SXEU31 DWAV 201800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 20.02.2022 um 18 UTC

Markante Wettererscheinungen:
Kommende Nacht Kaltfrontpassage mit Gewittern und Böen 10 bis 12 Bft. Am Montag
weiterhin windig bis stürmisch.

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 12 UTC

Aktuell … stehen wir zum Ende einer zumindest in meteorologischer Hinsicht
bemerkenswerten Woche vor einem weiteren Höhepunkt. Verantwortlich dafür
zeichnet „die #1 auf dem 2. Blatt“, sprich, das erste Tief auf der zweiten
Namensliste für Tiefdruckgebiete. Oder ganz vereinfacht: ANTONIA. ANTONIA ist
ein veritables Sturm- respektive Orkantief, das heute Abend mit seinem Kern
(knapp unter 960 hPa) mittig zwischen Schottland und Island liegt. Das Tief
verfügt über ein ausgewachsenes Frontensystem, dessen Warmfront Deutschland
heute ostwärts überquert hat. Der Okklusionsprozess schreitet nun immer weiter
fort und noch vor Mitternacht wird sich genau am Okklusionspunkt über oder
unweit der Kimbrischen Halbinsel ein Teiltief bilden (es handelt sich um eines
von mehreren, aber nur dieses ist für uns wichtig). Auf der Süd-Südwestflanke
dieses gen Südschweden ziehenden Tiefs (Tochter ANTONIA, wenn man so will)
verschärft sich nicht nur der Druckgradient, es nähert sich auch die Kaltfront,
die der ganzen Wind- und Sturmentwicklung die Krone aufsetzt.

So nimmt der ohnehin schon sehr flotte südwestliche Wind von Westen her
gradientbedingt immer weiter zu mit Böen 8-9 Bft, höheren Bergland entsprechend
mehr. An der Front, die übrigens von den meisten hochauflösenden Modellen als
diskrete Linie mit eingelagerten Bogensegmenten simuliert wird (=> ausgeprägte
Querzirkulation), bzw. in ihrem unmittelbaren Umfeld wird dann der Höhepunkt der
nächtlichen Sturmentwicklung erwartet. Aufgrund zunehmender Labilität über die
-10°C-Marke ist nicht nur die Gefahr von Gewittern erhöht (schmale gebogene
Linie mit etwas CAPE). Zudem nimmt die Wahrscheinlichkeit für konvektive Böen
durch Runtermischen sehr starker Höhenwinde zu. Zwar liegen die Maximalwinde mit
bis zu 60 Kt auf 925 hPa und bis zu 80 Kt auf 850 hPa abgesetzt vor der Front
(und damit in einem Bereich, wo ein substanzielles Runtermischen aufgrund der
relativ stabilen Schichtung unwahrscheinlich ist). Trotzdem sind sie noch stark
genug (bis 50 respektive 65 Kt), um in einem gut organisierten System Böen der
Stärke 10 bis 11 Bft, bei kräftiger Konvektion vielleicht sogar eine untere 12
Bft zu generieren (im höheren Bergland gelingt das sowieso). In einem sehr gut
gescherten Umfeld, hoher Helizität und niedrigen HKNs sind gerade im Westen auch
vereinzelte Tornados nicht ganz ausgeschlossen, auch wenn die Lage zum Jetstreak
nicht optimal ist und im unteren Troposphärenbereich die Richtungsscherung
limitiert ist.
Ein besonderes Auge gilt es am Montagmorgen auf das Alpenvorland zu richten,
wenn sich Kaltfront den Alpen nähert. Zwar fallen die Höhenwinde schwächer aus
als weiter nördlich, dafür könnte der Leitplankeneffekt für eine substanzielle
Verstärkung bis hin zu Böen 11 Bft, vereinzelt 12 Bft sorgen. Und was geht an
der Küste? – Dort treten schwere Sturmböen und orkanartige Böen 10-11 Bft auch
nach Durchgang der Front auf. An Teilen der Ostseeküste sind mit Passage eines
flachen Bodentrogs südlich des Tiefkerns Orkanböen 12 Bft um 120 km/h möglich.
Ansonsten nimmt der Wind postfrontal zwar wieder ab, von Einschlafen kann aber
nicht die Rede sein (Böen 7-8 Bft).

Ansonsten gilt es noch zu konstatieren, dass hinter der Kaltfront ein Schwall
maritimer Polarluft einströmt, in der T850 mit Ausnahme des äußersten Südens auf
-6°C und T500 im Norden und Westen auf rund -36°C zurückgeht. Zuvor sorgen
frontale Hebungsprozesse sowie starke PVA auf der Vorderseite des nachstoßenden
Höhentroges für teils ergiebige Regenfälle, die staubedingt noch verstärkt
werden. Im zentralen Mittelgebirgsraum, aber auch im Westen und Nordwesten
kommen nochmals 10 bis 20 l/m², im Stau lokal um 30 l/m² innert 12 h runter,
wobei 3h-Raten von rund 10 l/m² dabei sein können. Mit Eintreffen der Kaltluft
hört der Niederschlag alsbald auf, so dass die Chance, als Schnee zu fallen,
gering ist (oberhalb 600 bis 400 m wenige Flocken). Allerdings entwickeln sich
mit Ankunft der höhenkalten Luft einige Schauer und kurze Gewitter, die als
Regen, Graupel oder Schnee (bei entsprechender Intensität bis in tiefe Lagen)
den Weg zur Erde finden. Oberhalb 400-600 m fällt im Westen und in der Mitte
sowie im Harz etwas Neuschnee, bis zum Morgen reicht wahrscheinlich aber eine
Glättewarnung. Noch weiter unten ist nur lokal und kurzzeitig mal etwas
Schneematsch möglich.

Montag … pumpt sich „Tochter“ ANTONIA (gemeint ist das Teiltief von der
Kimbrischen Halbinsel) zu einer echten Persönlichkeit auf. Das Tief zieht
nördlich an Gotland vorbei in Richtung Rigaer Bucht, wobei es sich auf unter 965
hPa vertieft. Gleichzeitig schwenkt der vergleichsweise kümmerliche Rest der
„Mutter“ als Bodentrog von der Nordsee her nach Norddeutschland und von dort
weiter in Richtung Polen. Überlagert wird das Ganze vom progressiven Höhentrog,
der ebenfalls ostwärts schwenkt. Derweil hält sich die Kaltfront nicht lange an
den Alpen auf, so dass bei sinkender Schneefallgrenze nicht allzu viel Neuschnee
fällt.

Vor diesem Hintergrund startet die neue Woche unbeständig und vor allem
weiterhin sehr windig bis stürmisch bei Tageshöchstwerten von 5-11°C. PVA und
WLA generieren in Verbindung mit Alt-ANTONIA ein größeres Niederschlagsgebiet,
das sich mit schauerartigen und vereinzelt gewittrigen Einlagerungen von
Nordwest nach Südost ausbreitet. Die Schneefallgrenze liegt bei 400 bis 800 m,
oberhalb 600 bis 800 m kommen 1 bis 5 cm, lokal auch etwas mehr Neuschnee
zusammen. Ansonsten regnet es, wobei in einigen Mittelgebirgen noch mal um 10
l/m², lokal bis 15 l/m² bilanziert werden können, die in den laufenden Warnungen
aber schon eingepreist sind.

Thema Wind, der weiterhin sehr flott und böig unterwegs ist (erst um West, dann
vorübergehendes Rückdrehen auf Südwest, später wieder auf West oder gar Nordwest
drehend). Südlich der Donau startet der Tag an der abziehenden Kaltfront sehr
stürmisch (9-10 Bft, lokal 11-12 Bft), bevor nur eine kurze Beruhigung einsetzt.
Danach werden im ganzen Land verbreitet Böen 7-9 Bft, in Schauer- und
Gewitternähe sowie anfangs auch an der Ostsee 10 Bft, Berge noch darüber. Erst
am Nachmittag, wenn der Gradient innerhalb des Bodentrogs mächtig auffächert,
lässt der Wind im norddeutschen Binnenland nach.

In der Nacht zum Dienstag gelangen wir zunehmend unter eine nordwestliche, zum
Morgen hin leicht antizyklonal konturierte Höhenströmung, die sich zwischen dem
abziehenden Trog und einem sich über Westeuropa aufwölbenden Rücken einstellt.
Bodennah dreht der langsam nachlassende, an der Küste und im Bergland weiterhin
lebhafte Wind (Böen 7-9 Bft, exponierte Hochlagen darüber) auf West bis
Nordwest. Dabei wird ein frischer Schwall maritimer Polarluft eingesteuert (T850
um -5°C), in der sich weitere Regen- oder Graupelschauer, oberhalb 400-500 m
Schneeschauer entwickeln. An den Alpen sowie im Erzgebirge ist die
Frequentierung der Schauer staubedingt höher, teils schneit es auch längere Zeit
am Stück. Belohnt wird das mit rund 5 cm, an den Alpen örtlich um 10 cm, in
Staulagen lokal 15 cm Neuschnee. Insbesondere im Bergland muss mit leichtem
Frost (und Glätte durch Schnee, Matsch oder gefrierende Nässe) gerechnet werden.

Dienstag … wandert der Rücken zügig über den Vorhersageraum hinweg ostwärts,
bevor dahinter die Höhenströmung auf West-Nordwest dreht. Bodennah schiebt sich
ein Keil des Azorenhochs bis nach Süddeutschland vor, wo sich die anfänglichen
Schneefälle mehr und mehr in die Alpen zurückziehen. Mitunter lockert die
Wolkendecke sogar auf. Ansonsten richtet sich der Blick erneut gen Westen, wo
sich Tief BIBI bei Island anschickt, Anteile am deutschen Wetter zu erwerben. So
kommt das okkludierende Frontensystem im Tagesverlauf immer näher und nach einer
kurzen Pause beginnt es im Nordwesten spätestens am Mittag zu regnen. Bis zum
Abend breitet sich der Regen auf weite Landesteile aus (meist unter 5 l/m²
innert 12 h, allenfalls im NW etwas mehr), lediglich im äußersten Süden und
Südosten bleibt es noch weitgehend trocken. Mit Zufuhr milderer Atlantikluft
(T850 um 0°C) steigt die Schneefallgrenze bis in die Kammlagen der Mittelgebirge
bzw. darüber hinaus. Die Tageshöchstwerte liegen zwischen 6 und 11°C, im
Bergland bei 0 bis 5°C.

Wind ist auch noch im Spiel, wenn auch nicht mehr so aggressiv wie an den
Vortagen. Gebietsweise erreicht der Südwestwind in Böen Stärke 7-8 Bft, in
höheren Lagen auch etwas mehr.

In der Nacht zum Mittwoch überquert uns das Frontensystem ostwärts, wobei
rückseitig wieder etwas kältere Meeresluft einströmt (T850 -2 bis -6°C).
Folglich sinkt auch die Schneefallgrenze wieder ab. Allerdings hört der
Niederschlag mit Ankunft der Kaltluft rasch auf, so dass lediglich in den
östlichen und südöstlichen Mittelgebirgen sowie an den Alpen etwas Schnee fällt.
Derweil lockert die Wolkendecke von Westen her sogar mal auf.
Anfangs weht noch ein mäßiger bis frischer, in Böen starker bis stürmischer Wind
(6-8 Bft, Küste/Hochlagen darüber), der von Südwest auf West bis Nordwest dreht.
Bis zum Morgen lässt der Wind im Zuge Druckanstiegs außer an den Küsten und in
höheren Lagen (vor allem Osten und Südosten) von Südwesten her nach. Leichter
Frost bleibt im Wesentlichen auf das Bergland beschränkt.

Mittwoch … sorgt Zwischenhocheinfluss für einen vergleichsweise freundlichen
Tag. Anfängliche Niederschläge im Süden und Südosten (vor allem im Bergland)
brauchen zwar etwas, bis sie das Weite suchen. Ansonsten steht landesweit aber
ein trockener Tag auf dem Zettel, an dem in der Südwesthälfte für längere Zeit
die Sonne scheint. Dort steigt die Temperatur verbreitet auf 10 bis 14°C, aber
auch sonst verläuft der Tag mit 7 bis 11°C alles andere als kalt. Der Wind legt
dankenswerterweise eine Pause ein, einzig an der See sowie anfangs im Osten ist
er aus West bis Südwest flott unterwegs (Böen 7-8 Bft).

Modellvergleich und -einschätzung

Die großräumige Entwicklung wird sehr ähnlich simuliert. Kleine Fragezeichen
stehen noch über der genauen Windentwicklung in der kommenden Nacht. Noch immer
sind die Signale von ICON-DE-EPS für Böen 11 Bft oder mehr an der Kaltfront sehr
defensiv. Dafür haben sich die Hinweise für das Alpenvorland (Leitplankeneffekt)
etwas erhöht, weshalb für dort eine Vorabinfo geschaltet wurde.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann