#SYNOPTISCHE ÜBERSICHT #MITTELFRIST ausgegeben am Dienstag den 06.12.2022 um 10.30 UTC
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 06.12.2022 um 10.30 UTC
Ab dem Wochenende Vb-Entwicklung mit Schneefällen insbesondere im Süden und
Osten. Im Laufe der nächsten Woche spannende Grenzwetterlage nicht
ausgeschlossen.
Synoptische Entwicklung bis zum Dienstag, den 13.12.2022
Es gibt Mittelfristdienste, da kommt man, schaut, registriert, formuliert und
gut ist. Routine halt, ohne nennenswerte emotionale Ausschläge. Es gibt aber
auch Dienste – und am heutigen Nikolaustag ist so einer -, an dem die Erregung
bzw. Vorfreude auf eine potenzielle Entwicklung merklich ist. Nicht so, dass man
kurz vorm Herzinfarkt steht oder einem vor lauter Fingerzittern die Beherrschung
der Tastatur verloren geht. Aber gewisse, Ansätze von Euphorie zeigende Regungen
sind in der Selbstdiagnose klar erkennbar, ein bisschen so wie beim Kinde (oder
vielleicht auch Erwachsenen) vorm Weihnachtsfest. Schön und gut, aber woran
denkt denn der Hoffmann nun die ganze Zeit, was gibtŽs denn so Spannendes? – Der
Reihe nach.
Zu Beginn des mittelfristigen Prognosezeitraums am kommenden Freitag liegt
Deutschland am Südrand eines Höhentiefkomplexes über Nordeuropa, von dem aus
sich ein Randtrog bis zur Iberischen Halbinsel erstreckt. Der Trog zieht bis
Samstag ins westliche, bis Sonntag dann ins zentrale Mittelmeer, wobei er seine
Konturen schärft (definierte Amplitude, zunehmende Krümmung). Im Bodendruckfeld
befinden wir uns zunächst zwischen den Stühlen, einem Tief über der Nordsee und
einer Tiefdruckzone über Südeuropa. Strömungstechnisch geht es dabei ziemlich
flau zu und auch in Sachen Niederschlag passiert wenig. In moderater Kaltluft
(T850 immerhin -2 bis -8°C, T500 im Norden um -35°C) fällt im äußersten Süden
etwas Regen oder Schnee, im Norden (vor allem über und an der Nordsee)
entwickeln sich Schnee-, Regen- und Graupelschauer.
Am Wochenende setzt der o.e. Trog eine Zyklogenese über dem Ligurischen Meer in
Gang, aus der ein wunderschönes Vb-Tief nach van Bebber entsteht. Das Tief zieht
am Sonntag und zu Wochenbeginn in Richtung nahes Osteuropa, wobei der Hauptkern
(während der Verlagerung zeigen die Wetterkarten immer wieder auch kleinere
Randtiefs) am Montag Belarus erreicht. Die zugehörigen Aufgleitprozesse erfassen
zunächst den Süden und später auch den Osten, wobei es zu teils länger
andauernden und gebietsweise recht ordentlichen Niederschlägen kommt. Da die
Temperatur weiter sinkt – T850 geht im Süden und Osten durch Hebungsabkühlung,
teils aber auch advektiv auf Werte um
-10°C zurück -, fällt der Niederschlag bis ganz runter als Schnee (nur anfangs
vielleicht noch etwas Regen am Start).
In den übrigen Landesteilen deutet sich leicht wechselhaftes Trogwetter mit
einzelnen Schauern an. Bei T850 um -7°C (zumindest ab Sonntag) überwiegt in den
Schauern die feste Phase und natürlich kann auch mal ein kurzes Kaltluftgewitter
mit von der Partie sein.
Am Dienstag setzt sich leichter Zwischenhocheinfluss durch. Der Trog wird nach
Osten durchgereicht und durch einen flachen Rücken ersetzt, der aber rasch
ostwärts wandert. So, liebe Freunde, und nun wird es spannend, auch wenn wir uns
schon an der Nahtstelle zur erweiterten Mittelfrist befinden. Die Höhenströmung
beginnt zu zonalisieren und die Frontalzone sich recht weit südlich zu
platzieren (GWL-Typus Ws südliche Westlage). Gleichzeitig etabliert sich in
Bodennähe ein Viererdruckfeld mit Tiefs im nahen Osten und Nordosten Europas
sowie hohem Luftdruck im Raum Grönland/Island (Paar #1), dem Tiefs über dem
nahen Atlantik und ein eher schwaches Hoch über Süd-Südosteuropa gegenüberstehen
(Paar #2). Während die Interessen von Pärchen #1 darin liegen, kalte Luftmassen
aus hohen Breiten möglichst weit nach Süden zu verfrachten, liegt das Vorhaben
von Pärchen #2 diametral entgegen. Sprich, es wird versucht, milde bzw. warme
subtropische Luftmassen nach Norden zu befördern, was zusammen einen brisanten
Mechanismus ergibt. Mischen funktioniert nämlich nicht so gut wie bei Cola und
Fanta, also bildet sich eine sogenannte Luftmassengrenze aus, was man gemeinhin
als Frontogenese bezeichnet. Nehmen wir T850 und den Donnerstag (15.12.) als
Referenz, dann zeigt IFS über Deutschland eine lupenreine, zonal angeordnete
Isothermendrängung, deren Schwerpunkt (also die höchste Baroklinität) genau über
der Mitte liegt. Die Spanne reicht von knapp über -12°C an der Grenze zu den
WM-Versagern aus Dänemark (okay, okay, wenn man im Glashaus…) bis nahe +5°C im
Chiemgau! Doch damit nicht genug. Die zyklonale Höhenströmung, der dominierende
Einfluss des östlichsten der atlantischen Tiefs sowie frontogenetische Antriebe
sorgen für reichlich und andauernden Niederschlag, bei dem alle Phasen vertreten
sind. Vereinfacht fällt Schnee in der Mitte und in Teilen Norddeutschlands und
Regen im Süden. Im Übergangsbereich stellt sich ein mehr oder weniger breiter
Übergangbereich mit gefrierendem Regen und Glatteis ein. In Teilen erinnert die
Lage an den 6./7./8. Februar 2021, wo eine ähnliche Niederschlagsverteilung
aufgetreten ist. Vor allem dort, wo viel Schnee fiel, kamen auch noch heftige
Verwehungen dazu. Auch in diesem Fall wird auf der kalten Seite ein lebhafter
Nordostwind gerechnet.
Also, für Spannung ist gesorgt und alle Vollwetterfans hoffen natürlich, dass
aus der konjunktivischen Vorhersage eine indikative Wetterlage wird. Schaun mer
mal…
Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs
Legt man den Maßstab nicht allzu streng an, was bei Mittelfristprognosen der
Fall sein sollte, kann dem IFS (ECMF) eine solide Konsistenz bescheinigt werden.
Demnach ist unstrittig, dass wir zunehmend in den inneren Bereich eines
umfangreichen, mit Kaltluft gefüllten Höhentrogs gelangen. Der Trog induziert
südlich der Alpen ein Tief, das auf nordöstlicher Bahn in Richtung nahes
Osteuropa zieht (sogenanntes Vb-Tief). Die Frage ist nun – und jetzt beginnen
die Unschärfen – wie sind Trog und Tief geometrisch konfiguriert und welche
Zugbahn schlägt das Tief genau ein. Um es kurz zu machen, die Niederschläge, die
das Tief generiert und ab Samstag auch den Vorhersageraum betreffen, werden von
Lauf zu Lauf unterschiedlich simuliert (Intensität und genaue räumliche
Verteilung). Man kann aber davon ausgehen, dass im Wesentlichen der Süden und
Osten betroffen sind und dass hauptsächlich Schnee fällt.
Was die Frontogenese im Laufe der nächsten Woche betrifft, so war davon im
gestrigen 00-UTC-Lauf noch nicht viel zu sehen. Erst der 12-UTC-Lauf tendierte
in diese Richtung, wenn auch noch nicht so stark ausgeprägt.
Vergleich mit anderen globalen Modellen
Die Troglage mit dem vorgelagerten Vb-Tief haben eigentlich alle auf dem
Prüfstand stehenden Globalmodelle – namentlich ICON, GFS, GEM und UK10 – auf der
Karte. Ähnlich wie bei der Konsistenzbetrachtung unterscheiden sich die Modelle
aber hinsichtlich der Geometrie des Troges bzw. der genauen Zugbahn und
Konfiguration des Tiefs. Dabei fällt u.a. auf, dass die meisten anderen Modelle
von Samstag bis Montag nicht nur mehr Schneefall simulieren, sondern diesen auch
etwas großflächiger verteilen und dazu auch noch Wind anbieten. Ein besonderes
Schmankerl haben dabei die „Briten“ im Angebot (UK10), die am Montag auf Rügen
bis zu 90 l/m² Niederschlag innert 24 h rechnen, wovon das meiste als Schnee
fällt – Fragen. Mit diesem eher unwahrscheinlichen Szenario steht UK10 exklusiv
da, aber eine Erwähnung ist es wert.
Bezogen auf die erweiterte Mittelfrist deutet GFS (zumindest der Lauf von 00
UTC, der von 06 UTC bleibt überall kalt) ebenfalls eine frontogenetische
Situation an, allerdings mit weniger Baroklinität und deutlich antizyklonaler
(=> weniger Niederschlag).
FAZIT: Die Vb-Entwicklung scheint zu kommen, die genauen Auswirkungen
insbesondere in Bezug auf den Niederschlag sind aber noch unsicher. Weitgehend
sicher ist allerdings, dass der Niederschlag fast ausschließlich als Schnee
fällt.
Dass die Frontogenese im Laufe der nächsten Woche noch auf ganz schmalen Füßen
steht, ist allein schon aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine einzige
deterministische Lösung handelt, evident.
Bewertung der Ensemblevorhersagen
Die letzte Aussage wird übrigens auch von den Ensembles des ECMF gestützt.
Betrachtet man die EPS-Rauchfahnen verschiedener deutscher Städte, lassen sich
bis Sonntag, teils auch noch für Montag sehr eng gebündelte Kurvenverläufe
konstatieren. Das Maximum der Niederschläge wird im Süden am Samstag/Sonntag, im
Osten am Sonntag/Montag gesehen. Im Laufe der nächsten Woche laufen die Kurven
deutlich auseinander, wobei sich aber gewisse Trends ablesen lassen. So fällt
auf, dass das Gros der Temperaturverläufe im Osten und Norden auf der kalten
Schiene bleibt, während es im Süden und Westen her andersherum ist. Das würde
zunächst mal die Aussage des Hauptlaufs stützen, auch wenn damit noch nichts
über die Ausprägung der Baroklinität gesagt ist. Zu erwähnen ist, dass der
Kontrolllauf die Erwärmung bis in den Nordosten vorankommen lässt.
Beim Potenzial zeigt der Trend zu Beginn der Woche allgemein etwas nach oben,
bevor die Verteilung diffuser wird. Auf alle Fälle werden in der Woche nach
einem Minimum zu Beginn immer wieder Niederschlagssignale angeboten.
Nach nur einem einzigen Cluster für Freitag/Samstag (T+72…96h) geht die Zahl ab
Montag (T+120…168h) hoch auf vier. Sie alle deuten den Übergang zu einer
südlichen Westlage an (Ws) und sind entsprechend dem Zirkulationsmuster „NAO
negativ“ zugeordnet. In der erweiterten Mittelfrist ab Mittwoch (T+192…240h)
werden drei Cluster angeboten, die schwer einzuordnen sind. Letztlich wir ein
mal mehr, mal weniger ausgeprägter Trog bei uns angeboten.
FAZIT: Die Vb-Geschichte wird von den Ensembles gestützt, wenn auch noch mit
Unschärfen in den Auswirkungen. Was das Geschehen danach angeht, sind konkrete
Aussagen schwierig.
Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen
Der Blickpunkt in diesem Kapitel richtet sich eindeutig auf die vom Vb-Tief
ausgelösten Schneefälle im Süden und Osten. Dass diesbezüglich andere Modelle
offensiver aufgestellt sind als IFS, wurde weiter oben bereits kommuniziert. Die
EPS-Prognosen simulieren trotz kleinerer Hinweise (z.B. im EFI) keine
überdimensionalen Schneemengen, trotzdem wurde auf die wenn auch geringe
Möglichkeit (Osten, Süden) im offiziellen Bulletin (Wochenwetter Wettergefahren)
hingewiesen.
Was die Entwicklung danach angeht, sollten wir uns bei aller geweckten Euphorie
noch etwas in Zurückhaltung üben.
Basis für Mittelfristvorhersage
MOS-Mix mit IFS-EPS und ein bisserl Bauch.
VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann