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S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 19.06.2022 um 18 UTC

Markante Wettererscheinungen:
Vorerst Höhepunkt der frühsommerlichen Hitze erreicht – Kaltfront auf dem Weg
nach Süden. Im Laufe der Nacht bis in den Montag hinein vom Westen bis in die
östliche Mitte Gewitter und schauerartige Regenfälle, vornehmlich mit
Starkregengefahr. Später im Süden noch einzelne Warmluft-, im Nordosten
Kaltluftgewitter.

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 12 UTC

Aktuell … nähern wir uns langsam aber sicher dem Ende eines aus
meteorologischer Sicht bemerkenswerten Wochenendes – übrigens dem letzten des
kalendarischen Frühlings 2022. Übermorgen, genau um 11:13 MESZ, ist
Sommersonnenwende und die Tage werden, wenn zunächst auch kaum merklich, wieder
kürzer. Das aber nur am Rande. Zurück zum Wochenende, das heute den bisher
heißesten Tag des Jahres hervorgebracht hat mit derzeit noch inoffiziellen, am
Ende aber sehr wahrscheinlichen Topwerten von 39,2°C in Cottbus sowie in
Dresden-Strehlen. Beides sind Monatsrekorde und in Cottbus gilt es sogar einen
Allzeitrekord zu vermelden (bisher 38,9°C vom 29.07.1921), was für einen so
frühen Termin mehr als bemerkenswert ist. Doch während auf der einen,
insbesondere der medialen Seite – natürlich nicht unberechtigt – über Hitze mit
möglichen und tatsächlichen Rekorden schwadroniert wird, scheinen ein paar
andere, nicht minder interessante Aspekte der aktuellen Wetterlage etwas unter
dem Radar zu laufen.

Da wäre zunächst mal die in großen Teilen des Landes weiterhin vorhandene,
mittlerweile teils schon als dramatisch zu bezeichnende Trockenheit respektive
Dürre. In den ersten 18 Tagen des laufenden Monats hat es im Osten und in der
Mitte sowie in Niedersachsen gebietsweise keine 10 l/m² geregnet. Punktuell
wurde sogar nicht mal die 5-l/m²-Schwelle erreicht, was alles, wirklich alles
andere als erfreulich ist.
Dann gilt es von einer äußerst interessanten, in der warmen Jahreszeit in dieser
Form eher selten vorkommenden Kaltfront zu berichten. Sie liegt derzeit
schleifend diagonal von SW nach NO exponiert über Deutschland, Tendenz langsam
südostwärts vorankommend. Sie grenzt zwei Luftmassen voneinander ab, die Welten
auseinanderliegen: im Osten und Süden Heißluft nordafrikanischer Herkunft, im
Nordwesten maritime Luft polaren Ursprungs. So hatten um 12 UTC einige Stationen
in den östlichen Bundesländern schon ganz forsch und knackig die 37°C-Marke
überschritten. Zur gleichen Zeit wurden im nördlichen SH sowie im nordwestlichen
NDS – zugegeben unter dichter Bewölkung – nicht mal 15°C registriert. Den
thermischen Offenbarungseid lieferte dabei die alte Wikingerstadt Schleswig, wo
provokative 12,1°C, am Flugplatz Jagel sogar nur 10,4°C gemeldet wurden. Und
noch ein schönes Beispiel von heute Morgen 08 UTC, noch mal Niedersachsen.
Während in Barsinghausen am Deister südwestlich der Perle Norddeutschlands (gilt
leider nicht beim Fußball) 18,3°C gemessen wurden, waren es zur gleichen Zeit im
etwa 80 km entfernten Bad Harzburg am Nordrand des Harzes 30,6°C – beide bei
wolkenlosem Himmel. Gut 12 Grad auf 80 km entspricht einem Gradienten, den man
gerne mal im Winter bei Wetterlagen mit scharfer Luftmassengrenze erlebt, aber
im Sommer hat das schon extremen Seltenheitswert. Nur eine Stunde später – der
Wind hatte von Südwest auf Nordwest gedreht – zeigte das Thermometer in Bad
Harzburg auf einmal nur noch 24,6°C an bei weiterhin volle Pulle Sonnenschein.

Ohnehin muss man festhalten, dass die Kaltfront rein thermisch betrachtet einen
echten Giganten seiner Zunft darstellt, während sie hinsichtlich ihrer
Wetteraktivität eher durch Passivität oder sagen wir mal vornehme Zurückhaltung
auffällt. Rückseitig, etwas abgesetzt von der Bodenfront findet man einen mehr
oder weniger geschlossenen Wolkenstreifen, aus dem hier und da etwas Regen fiel.
Und direkt an der Front bzw. knapp davor entwickelten sich tagsüber nur wenige
Schauer oder schwache Gewitter. Die Gründe für die konvektive Zurückhaltung sind
mehrschichtig. Zwar haben inzwischen einigermaßen Feuchte und Labilität so weit
zueinander gefunden, dass genügend CAPE generiert werden konnte. Allerdings ist
die Deckelung nach wie vor stark und – ganz wichtig – die Labilität ist
abgehoben. Durch den zumindest im Westen relativ weit nach Süden ausgreifenden
Nordwestwind hat die Grundschicht nicht nur begonnen abzukühlen, sondern auch zu
stabilisieren. Von daher hat es die Natur schwer, die durchaus für konvektive
Schandtaten vorhandene potenzielle Energie in Taten umzusetzen. Von unten geht
nichts, sei es durch Windkonvergenzen oder thermische Auslöse, und auch das
Bergland stößt angesichts der geschilderten Rahmenbedingungen merklich an seine
Grenzen. Also brauchtŽs was aus der Höhe z.B. in Form kurzer Wellen, die
tagsüber in der schwachen und indifferent bis leicht antizyklonal konturierten
west-südwestlichen Höhenströmung aber noch Mangelware waren.

Das könnte sich – und nun sind wir endlich bei der Vorhersage – in der kommenden
Nacht ändern. Zum einen sorgt die Annäherung eines Randtrogs hin zur Deutschen
Bucht für eine leichte Zyklonalisierung der südwestlichen Höhenströmung. In den
Diagnosekarten sind nordostwärts schwenkende PVA-Maxima erkennbar, die zum
Zündlein an der Waage werden könnten, um die abgehobene Labilität (Elevated
Mixed Layer) mit mehreren hundert Joule pro Kilogramm konvektive Umlagerungen zu
transformieren. Hoffnungsträger #2 für nächtliche Konvektion sind NO-Frankreich,
Luxemburg und das südliche Belgien, von wo aus Gewitter importiert werden
können. Die meisten Modelle haben so ein Szenario im Portfolio, allerdings
unterscheiden sie sich individuell so stark voneinander (wenn man sich z.B. die
simulierten Reflektivitäten anschaut), dass eine tiefergehende Diagnose an
dieser Stelle nur wenig Sinn macht. Von aggressiv (AROME) bis hin zu britischem
Understatement (UKMO) ist alles dabei.

Was lässt sich also festhalten? – Die Gewitterwahrscheinlichkeit nimmt in der
Nacht zum Montag merklich zu. Betroffen ist vor allem ein Korridor, der von
RP/Saarland und dem Rheinland bis hinüber nach BB und Sachsen reicht (+/- der
üblichen Modelltoleranzen sowohl nach Süden als auch nach Norden). Der Korridor
markiert im Grunde den nördlichen Teil einer Tiefdruckrinne, die mit der
weiterhin schleifenden Kaltfront langsam nach Südosten gedrückt wird. Die
Gewitter können in gutem Scherungsumfeld durchaus längerlebig sein, von der
Einzel- bis zur Multizelle und selbst die Bildung eines Multizellenclusters
scheint nicht ausgeschlossen. Wie auch immer, die Konvektion bleibt
weitestgehend abgehoben, was die Unwettergefahr tendenziell einschränkt. Die
Entkopplung von der stabilen Grundschicht mindert die Gefahr ganz großer
Windgeschwindigkeiten (sagen wir Bft 10+) und auch beim Hagel sollten die großen
Geschosse ausbleiben, auch wenn dieser Parameter immer schwer zu prognostizieren
ist. Markanten Starkregen wird es definitiv geben, im Laufe der Nacht
gebietsweise auch mehrstündig und nicht unbedingt mehr gewittrig, räumlich eng
begrenzte Unwetter nicht ausgeschlossen.

Abschließend bleibt nur noch festzuhalten, dass der Wind in den Abendstunden
rasch abflaut. Über dem Schwarzwald allerdings baut sich vorübergehend ein
Low-Level-Jet auf, der den Südwestwind auf den Höhen auf Windstärke 8-9 Bft
ansteigen lässt. Im Süden bleibt es trotz leicht zunehmender Schauerneigung
meist trocken, ebenso wie im Nordwesten. Nur an der Nordsee gehen in den
Frühstunden die ersten trogbedingten Schauer an den Start.

Montag … schwenkt der Randtrog über Norddeutschland ost-nordostwärts hinweg.
In der höhenkalten und labil geschichteten Meeresluft (T550 um
-25°C über T850 um +4°C) sinkt die Tropopause z.T. bis auf 500 hPa ab. Darunter
befindet sich eine schmale Labilitätsfläche mit wenig aber ausreichend CAPE, um
Schauer und kurze Gewitter zu initiieren. Sie können in klassischer
Kaltluftmanier von kleinkörnigem Hagel und steifen bis stürmischen Böen 7-8 Bft
begleitet sein, wohingegen Starkregen nur wenig wahrscheinlich ist. Im Westen
und Nordwesten bleibt es weitgehend trocken, weil FRIDO, der Keil eines
mächtigen 1040-hPa-Hochs über dem mittleren Nordatlantik, seine Fühler bis zu
uns streckt und für eine gewisse Stabilisierung sorgt.

In der Mitte und im Süden dauert es mit der Stabilisierung noch ein wenig. Zwar
werden die Kaltfront und die Reste der Rinne durch den Druckanstieg von
Nordwesten her immer weiter in den Süden gedrückt. Trotzdem wird es noch zu
einigen Schauern respektive schauerartigem Regen und einzelnen Gewittern kommen.
Die nächtlichen Regenfälle und Gewitter halten sich vor allem nach Osten hin
noch bis weit in den Vormittag, bevor sie sich in der Folge abschwächen bzw.
nach Polen abziehen. Interessant ist die Frage, was im Süden passiert. Labilität
und Feuchte sind in der immer weiter nach Süden zurückweichenden Warm-/Heißluft
leidlich vorhanden. Auf der anderen Seite greifen die niedertroposphärisch auf
West bis Nordwest drehenden Winde weit nach Süden aus, wodurch von unten eine
gewisse Stabilisierung einsetzt. Hier kommt es also zu einer gesunden Challenge,
deren Gesamtergebnis aus heutiger Sicht noch schwer zu prognostizieren ist. Für
einige markante Gewitter wird es wohl noch reichen, auch wenn z.B. ICON-D2 sehr
zurückhaltend agiert. Was auf alle Fälle im Auge behalten werden sollte, ist
Wind im Südosten, wo mit isallobarischer Unterstützung (Druckanstieg durch den
Keil) in trockener Grundschicht gebietsweise Böen 7 Bft, vereinzelt sogar 8 Bft
zu erwarten sind.

Die Temperatur weist zu Wochenbeginn ein lupenreines Süd-Nord-Gefälle mit Maxima
von 28 bis 32°C in Teilen Bayerns sowie BaWüs und 16 bis 20°C im norddeutschen
Flachland inkl. Küste auf.

In der Nacht zum Dienstag sorgen der Hochkeil und ein von Westen sich etwas
scheu nähernder Höhenrücken für eine Wetterberuhigung. Letzte Schauer und
Gewitter am Alpenrand sowie im äußersten Nordosten lassen alsbald nach und die
Wolkendecke lockert in weiten Landesteilen auf. In der frisch eingeflossenen und
stark abgetrockneten Meeresluft geht die Temperatur außer ganz im Süden sowie in
küstennahen Arealen in den einstelligen Bereich zurück. Gelegenheit also, alle
Fenster zu öffnen, um die Resthitze vom Wochenende zu vertreiben.

Dienstag … wandert der Rücken langsam über den Vorhersageraum hinweg ostwärts.
Er stützt eine schwache Hochdruckbrücke, die von UK/Irland bogenförmig über
Deutschland hinweg bis zum zentralen Mittelmeer reicht. Unterhalb der zwischen
900 und 800 hPa liegenden Absinkinversion können sich aus der labilen
Grundschicht heraus ein paar flache Quellungen bilden, ansonsten scheint aber in
weiten Teilen des Landes die Sonne. Im Süden und Südwesten, wo vorderseitig
eines neuen Hitzetiefs über Frankreich feuchtere und labilere Warm- bzw.
Heißluft zurückschwappt, können sich im Tagesverlauf vornehmlich aus dem
Bergland heraus einzelne konvektive Umlagerungen entwickeln. Derzeit sieht es
nach hundsnormalen markanten Entwicklungen mit HSS aus (Hagel, Starkregen,
Sturmböen), damit sollŽs aber auch erst mal gut sein. Die nächsten Übersichten
bieten noch genug Platz, sich über die voraussichtliche Vita der
Überentwicklungen auszulassen.

Was natürlich nicht unterschlagen werden soll, sind die Temperaturen, die vor
allem im Norden merklich ansteigen auf über 20°C, lokal bis 25°C. Lediglich
dort, wo der Wind direkt von der See her weht, bleibt es etwas frischer. Noch
wärmer wird es hingegen im Süden und in Teilen der Mitte, wo 24 bis 29°C, im
Südwesten um 30°C zu erwarten sind.

In der Nacht zum Mittwoch weiten sich das Gewittertief und die feuchtlabile
Luftmasse bis in die die mittleren Landesteile aus. Noch ist nicht ganz klar,
inwieweit es zu einer fruchtbaren Interaktion mit der Höhenströmung kommt. Es
deutet sich von Westen her ein KW-Trog an, der die nötigen Hebungsimpulse für
nächtliche Konvektion, aber auch schauerartige Regenfälle liefern könnte. Im
Norden und Osten dürfte davon aber noch nichts ankommen.
Mittwoch … zeichnet sich im Süden, vielleicht auch noch in der südlichen Mitte
ein schwülwarmer Tag mit Schauern und teils kräftigen Gewittern ab. Ansonsten
viel Sonne, an der Küste etwas wolkiger, meist trocken. Ganz im Norden 19 bis
24°C, im großen Rest 25 bis 31°C.

Modellvergleich und -einschätzung

Die grobe Entwicklung wird von den Modellen ähnlich gesehen, die feine nicht
unbedingt. Im Text wurden einige Unschärfen bereits angesprochen. Vor allem das
Geschehen in der kommenden Nacht sowie tagsüber dann im Süden werfen noch ein
paar Fragezeichen auf. Auffallend ist, dass ICON-D2 das Übergreifen der
nächtlichen Gewitter von Westen her zeitlich immer weiter nach hinten verschoben
hat – angesichts der aktuell mauen Entwicklung über Frankreich nachvollziehbar.

Am Ende läuft wie so oft ohnehin alles auf In-Situ-Warnungen hinaus, sorry,
liebe Nachtdienste. Die Weichenstellung wird über die Warnlagetexte gesteuert.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann