELORE aber noch kein Grund ist, den Kopf in den Sand
zu stecken und aufzugeben. Geschickt zieht sich die hochreichende Antizyklone
ins aktuell von Tiefdruckgebieten befreite Seegebiet süd- bzw. westlich von
Island zurück, von wo aus weiterhin ein zwar schmaler, aber wirksamer Keil bis
an die Alpen und sogar noch etwas darüber hinaus gerichtet ist. Deutlich mehr
Bewegung ist auf der Nordostflanke des Hochs respektive Keils unter nördlicher
Höhenströmung in Skandinavien zu beobachten. Dort überquert gerade ein
namenloses Tief das Baltikum in Richtung Belarus, was uns aber wumpe sein kann.
Mehr Bedeutung hat da schon ein zweites Tief, das sich auf dem Weg vom Seegebiet
um Jan Mayen zu den Lofoten befindet und den Namen DAVINA trägt. Dieses Tief
korrespondiert mit einem kurzwelligen Höhentrog, der auf Norwegen und die
Nordsee zusteuert, um am Samstag über der Ostsee aufzuschlagen. Komplettiert
wird das zyklonale Setup durch eine orografisch induzierte Zyklogenese über dem
Skagerrak, aus der ein kleines Randtief von DAVINA entsteht. Dieses kleine Tief,
das eher einem Bodentrog ähnelt, wird zum samstäglichen Frühstück über dem
Oslofjord erwartet, von wo aus es weiter nach Südschweden geht.

So, und was bedeutet das Ganze nun für uns? Nun, zunächst mal Druckfall, der den
o.e. Hochkeil immer schmaler werden lässt, ihn aber nicht vollständig tilgt. Er
legt sich in der Nacht über Süddeutschland bzw. an den Alpenrand, wo er ein
kleines wolkenarmes Areal (südliches BaWü, höheres Alpenvorland) aufrechthält,
in dem die Temperatur vielfach in den mäßigen, in Alpennähe teils sogar strengen
Frostbereich zurückgeht. Stellenweise bildet sich Nebel, wobei es durchaus glatt
werden kann durch gefrierende Nässe. Dort, wo es klar bleibt, ist lokale
Reifglätte möglich.

Im großen Rest hat sich eine kalte und weitgehend gesättigte Grundschicht
konstituiert, in der Nebel und Hochnebel die Szenerie bestimmen. Nur ganz im
Norden zeigen sich ein paar Lücken. Die Absinkinversion liegt um 900 hPa (+/-),
wo die Temperatur rund -5°C beträgt. Das ist um einige Kelvin höher als die
neuralgischen -10°C, ab der mit nennenswerten, für die Schneekristallbildung
relevanten Eiskeimen zu rechnen ist. So weit die Theorie. Entgegen dieser zwar
schon häufig bestätigten, letztlich aber immer noch als zumindest teil-empirisch
anzusehenden Regel hat es ab heute Mittag in Teilen von NRW, NDS und
Sachsen-Anhalt – gekoppelt an einen ganz flachen KW-Trog in der Höhe – leicht
geschneit, was nicht nur durch mitunter fragwürdige Automatenmessungen, sondern
zusätzlich durch zahlreiche Nutzermeldungen (teils mit Bild) bestätigt wurde.
Der einzige zur Mittagszeit in der genannten Region zur Verfügung stehende
Radiosondenaufstieg von Bergen (12 UTC) zeigt an der Inversionsuntergrenze (870
hPa) eine Temperatur von etwa -6°C. Darüber erhebt sich eine vertikal mächtige
Trockenschicht, die Seeder-Feeder-Prozesse quasi zu 100% ausschließt. Da die für
diesen Zeitpunkt vorliegenden Modelltemps die Messung von Bergen bestätigen,
stellt sich die Frage „warum Schnee oder Schneegriesel und kein (gefrierender)
Nieselregen?“. Zwar wurde dieser vornehmlich am Rande des kleinen
Niederschlagsgebietes auch registriert, die Meldungen signalisierten aber
mehrheitlich Schneefall. Um die Frage einigermaßen substanziell zu beantworten,
bedarf es einer sorgfältigen Nachanalyse, die aber nicht mal eben an einem
Freitagnachmittag im operationellen Dienst zu bewerkstelligen ist. Wir bleiben
dran.

Schlussfolgernd aus dieser Beobachtung lässt sich festhalten, dass die
Bestimmung der Phase bei schwachen, aus einer vertikal nicht besonders mächtigen
Grundschicht fallenden Niederschlägen eine schwierige, von konzeptionellen
Überlegungen abweichende Angelegenheit ist, bei der „Laienbeobachtungen“ sprich
Nutzermeldungen eine essenzielle Hilfe für die Beurteilung der Lage vom
Schreibtisch aus darstellen. Vor diesem Hintergrund gilt es auch die Entwicklung
in der kommenden Nacht einzuordnen, in der es in der Mitte, später mit
Annäherung des o.e. Randtrogs auch wieder im Norden zu leichten Niederschlägen
kommt. Aufgrund des auffrischenden westlichen Windes (an der Nordsee vermehrt,
an der Ostsee nur vereinzelt und exponiert Böen 7 Bft) und der damit
einhergehenden guten Durchmischung bleibt es im Nordwesten frostfrei und bei
unkritischem Regen/Nieselregen. Ansonsten hält sich aber leichter Frost oder
sind zumindest noch die Böden gefroren, so dass die Glättegefahr bei den
gebietsweise fallenden leichten Niederschlägen wieder zunimmt. Ob dieser als
gefrierender Nieselregen oder als Schnee(griesel) fällt, ist vor dem Hintergrund
der o.e. Beobachtungen schwer zu beurteilen, zumal auch die Modelle in ihrer
subjektiven Wetterinterpretation unterschiedliche Lösungen anbieten. Fakt ist,
dass die Glätte durch freezing drizzle gefährlicher und – weil häufig nicht
sofort sichtbar und sehr plötzlich – tückischer ist als Schneeglätte.

Samstag … schwenkt besagter Trog über Südskandinavien und die Ostsee hinweg
nach Polen. Dabei nimmt er das kleine Randtief von Oslofjord mit, das sich via
Südschweden in Richtung Gotland (Nacht zum Sonntag) verlagert. An der
Süd-Südwestflanke des Tiefs verschärft sich der Gradient, was insbesondere im
Norden und Osten einen auffrischenden Südwest- bis Westwind, an der Nordsee
West- bis Nordwestwind zur Folge hat. Für die Küsten bedeutet das vermehrt Böen
7-8 Bft, vereinzelt an der Ostsee 9 Bft. Im küstennahen Binnenland stehen steife
Böen 7 Bft auf der Karte. Wie weit diese ins küstenferne Binnenland nach Süden
ausgreifen, ist schwer zu beurteilen. Zwar sind die Oberwinde mit 40 bis 45 Kt
auf 925 hPa recht prominent unterwegs, doch ist die Labilität nicht gerade
überbordend ausgeprägt, um einen ungestörten Impulstransport nach unten zu
gewährleisten. Auch reicht der Gradient nicht aus, um flächendeckend 7er-Böen zu
generieren. Kurzum, im nord- und ostdeutschen Binnenland reicht es in
Schauernähe für die eine oder andere, in der Nähe von Mittelgebirgen
(Leitplanke, Lee) auch etwas häufigere „7“, was bewarnt werden kann, nicht muss.
Stürmisch bis sehr stürmisch (9-10 Bft) geht es hingegen auf dem Brocken und dem
Fichtelberg zu.

Und sonst so? – Nun, der Ball rollt am Nachmittag wieder, der 17. und damit
letzte Spieltag der Bundesligahinrunde steht auf dem Plan, was hier aber nicht
näher vertieft werden soll, obwohl es der Verfasser gerne machen würde. Wetter
ist das Thema, und da sieht es so aus, dass die Wolkendecke in der von der
Nordsee frisch einfließenden maritimen Polarluft (mPs; Rückgang T850 bis zum
Abend mit Ausnahme des äußersten Südens und Südwestens auf -3 bis -7°C) von der
See über die Mitte bis in den Süden weitgehend geschlossen bleibt. Nur ganz im
Süden, wo weiterhin „Keil HANNELORE“ die Stellung hält, darf abseits einiger
zäher Nebelfelder ein größeres Sonnenfenster gefeiert werden. Auch besteht an
den Küsten im Tagesverlauf die Chance, dass sich die ein oder andere
Auflockerung zeigt. Ansonsten aber Grautöne en masse, dazu zeitweilige, teils
schauerartige, aber nicht allzu intensive Niederschläge. Diese fallen aufgrund
guter Durchmischung und des damit einhergehenden Temperaturanstiegs nördlich der
Mittelgebirgsschwelle zunehmend als unkritischer, weil nicht glätteerzeugender
Regen. Nur in den Morgenstunden sollte man sich im Nordosten diesbezüglich in
Hab-Acht-Stellung begeben, sofern man Wege und Straßen betritt respektive
befährt. In den Mittelgebirgen, wo ein Anstieg der Tagestemperaturen ohne Hilfe
von Einstrahlung gerade in geschützten Lagen traditionell eher eine schleppende
Angelegenheit ist, könnte sich die Glätte- bzw. Glatteisproblematik noch etwas
länger hinziehen. Dabei ist die Bestimmung der Phase einmal mehr das
Grundproblem. Die Intensitäten liegen im 0,0- bis maximal vielleicht
0,2mm-Bereich innert einer Stunde, was gammelig und undankbar ist. Hinzu kommt,
dass die gesättigte Grundschicht noch immer nicht über die berühmten -10°C an
der Obergrenze hinauskommt. Erst am Nachmittag, wenn sich eine schwache
Okklusion nähert, wird die Schicht etwas gestreckt bzw. könnten von oben
Eiskristalle in die feuchte Grundschicht fallen („seeder-feeder“). Schaut man
sich die Wetterinterpretation von ICON-Nest an, wird komplett auf die
Schneephase gesetzt. Dagegen favorisiert ICON-D2 leicht den gefrierenden
Sprühregen, hat aber auch Schneessterne im Angebot. Fragen? Letztlich läuft es
erneut auf Nowcasting hinaus, wobei Nutzer wissen sollten, dass es im zentralen
Mittelgebirgsraum glatt werden kann -so oder so.

Während es im Norden und in der nördlichen Mitte abgesehen von einigen Hochlagen
sowie versteckten Mulden und Tälern frostfrei bleibt (vom Emsland bis nach
Schleswig 5-7°C), stehen weiter südlich Tageshöchstwerte zwischen 0 und -5°C auf
der Karte.

Die Nacht zum Sonntag verbringen wir unter einer recht glatten nordwestlichen
Höhenströmung ohne großartige Trog-Keil-Strukturen. Trotzdem kommt es im Norden
und in der Mitte zu weiteren Niederschlägen, die sich gegenüber dem Tag sogar
noch etwas intensivieren (WLA). Nördlich der Mittelgebirge fällt bei weiterhin
guter Durchmischung Regen, nach Osten hin teils mit Schnee vermischt (aber ohne
Glätte). Im Bergland, insbesondere im Harz und im Erzgebirge, wo die
Feuchtschicht gestreckt wird, fällt oberhalb 400 bis 600 m Schnee (1 bis 5, im
Harz vielleicht bis zu 10 cm). Nach Westen und zur Mitte hin bleibt die
Phasenbestimmung eine Gratwanderung mit den o.e. Problemen, so dass die
Glätteproblematik latent erhalten bleibt. Die Frage wird auch sein, wo genau die
Grenze zwischen Niederschlag und kein Niederschlag zu liegen kommt. So gibt es
Anzeichen, dass Richtung Mittelrhein, Mosel und Main nicht mehr allzu viel unten
ankommt. Im Süden bleibt es meist trocken und frostig, an den Alpen lokal um
oder unter -10°C. An der Windsituation ändert sich wenig.

Synoptische Entwicklung bis Montag 06 UTC

Sonntag … Es gelten die Ausführungen der heutigen Frühübersicht. Der
12-UTC-Lauf von ICON zeigt keine gravierenden Änderungen.

Modellvergleich und -einschätzung

Das Hauptproblem der Vorhersage – und das sollte in den o.e. Ausführungen klar
geworden sein – ist die Bestimmung der Niederschlagsphase. Sehr unangenehm zu
bewerten aus der Schreibtischperspektive. Eine regionale kleine
Schneefallwarnung z.B. in den zentralen und östlichen Mittelgebirgen über die
Basisglättewarnung hinaus wäre genauso akzeptabel (aktuelle aber nicht zwingend)
wie eine temporäre Aufstockung auf markante Glätte, was soeben passiert ist.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann