S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 16.06.2022 um 10.30 UTC

Vor allem im Süden über mehrere Tage heiß, zur Wochenmitte Abkühlung. Einige
teils kräftige Gewitter, aber auch viel Trockenheit.

Synoptische Entwicklung bis zum Donnerstag, den 23.06.2022

Dass am bevorstehenden Wochenende in großen Teilen Deutschlands (nicht überall!)
erstmalig in diesem Jahr echte Bullenhitze Einzug hält, dürfte sich mittlerweile
herumgesprochen haben. Wie das Ganz eingeleitet wird und wie heiße es wo am
Samstag wird, kann in aller Ausführlichkeit der Synoptischen Übersicht Kurzfrist
von heute Vormittag entnommen werden. Dieses Bulletin startet mit dem Sonntag,
dem per definitionem ersten Tag des mittelfristigen Prognosezeitraums und
versucht zu beantworten, ob und wenn ja, wie lange sich die Hitze hält und
natürlich was sonst noch so in der Atmosphäre passiert.

Die Ausgangslage am Sonntag stellt sich so dar, dass wir unter einer
west-südwestlichen Höhenströmung liegen, die im Süden und Südosten leicht
antizyklonal, nach Nordwesten hin eher zyklonal konturiert ist. Auslöser sind
auf der einen Seite ein sich vom westlichen Mittelmeer bis zur Ukraine
erstreckender Rücken, dem ein abgeschlossenes, quasistationäres Höhentief am
Westrand der Biskaya sowie ein Trog über Nordeuropa gegenüberstehen. Letzterer
verfügt über einen kurzwelligen Anteil, der im Laufe des Tages von Südnorwegen
bzw. der südlichen Norwegischen See auf die Nordsee und Jütland übergreift.
Die Bodendruckverteilung wird geprägt von einem umfangreichen Hoch über dem
Ostatlantik und einer flachen Hochdruckzone über dem zentralen Mittelmeer sowie
Teilen der Balkanhalbinsel. Getrennt werden die beiden Hochs von einer
Tiefdruckrinne, die von der Iberischen Halbinsel über Frankreich und Deutschland
hinweg bis zur Ostsee reicht. Am nordwestlichen Rand der Rinne, also im Bereich
der Nordseeküste befindet sich eine zunächst weitgehend stationäre Kaltfront,
die mit Annäherung des o.e. Randtrogs „angestoßen“ wird und etwa ab Mittag
beginnt, landeinwärts voranzukommen. Am imposantesten bei der ganzen Geschichte
ist die Baroklinität, die in Verbindung mit der Rinne respektive der Front über
Deutschland zu finden ist. Während um 12 UTC an der Grenze zu Dänemark rund 6°C
auf 850 hPa simuliert werden, kann das südliche Alpenvorland mit rund 22°C
protzen. Bis zum Datumswechsel vergrößert sich der bis hierhin schon
bemerkenswerte thermische Gradient noch weiter auf satte 20 Kelvin, weil im
Norden postfrontale KLA einsetzt, während im Süden noch gar nichts passiert. Und
was passiert beim Wetter? Nun, an der Front, genau genommen auf der Rückseite
(Stichwort Anacharakter) kommt es zu schauerartigen, wohl aber nicht gewittrigen
Regenfällen, die sich von Nordwesten langsam gen Süden vorarbeiten. Präfrontal
entwickeln sich in der Mitte – quasi inmitten der Rinne – einige kräftige
Gewitter, auch wenn sich die Numerik diesbezüglich noch relativ reserviert gibt.
Offensichtlich mangelt es an ausreichend Dynamik, um den unzweifelhaft
vorhandenen Deckel zu sprengen. Ob und wie häufig das der stets bemühten
Orografie oder konfluenten Bodenwinden gelingt, ist derzeit noch unsicher. Nach
dem ganz großen Feuerwerk oder einer monumentalen Unwetterlage sieht es Stand
heute nicht aus, auch wenn freilich noch genügend Unbekannte im Gleichungssystem
herumschwirren.

Zu Beginn der neuen Woche erreicht die Kaltfront Süddeutschland, wo die heiße
Luft aber nicht gänzlich ausgeräumt wird. Die 20°C-Isotherme auf 850 hPa hält
sich in Alpennähe sowie an der Grenze zur Schweiz zäh wie Leder (Stand 12 UTC),
während im Nordosten zur gleichen Zeit magere 4°C (oder sogar noch etwas
weniger) in Verbindung mit dem KW-Trog durchschwenken. Postfrontal schiebt sich
ein Keil des atlantischen Hochs bis zur Nordhälfte vor, der für weitgehend
trockene Verhältnisse sorgt. Einzig mit Trogpassage sind ein paar schlappe
Schauer nicht ausgeschlossen. In der Mitte (anfangs) und im Süden hingegen darf
mit einigen Schauern und kräftigen Gewittern gerechnet werden, die sich
tendenziell aber mehr und mehr in den Südosten zurückziehen.

Am Dienstag wagt die heiße Luft einen nochmaligen Vorstoß bis in die mittleren
Landesteile. Reste des Keils verlagern sich gen Osten, gleichzeitig bildet sich
über Frankreich ein flaches Hitzetief. Damit kommt eine südliche
Strömungskomponente in Spiel, mit der die ursprüngliche Kaltfront nun als
Warmfront in nördliche Richtung in Gang gesetzt wird. Die 20°C-Isotherme schafft
es bis zum Abend bis nach Südthüringen, die 15°C-Isotherme erreicht immerhin die
Norddeutsche Tiefebene und im Süden stehen nochmals rund 22°C auf der Karte. Die
potenziell sicherlich vorhandene Gewitterbereitschaft wird dadurch begrenzt,
dass sich von Westen her ein breiter Höhenrücken über den Vorhersageraum legt,
der keinerlei synoptisch-skaligen Hebungsantrieb zulässt (eher das Gegenteil ist
der Fall). Entsprechend bedarf es einmal mehr der Mithilfe der Mittelgebirge und
der Alpen, um die eine oder andere „Rakete“ zu zünden.

Ab Mittwoch deutet sich dann das Ende der ersten richtigen Hitzewelle des Jahres
an (von der – das kann gar nicht oft genug wiederholt werden – der Norden nix
oder nur bedingt was mitbekommt). Der Rücken wird nach Osten durchgewunken,
gleichzeitig nähert sich aus dem Raum Island ein Trog mit abgeschlossenem
Drehzentrum und korrespondierendem Bodentief (Kerndruck am Mittwoch immerhin
nahe 980 hPa) der südnorwegischen Westküste. Die zugehörige Kaltfront greift von
Nordwesten auf Deutschland über und schwenkt bis Donnerstag einmal komplett über
den Vorhersageraum hinweg. Damit wird die heiße Luft nach Südosten abgedrängt
(dort am Mittwoch aber noch mal heiß) und durch gemäßigte, im Norden kühle
Atlantikluft ersetzt (T850 am Donnerstagmittag um 3°C an der Nordsee und 12°C im
Chiemgau). Es ist davon auszugehen, dass der Luftmassenaustausch nicht
geräuschlos über die Bühne geht, sondern besonders im Süden, evtl. aber auch in
Teilen der Mitte mit ordentlich Bambule verbunden ist. Wie sich das Ganze genau
entwickelt, wird man ebenso sehen wie die Frage nach der erweiterten
Mittelfrist, die uns – rein deterministisch – zuerst mit den Trogdurchgang
konfrontiert, um uns danach auf die Vorderseite eines neuen Troges über dem
nahen Atlantik zu platzieren.

Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs

Betrachtet man die letzten drei Läufe von IFS (ECMF), dann ist die Konsistenz
gar nicht mal so schlecht. Voraussetzung ist, dass das Ganze nicht mit dem
Mikroskop des meteorologischen Scharfrichters, sondern eher mit der Gelassenheit
eines Mittelfristmeteorologen betrachtet wird. Oder anders ausgedrückt, die
Kongruenz der Basisfelder liegt zwar nicht bei 100% (was sie eigentlich nie
tut), gleichwohl ist sie so hoch, dass die groben Abläufe von Lauf zu Lauf gut
wiedererkennbar sind. So wird die anfängliche Hitze, die am Wochenende weite
Landesteile traktiert, zu Beginn der Woche etwas nach Süden gedrückt, aber nicht
gänzlich des Landes verwiesen. Erst zum Donnerstag hin droht sie mit Durchgang
einer Kaltfront die endgültige Abschiebung.
Dass die Detailvorhersage insgesamt mit mehr oder weniger großen Unsicherheiten
verbunden ist, liegt einerseits am Modell respektive den Modellen, vor allem
auch an der Wetterlage per se. So liegt Deutschland anfangs im Bereich sehr
großer Temperaturgegensätze, bei der schon leichte Verrückungen große
Unterschiede auf die Temperaturprognose hervorrufen können. Außerdem ist die
Lage äußerst sensibel was die Interaktion der Luftmasse mit den Abläufen in der
Höhe betrifft. Davon hängt u.a. die Fragestellung nach Regenfällen und Gewittern
ab. Wo und wann treten sie auf, wie intensiv fallen sie aus und letztlich auch
fällt überhaupt was. Allein der kurze Blick auf die akkumulierten Niederschläge
bis nächsten Donnerstag lässt den Verdacht aufkommen, dass nicht wenige Regionen
in Deutschland am Ende in die Röhre gucken werden (wenig, schlechtestenfalls
sogar überhaupt kein Regen).

Vergleich mit anderen globalen Modellen

Auch wenn sich die etablierten Globalmodelle im Detail unterscheiden, gänzlich
andere Geschichten werden nicht aufgelegt. Insbesondere das Modell des
Britischen Wetterdienstes UKM sowie das kanadische GEM liegen sogar ziemlich
dicht an der IFS-Version. ICON hingegen entpuppt sich als kleiner Kontrapunkt.
Das geht schon damit los, dass die Kaltfront ebenso wie bei GFS am Sonntag
progressiver simuliert wird. Danach gibt es dann im Gegensatz zu den meisten
anderen Modellen kein Comeback der Heißluft mehr, nicht im Süden und schon gar
nicht in der Mitte. Dass damit auch ein anderes Niederschlags- respektive
Konvektionsverhalten verbunden ist, ist evident.

Bewertung der Ensemblevorhersagen

Die IFS-EPS-Rauchfahnen diverser deutscher Städte spiegeln mit gebührender
Signifikanz die Abläufe des deterministischen Laufs wider. Betrachtet man die
Temperatur auf 850 hPa, erkennt man sehr schön das Maximum am Wochenende. Es
folgt eine kleine Delle nach unten am Montag (im Süden am schwächsten
ausgeprägt), dann ein nochmaliger Anstieg am Dienstag und schließlich der
Rückgang am Mittwoch/Donnerstag in eine noch diffuse erweiterte Mittelfrist
(hoher Spread, kein klarer Median). Unscharf sind derzeit noch die Absolutwerte,
was angesichts der Hyperbaroklinität aber auch logisch ist. D.h., dort, wo
Haupt- und Kontrolllauf zu einem bestimmten Zeitpunkt z.B. 20°C auf 850 hPa
vorhersagen, können es auch 21 oder 22°C bzw. 19 oder 18°C ein. Auch noch
größere Abweichungen sind möglich, allerdings mit abnehmender
Wahrscheinlichkeit.

Clustermäßig werden für Sonntag auf Montag (T+72…96h) zwei Schubladen gezogen
(31 Fälle + HL/KL), 18), die sich aber nur dahingehend unterscheiden, dass der
KW-Trog und die Kaltfront in CL2 einen Tick progressiver sind. Von Dienstag bis
Donnerstag (T+120…168h) erhöht sich die Zahl der Cluster auf drei (19 + KL, 20,
10 +HL). Alle haben den o.e. Rücken im Programm, allerdings mit
unterschiedlicher Geometrie und leicht unterschiedlichem Timing. Das Abdrängen
der Heißluft scheint aber ausgemachte Sache. Ab Freitag (T+192…240h) werden noch
zwei weitere Cluster draufgesattelt (insgesamt fünf). CL1 und 2 (19, 13 + HL/KL)
sehen uns trogvorderseitig unter einer zyklonalen Südwestlage. CL3 und 4 (8, 6)
setzen auf eine kühle Westlage bzw. eine Troglage und CL5 (nur 3 Fälle) knallt
uns einen dicken, fetten Höhenrücken vor den Bug.

FAZIT: Die auf Basis von IFS geschilderten Abläufe werden von den Ensembles,
aber auch von einigen Modellen ausreichend gestützt. Die Lösung von ICON wird
negiert.

Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen

Zwei, nein drei Dinge gilt es an dieser Stelle zu erwähnen. Da wäre zunächst die
Hitze und die daraus resultierende Wärmebelastung, die vor allem im Süden, z.T.
aber auch in der Mitte zuschlägt. Die Belastung rekrutiert sich vor allem aus
den hohen Absolutwerten der Temperatur, die ja z.T. über 35°C liegen. Die
sogenannte Schwüle, die sich ja aus dem Wasserdampfdruck ableitet, ist gar nicht
mal so überbordend ausgeprägt, da die Luftmasse keine klassisch feuchte
Subtropikluft ist. Entsprechend wird es auch nachts vielerorts noch einigermaßen
passabel abkühlen, auch wenn sicherlich die ersten Tropennächte gerade in
Ballungsräumen anstehen dürften.

Punkt #2 betrifft die Gewitter, bei denen das letzte Wort garantiert noch nicht
gesprochen ist. Allerdings zeichnet sich rein auf numerischer Basis ab, dass
sowohl am Wochenende als auch in der ersten Wochenhälfte die ganz großen
Unwetterlagen (im Sinne einer flächenmäßigen Ausdehnung) wohl ausbleiben werden.
Zum einen mangelt es an Dynamik, zum anderen an ausreichend Feuchte.

Womit wir bei #3 wären. Wenig Feuchte bzw. Wasserdampf in der Luft bedeuten im
Umkehrschluss wenig Regen ergo Trockenheit. Auch wenn genaue geografische
Zuordnungen noch schwerfallen, es wird Regionen geben, die nur wenig oder
überhaupt kein Regen abbekommen, was angesichts der bisherigen Bilanz durchaus
als dramatisch angesehen werden kann.

Basis für Mittelfristvorhersage
MOS-IFS mit IFS-EPS.

VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann