S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 26.11.2022 um 10.30 UTC

Leicht wechselhaft und etwas kälter. Nächte frostig und regionale Glätte.

Synoptische Entwicklung bis zum Samstag, den 03.12.2022

Jüngst haben wir die Entwicklung der Störungsausbreitung betrachtet, die vom
skandinavischen Sektor stromab (Asien) und stromauf initiiert wurde. Auch der
zeitlich begrenzte Einfluss der aktuell mäßig stark ausgeprägten MJO Welle in
Phase 7 (und unter stetiger Abschwächung bis zur Auflösung innerhalb des
Einheitskreises fallend bzw. zur 8 wandernd) wurde eingebaut. Allerdings
beschränken sich diese Abschwächungstendenzen weiterhin auf den unteren Bereich
des Polarwirbels (Troposphäre und untere Stratosphäre). Darüber wird während der
Mittelfrist erneut mit einer Zunahme der zonal gemittelten Windgeschwindigkeiten
in 10 hPa gerechnet und zwar nach IFS-ENS auf Werte jenseits des
klimatologischen Mittels.

Doch sind diese beschriebenen Szenarien alles nur Bausteine im Rad der
subsaisonalen Vorhersage und manchmal schiebt sich eines der Bausteine erst im
Verlauf der Entwicklung immer mehr in den Vordergrund – so auch heute.

Wie beschrieben sorgte und sorgen die blockierende Antizyklone über
Skandinavien/Karasee sowie die negative PNA Signatur (forciert u.a. aus den
Tropen heraus) weiterhin für mäßig starke vertikale Wärmeflüsse, die konstant
den Polarwirbel z.B. in 50 hPa Höhe schwächen und in zwei dominante Zentren
aufspalten. Eines liegt über dem nördlichen/östlichen Asien sowie der Laptewsee.
Das andere Drehzentrum schiebt sich erneut weiter in Richtung
kanadisch-arktisches Archipel. Aus diesem deformierten Bereich und cross-polarer
Verbindung strömt nun eine arktische Luftmasse mit negativen 850 hPa
Temperaturanomalien von 10 bis 20 Kelvin zum CFSR Klimamittel (81-10) in
Richtung Kanada sowie in Richtung östliches und nördliches Russland, Mongolei
und China/ Japan (DIE Lage für „lake effect“ Schnee in Japan, Eisschrank-Werte
in Ostasien und Pulverschnee in den nördlichen Rockies).

Die genannte Konfiguration sorgt über Europa während dieser Mittelfrist für eine
Fortdauer der äußerst gradientarmen Bedingungen, sodass sich jegliche
Rossby-Wellenzüge (u.a. forciert durch die negative PNA) in unserem Bereich an
der blockierenden Antizyklone totlaufen und es zu keiner nennenswerten
Wellenverlagerung mehr kommt. Schaut man sich die EKE an (eddy kinetic energy),
so ergeben sich zwei Aktionszentren: eines über dem Nordostatlantik in Richtung
Island gerichtet und ein weiteres in Richtung zentrales Mittelmeer gerichtet.
Entsprechend deutet sich also u.a. für das zentrale/östliche Mittelmeer ein
agiler Abtropfprozess an. Ansonsten ergeben sich keine nennenswerten
Energieflüsse in weiten Bereichen Europas.
Zudem läuft die arktische Luftmasse sehr weit östlich nach Süden ab, was dem
sich bildenden intensiven Bodenhoch über Skandinavien/Nordwestrussland nicht
ermöglicht arktische Luftmassen nach Westen zu zapfen. Das heißt nicht, dass den
Osten und Norden Europas die v.a. durch Eigenproduktion erzeugte winterliche
Luftmasse nicht erreichen würde, zumal die nordhemisphärische Schneeverteilung
gut aussieht, doch sind wir weit ab von dem, was grundsätzlich bei solch einer
synoptischen Ausgangslage möglich wäre.
Auch zu beachten gilt es der von Westen nach Europa hereinlaufenden Energie in
Form absterbender und ggf. in Richtung Mittelmeer abtropfender Kaltluftköper,
die ggf. mit Warmluftadvektion die kalte Luftmasse von Süden „vermischen“. Im
baroklinen Übergangsbereich und natürlich im Umfeld von
Höhentiefs/Kaltlufttropfen kann es allerdings gut und gerne mal winterliche
Überraschungen geben.

Doch könnte das Spannendes erst noch bevorstehen und zwar in der direkt an die
Mittelfrist anknüpfenden erweiterten Mittelfrist. In die oben beschriebene
Konfiguration zeichnet sich nun eine weitere Entwicklung ab, die dem Polarwirbel
besonders im unteren Bereich nachhaltig zusetzen könnte – und zwar bottom-up
(von unten nach oben gerichtet). Wir sprechen hierbei vom sogenannten
Skandinavien-Grönland Muster, das aus einem Trog besteht, der auf Grönland
trifft sowie hohem Geopotenzial über Skandinavien (Lee et al. (2020)). Ausgelöst
durch diese Konfiguration wurden in der Vergangenheit u.a. anormal kräftige
Wärmeflüsse beobachtet, die in die Stratosphäre gerichtet sind, was auch in den
jüngsten Vorhersagen angedeutet wird. In der Folge würde sich bis in ein Niveau
von 50/30 hPa (und selbst im 10 hPa Bereich erkennbar) eine signifikante
Keilaufwölbung über Nordwesteuropas etablieren, die endgültig jede
Atlantikkomponente herausnehmen würde. Mit dieser Entwicklung wäre der Weg frei
für eine retrograde Verlagerung/Neuentwicklung der Antizyklone von Skandinavien
in Richtung Grönland inklusive häufig stattfindendem antizyklonalem
Wellenbrechen an deren Süd-/Ostflanke. Daraus folgend wäre dann auch ein
direktes Anzapfen der arktischen Luftmassen in Richtung Europa ein Thema.
Übrigens springt die neue Berechnung des IFS-ENS der 10 hPa Winde wohl u.a. auf
diese Entwicklung an und beginnt die Zonalwindgeschwindigkeit wieder deutlicher
nach unten zu korrigieren, wobei die stärksten Auswirkungen/Abschwächungen im
unteren Bereich des Polarwirbels zu erkennen sind (bottom-up).

Am Rande sei noch erwähnt, dass die Verteilung der Wetterregimesvorhersage vom
jüngsten IFS-ENS eine beeindruckende Dominanz der Blockierung anzeigt und das
bis weit in den Dezember und auch die 2D Wahrscheinlichkeitsverteilung vom ENS
setzt nun verstärkt auf Blockierung/NAO-.

Fazit: Die nordhemisphärische Entwicklung ist weiterhin sehr spannend und birgt
auch einiges an Überraschungen. Die in dieser Mittelfrist einsetzende Ostlage
könnte sich mit Blick auf die Temperaturentwicklung in Deutschland dank des
mediterranen Einflusses noch sehr zurückhaltend auswirken, was aber im Endeffekt
von der exakten Geometrie der Antizyklone abhängt. In der Folge (erweiterte
Mittelfrist) sehen die Zeichen für Advektion arktischer Luftmassen besser aus,
doch jegliche Advektionsrichtung ist natürlich noch reine Spekulation (ob
kontinental geprägt, oder als modifizierte marine Luftmasse). Und dann bleibt
natürlich auch die Frage, inwieweit sich der gesunde obere Bereich des
Polarwirbels wieder bemerkbar machen kann.

Die heutige Mittefrist vom Dienstag, den 29.11. bis Samstag, den 03.12. kann
insgesamt als leicht wechselhaft zusammengefasst werden, wobei im Verlauf die
Ostströmung an Dominanz gewinnt. Abhängig von der Interaktion zweier
Kaltluftkörper über dem westlichen Mittel- bzw. Westeuropa kann ab Donnerstag
auch das Übergreifen von winterlichen Begleiterscheinungen wie Schneefall von
Osten nicht ausgeschlossen werden, wenngleich von winterlichem Wetter bei
nass-kalten Temperaturwerten besonders im Tiefland eher weniger die Rede sein
wird.

Es stehen weder gröbere Windentwicklungen, noch größere Niederschlagsereignisse
bevor. Alles in allem eine sehr ruhige Mittelfrist mit dem dominanten Thema der
„Grenzschichtdynamik“.

Die Höchstwerte liegen am Anfang noch von Ost nach West zwischen 4 und 9 Grad,
im Nebel nur wenig über Null Grad und gehen in der Folge auf Höchstwerte von nur
wenig über 0 Grad zurück (2 bis 5 Grad, wobei es in Richtung Niederrhein am
mildesten bleibt). Lokale Frosttage sind bei hartnäckigem Nebel natürlich auch
im Tiefland möglich.

In den Nächten droht von Ost nach West ausgreifend verbreitet leichter Frost,
zum Ende im Bergland auch mäßiger Frost und im Bergland könnte es dann auch
Eistage geben.

In der erweiterten Mittelfrist ändert sich zunächst wenig an dem
hochdruckdominierten Wetter, bevor in der Folge (aus heutiger Sicht Mitte/Ende
übernächster Woche) dann der Blick nach Norden zu richten ist.

Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs

Die jüngsten IFS-Läufe beginnen recht einheitlich und zeigen einen nahezu
gradientfreien Bereich im 500 hPa Geopotential über Deutschland. In der Folge
gibt es dann eine rasche und nachhaltige Zunahme der Unsicherheiten, dank der
bisher kaum vorhersagbaren Zugbahn mehrerer Kaltlufttropfen/Höhentiefs, die sich
über dem Westen Deutschlands/Benelux und Frankreich zu einem größeren Höhentief
vereinigen könnten.

Vergleich mit anderen globalen Modellen

Eine ähnliche Unsicherheit, wie beim IFS, besteht auch bei den anderen
internationalen Modellen mit Blick auf die Interaktion mehrerer Kaltluftkörper.
Es zeichnet sich zum Ende der Woche von Osten etwas Niederschlag ab, eine
genauere zeitliche Eingrenzung ist jedoch noch nicht möglich. Insgesamt
dominiert auch hier die gradientschwache Umgebung.

Bewertung der Ensemblevorhersagen

Die Clusteranalyse hebt die insgesamt unsichere Entwicklung durch 5, respektive
4 Cluster hervor. Dabei ist jedoch nicht die grundsätzliche Verlagerung der
blockierenden Antizyklone gemeint, die überraschend einheitlich gezeigt wird,
sondern mehr deren Geometrie und die zahlreichen abgetropften Gesellen, die in
Intensität und Lage sicherlich noch einiges an Überraschungen bereithalten.

Die Cluster zeigen in dieser Mittelfrist sehr schön die beiden blockierenden
Protagonisten – die skandinavische Antizyklone und der sich entwickelnde Keil
bei Island. Bis in die erweiterte Mittelfrist soll dabei diese Anomalie
beständig retrograd nach Westen wandern und weist sowohl von der Intensität als
auch vom Umfang beeindruckende Werte auf. Die Folge ist ein verriegelter
Atlantik und mit der nach Island/Grönland wandernden positiven
Geopotenzialanomalie stünde die Tür offen für (aus synoptischer Sicht) spannende
Zeiten.

Der Kontroll- und der det. Lauf springen von 1 zu 2. Ansonsten ergeben sich auch
mit Blick auf eventuell durchziehende Kaltlufttropfen/Höhentiefs zahlreiche
Diskrepanzen, die jedoch mittelfristig prognostisch noch nicht gelöst werden
können.

Die Meteogramme zeigen besonders im Nordosten eine sukzessive Abnahme der 2m
Temperatur in Richtung „etwas über 0“ mit durchweg frostigen Nächten. Zudem
deuten sich ab Donnerstag in vielen Meteogrammen im Osten und Norden
Niederschläge an, die teils als Schnee fallen können. Wenigstens vorübergehend
kann es regional etwas „matschig-winterlich“ werden.

Die Rauchfahnen zeigen trotz der genannten Unsicherheiten insgesamt einen
überschaubaren „spread“, wobei der HRES und Kontrolllauf beim 500 hPa
Geopotenzial innerhalb der Memberschar, beim 850 hPa Temperaturniveau teils am
unteren Ende liegen. Sicherlich ist in dem Fall mehr der stark schwankende HRES
Lauf zu gewichten, der die Höhentiefs/Kaltlufttropfen besser auflöst. Allerdings
ergeben sich auch hier noch große Unsicherheiten bezüglich der Verlagerung und
Intensität dieser zyklonalen Wirbel.

Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen

Abgesehen von einzelnen stürmischen Böen im Küstenumfeld aus Ost sind die
Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen gering. Dies schließt
allerdings nicht aus, dass z.B. Glätte regional als „markant“ ausgegeben werden
könnte.

Basis für Mittelfristvorhersage
IFS, IFS-ENS, GEFS, MOSMIX

VBZ Offenbach / Dipl. Met. Helge Tuschy