SXEU31 DWAV 170800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 17.06.2022 um 08 UTC

GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Anfangs HM (Hoch Mitteleuropa), danach diffus

Heute Hochdruckeinfluss mit kleinen Schönheitsfehlern. Am Wochenende außer im
Norden Bullenhitze, aber nur wenig Gewitter.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC

Freitag… zeigt die großräumige Druck- und Potenzialverteilung drei fette
Drehzentren: #1 mit veritablem Bodentief (Kerndruck knapp über 990 hPa;
OPHELIA), das heute knapp südlich an Island vorbei zur Norwegische See zieht. #2
mit nur mäßig ausgeprägtem Bodentief (knapp über 1000 hPa; namenlos) über
Karelien, das sich in den Weiten NW-Russlands verabschiedet. Und #3 vor der
Iberischen Westküste, weitgehend stationär und nur mit einem flauen Tief über
dem spanisch-portugiesischen Festland verbandelt, welches wohl eher diabatischer
denn dynamischer Natur ist. Zwischen der Armada von Tiefs hat sich das Hoch EFIM
breitgemacht, das – gestützt durch einen auslandenden und recht breit
aufgespannten Höhenrücken (erstreckt sich von NW-Afrika bis hoch nach
Nordeuropa) – den Freitag über Mitteleuropa verbringt. Im Grunde handelt es sich
um ein Anhängsel des über dem Ostatlantik thronenden Azorenhoch, zu dem es noch
eine schwache Verbindung aufrecht hält. Heute früh lag das Zentrum mit knapp
über 1025 hPa genau über Deutschland, von wo aus es in den nächsten Stunden
unter leichter Abschwächung (Stichwort Tageserwärmung) langsam ostwärts wandert.
Damit gelangen wir allmählich auf die warme Seite des Hochs und mit
niedertroposphärisch südlichen bis westlichen Winden gelangt immer wärmere Luft
von Frankreich her in den Vorhersageraum. Liegt T850 heute früh noch zwischen
6°C an der Oder und bis zu 13 oder 14°C im Süden/Südwesten, reicht die Spanne
heute Abend von 9°C in Vorpommern bis zu 18°C am Oberrhein. Das reicht, um die
2m-Temperatur im gesamten Westen und Südwesten auf 28 bis 32°C, lokal vielleicht
33°C ansteigen zu lassen. Ansonsten erwärmt sich die Luft auf 25 bis 30°C,
zwischen nordfriesischer Küste und Vorpommern auf 20 bis 24°C.

Warmluftadvektion (WLA) ist auch das Stichwort für die mittlere Troposphäre, wo
sie vorderseitig der hochreichenden OPHELIA den Rücken nonchalant überläuft und
damit hohe, teils auch mittelhohe Wolken ins Land führt. Ihre Wetterwirksamkeit
beschränkt sich im Wesentlichen auf die Reduktion direkter Sonneneinstrahlung,
was sich am stärksten im Norden und Nordwesten bemerkbar macht. Im äußersten
Norden können sogar ein paar Tropfen nicht ausgeschlossen werden, wirklich nass
wird man davon aber nicht. Ansonsten geht wettermäßig eigentlich nichts, was
neben dem Rücken auf die trockene und zunächst auch noch stabile Luftmasse
zurückgeht. Die Taupunkte heute früh liegen verbreitet im einstelligen Bereich,
lediglich in Küstennähe sowie gebietsweise im Westen und Südosten werden etwas
höhere Werte beobachtet. Der Südosten ist dann auch die Region, wo sich
unterhalb einer zwischen 850 und 800 hPa befindlichen Inversion einige
Quellungen aus der labilen Grenzschicht bilden, die mangels vertikaler
Ausdehnung über den Status hübsch anzusehender Himmelsornamente nicht
hinauskommen.

In der Nacht zum Samstag wandert der Höhenrücken langsam gen Osten, wohin sich
auch das Maximum der mitteltroposphärischen WLA sowie das zugehörige hohe und
mittelhohe Gewölk verziehen. Nicht ausgeschlossen, dass dabei an der Ostsee ein
paar wenige Tropfen fallen, was aber – so es überhaupt auftritt – nicht mal
ansatzweise den Gartensprenger oder klassisch-handwerkliches Gießen ersetzt. Das
interessanteste Phänomen der kommenden Nacht dürfte die Passage eines Bodentrogs
über Norddeutschland sein, auf dessen Rückseite eine merkliche Winddrehung von
anfangs Süd auf West bis Nordwest zu verbuchen ist. Außerdem nähert sich die
Kaltfront der weiter in die Norwegische See vorstoßenden OPHELIA der Deutschen
Bucht, von wo sie zunächst aber nicht weiter landeinwärts vorankommt. Für den
größten Teil des Vorhersageraums steht eine klare oder nur gering bewölkte Nacht
bevor, in der die Temperatur auf 19 bis 10°C zurückgeht. In einigen Hoch- und
Mittellagen der west-südwestdeutschen Mittelgebirge sowie in den Ballungszentren
Westdeutschlands könnte es bereits schwer werden, die 20°C-Marke zu
unterschreiten, was im Umkehrschluss eine Tropennacht bedeuten würde.

Samstag… liegen wir unter einer schwachen, leicht antizyklonal konturierten
west-südwestlichen Höhenströmung im Bereich schwacher Luftdruckgegensätze. Die
Höhenwinde werden generiert von dem in Richtung westliches Mittelmeer
zurückhängenden Rücken und der hochreichenden OPHELIA über der Norwegischen See.
Von dort hält sie über einen positiv geneigten Trog losen Kontakt zum Höhentief
vor der Iberischen Halbinsel, das – so deutlich wurde das bisher noch nicht
geschrieben – ja der eigentliche Antreiber der Hitze ist, indem es auf der
Vorderseite trockene afrikanische Heißluft nordwärts verfrachtet. Apropos
Heißluft, die kommt morgen in höchster Vollendung nun endlich auch bei uns an,
zumindest im größten Teil des Landes. Bis zum Abend steigt T850 im Süden und in
der Mitte auf rund 20°C, im Südwesten BaWüs taucht sogar die „22“ auf.
Entsprechend erhitzt sich die Luft verbreitet auf 30 bis 36°C, nach Südwesten
hin laut Numerik gar bis auf 37 oder 38°C. Inwieweit dabei Dekaden- oder sogar
Monatsrekorde fallen, sei mal dahingestellt. Zunächst muss es erstmal so heiß
werden, was keinesfalls in Stein gemeißelt ist. Als „Spielverderber“ könnte der
von verschiedenen Modellen apostrophierte Saharastaub in die Hitzeshow
eingreifen, der zwar nicht direkt von Süden – das geben die Höhenwinde nicht her
-, dafür aber auf Umwegen von Westen her zu uns gelangen soll. Inwieweit der
Staub in der Lage ist, die direkte Strahlung und damit auch den Energieinput zu
dämpfen, ob am Ende sogar ein von den Modellen derzeit nicht simulierter und
über Frankreich (noch?) nicht beobachteter Cirrus opacus generiert wird, ist
schwer zu sagen. Man sollte sich aber nicht wundern, wenn am Ende des Tages
nicht ganz so hohe Temperaturspitzen registriert werden wie vorhergesagt. Zwar
wird die Luftmasse insgesamt immer labiler, allerdings mangelt es deutlich an
atmosphärischem Wasserdampf, so dass konvektiv nichts zu befürchten ist.

Etwas genauer gilt es auch die Lage in Norddeutschland zu inspizieren, wo die
Heißluft ja nicht wirklich ankommt. Stattdessen baut sich ein mehr als
bemerkenswerter Temperaturgradient mit extrem hoher Baroklinität auf. Oder
salopp formuliert, die gute OPHELIA kämpft tapfer gegen die Schaufelkünste des
iberischen Tiefs an, um zu verhindern, dass auch noch ganz Norddeutschland
„eingeschweißt“ wird. Am Abend sind es zwischen deutsch-dänischer Grenze und
Raum Hannover nur 6 Kelvin, am Sonntagmorgen dann sagenhafte 12 Kelvin (8 bis
20°C) Wo genau die o.e. Kaltfront zu liegen kommt, ist derzeit nicht genau zu
sagen. Es deutet sich aber an, dass sie nur sehr zögerlich südostwärts
vorankommt und damit das norddeutsche Binnenland okkupiert. Fakt ist allerdings,
dass die überwiegend schwachen, teils mäßigen West-Nordwestwind schon weit nach
Süden ausgreifen (die Kaltfront also überlaufen) und damit eine Art „kalten Fuß“
generieren. Das ist nicht nur von Bedeutung für die Tageshöchsttemperatur, die
etwa nördlich einer Linie Lingen-Lüneburg-Pasewalk unter 30°C, ganz im Norden
unter 25°C und direkt an der Nordsee mit auflandiger Windkomponente sogar unter
20°C bleibt. Es hat auch Einfluss auf das Wettergeschehen. Die Kaltfront liegt
tagsüber zwar in Lauerstellung, richtig zuschlagen tut sie wohl erst in der
Nacht zum Sonntag, was aber noch mit großen Unsicherheiten verbunden ist. Zuvor
ist die Zone vor der Front von Interesse, wo eine veritable
Feuchteflusskonvergenz wirksam ist und sich von NRW bis hinüber nach MV ein
Streifen mit erhöhtem Wasserdampfgehalt etabliert. Das PPW steigt an bis auf 35
mm oder etwas darüber, allerdings ist die Überlappung mit der Labilität alles
andere als gut. Zwar wird etwas CAPE aufgebaut, die aber so stark gedeckelt ist,
dass konvektionsmäßig nichts passieren dürfte. Es mangelt einfach an den
zwingend erforderlichen dynamischen Hebungsantrieben, weil von unten aufgrund
der Schichtung nichts geht. Da hilft es auch nichts, dass am Nachmittag
mordsmäßig Helizität von den Niederlanden nach Westfalen und Niedersachsen
importiert wird, dass einem angst und bange werden könnte.

In der Nacht zum Sonntag könnte dann doch etwas Leben in die Atmosphäre kommen,
wenn sich von Frankreich und BeLux her eine Tiefdruckrinne mit einem flachen
Tief (PETRA) bis in die Nordhälfte vorschiebt. Dabei wird die die Kalt-
vorübergehend noch mal in eine Warmfront umgewandelt und in den äußersten Norden
gedrückt. Im Zuge der zunehmenden Baroklinität kommt es dort strichweise zu
kräftigen, schauerartig verstärkten Regenfällen, die laut ICON und UK10 (Modell
des Britischen Wetterdienstes) im Norden SHs zwischen 25 und 40, lokal an die 50
l/m² innert 12 h bringen soll. Schaut man die Prognosetemps im Bereich vor und
an der Front an, fühlt man sich ein Stück weit an einen nach rechts verschobenen
Winteraufstieg erinnert: „kalte“ Grundschicht, hervorgerufen durch die auf N-NO
drehenden Winde, darüber eine wärmere untere Troposphäre, die eine deckelnde
Inversion bewirkt. Der Unterschied zum Winter liegt in der darüber sich
befindlichen EML (Elevated Mixed Layer), einer abgehobenen Labilitätsschicht, in
der sogar einige hundert Joule pro Kilogramm MU-CAPE generiert werden. Von unten
her lässt sich damit nichts anfangen (z.B. durch Windkonvergenzen). Sollte aber
eine nur kleine flache Welle in der west-südwestlichen Höhenströmung durchgehen,
könnte das CAPE in abgehobene konvektive Umlagerungen in Form eingelagerter
Gewitter umgewandelt werden. Diesen könnten mit Starkregen und Sturmböen
einhergehen, und man sollte sich nicht wundern, wenn durch eine ansonsten
harmlose Stratusdecke (die nachts freilich schlecht zu sehen ist) mit einem Mal
Hagel fällt. Zugegeben, ein derzeit noch hochtheoretisches konzeptionelles
Konstrukt, das aber einen kleinen Platz im Hinterkopf verdient hat.

Je weiter sich die Blicke gen Süden richten, desto weniger gibt es vom Wetter zu
berichten. Selbst entlang der Achse der Rinne, wo die Winde quasi im 180°-Winkel
aufeinandertreffen (N-NO auf S-SW), passiert nicht mehr als zeitweiliges
Auffrischen bis hin zu Böen 7, vielleicht sogar 8 Bft.

Sonntag… schwenkt von der Norwegischen See her der westliche Teil des
inzwischen gesplitteten Höhentiefs in Richtung Nordsee. Vorderseitig dreht die
Höhenströmung leicht zurück, was der Progression der Rinne sowie der Kaltfront
nicht besonders gut bekommt. Trotzdem scheint genügend Impuls vorhanden, die
beiden Strategen langsam aber sicher südostwärts vorankommen zu lassen,
insbesondere in dem Moment, wenn der Tiefkern den Osten in Richtung Polen
verlässt. An bzw. rückseitig der Front (Stichwort Anacharakter) kommt es im
Westen und Norden zu zeitweiligen Regenfällen, die aber längst nicht mehr an die
(mögliche) Intensität der Vornacht herankommen. Und ob es noch für eingelagerte
Gewitter reicht, ist mehr als fraglich. Die treten eher präfrontal in den
mittleren Landesteilen auf, wo immerhin CAPE-Werte von z.T. über 1000 J/kg
angeboten werden. Damit diese in Gewitter umgesetzt werden können, bedarf es
aber der Mithilfe der Orografie und die Numerik ist sich dahingehend einig, dass
es tagsüber nur für vereinzelte Überentwicklungen reicht. WennŽs kracht, dann
sind neben Starkregen und Hagel auch (schwere) Sturmböen drin, weil die
Grundschicht weiterhin sehr trocken ist und über eine inverse V-Struktur
verfügt.

Während im Norden und Westen der Wolkenanteil z.T. deutlich erhöht ist, scheint
im großen Rest der Republik verbreitet die Sonne. Dabei wird es erneut mächtig
heiß mit ähnlichen Spitzen wie am Vortag bis zu 38°C. Wem das zu dicke ist, und
da dürfte es schon die eine oder den anderen geben, begebe sich in Richtung
Nordsee noch nach SH. Dort wird das komplette Kontrastprogramm mit Höchstwerten,
die zwischen Emsland und Ostholstein unterhalb der 20°C-Schwelle liegen.

Kurz noch die Nacht zum Montag, wo mit weiterer Annährung des Höhentrogs die
Kaltfront mehr und mehr aktiviert wird. Wo sie genau zu liegen kommt, ist zwar
noch unsicher. Alle Modelle reagieren aber mit einer deutlich erhöhten
Wetteraktivität in Form schauerartiger Regenfälle und teils kräftiger Gewitter.
Weitgehend ausgenommen davon sollten noch der Süden sowie Teile Nord- und
Nordwestdeutschlands (Rückseite). Mehr Details in den Folgeübersichten.

Modellvergleich und -einschätzung

Die größten Fragezeichen der Vorhersage ranken sich um das Wirken der Kaltfront,
die ab der Nacht zum Sonntag beginnend im äußersten Norden ins Geschehen
eingreift. Die Konstellation, die von ihr ausgeht mit den relativ weit nach
Süden ausgreifenden nordwestlichen bis nördlichen Winden, ist nicht alltäglich.
Das sehen offensichtlich auch die Modelle so, was sich in unterschiedlichen
Detailprognosen widerspiegelt. Die weitgehend trockene Hitze ist sicher, auch
wenn bei den Maxima noch kleine Fragezeichen (Stichwort Saharastaub/Cirren)
offen sind. Sicher scheint auch, dass aufgrund der trockenen Luftmasse eine
größere Schwergewitterlage zunächst nicht zu erwarten ist. Das könnte sich ab
der Nacht zum Montag ändern.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann