SXEU31 DWAV 231800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 23.07.2021 um 18 UTC

Markante Wettererscheinungen:
DANA geht, DIRK kommt – Umstellung der Wetterlage im Laufe des Wochenendes mit
Regenfällen und teils kräftigen Gewittern.

Synoptische Entwicklung bis Montag 12 UTC

Aktuell … fällt der Luftdruck in weiten Teilen des Landes, was als erstes
Zeichen für die am Wochenende bevorstehende Umstellung der Großwetterlage
gewertet werden kann. So wandern sowohl die seit Tagen wetterbestimmende
Bodenhochdruckzone DANA, als auch der stützende Höhenrücken ganz langsam in
Richtung Osten, womit der Weg frei wird für zyklonale Spießgesellen, die einen
mehrtägigen (wie lange genau weiß kein Mensch) Witterungsabschnitt mit
Regenfällen, Schauern und Gewittern einleiten. Als erste betreten ein vom
Nordrand der Biskaya zum Westeingang des Ärmelkanals ziehendes Höhentief sowie
eine über Frankreich zonal orientierte Tiefdruckrinne namens DIRK die Show, ohne
allerdings bei uns schon die ganz großen Akzente zu setzen.

So gelangen der äußerste Westen und Südwesten zwar unter den äußeren Vorderrand
der diffluenten südwestlichen Höhenströmung vorderseitig des Tiefs. Und auch die
Luftmasse wird zumindest im Südwesten (Saarland, Südpfalz, BW) immer
konvektionstauglicher, indem sich der Wasserdampfgehalt erhöht (PPW teils über
30 mm, spezifische Grundschichtfeuchte um 10 g/kg), die potenzielle Labilität
zunimmt, etwas MU-CAPE (bis 500 J/kg, allerdings gedeckelt) aufgebaut wird und
sogar Scherung vorhanden ist. Und trotzdem deutet derzeit alles darauf hin, dass
die Hauptaktivität in der Nacht auf französischer Seite stattfindet und in den
genannten Gebieten am frühen Morgen lediglich erste Vorläufer in Form von
„normalem“, wahrscheinlich nur leichtem Regen und nur mit geringer
Wahrscheinlichkeit ein erstes Gewitter aufschlagen. Was natürlich von Südwesten
zu uns rüberschwappt sind hohe, im Südwesten später auch mittelhohe
Wolkenfelder, die zusammen mit der Feuchteanreicherung in den o.e. Gebieten eine
erfrischende Abkühlung verhindern (Tmin teils um 19°C). In den meisten anderen
Regionen des Landes geht die Temperatur bei gering bewölkten bis klaren
Verhältnissen auf 16 bis 9°C zurück. Auch die dichte und tagsüber
lästig-widerspenstige SC-/ST-Bewölkung im Nordwesten bekommt Lücken bzw. weicht
allmählich nach Westen zurück.

Samstag … kommt das Höhentief nur sehr rudimentär über dem Ärmelkanal
nordostwärts voran, zum Tagesende ist gerade mal die Baie de Seine erreicht.
Grund für die pomadige Verlagerungsgeschwindigkeit ist die blockierende Wirkung
des stark nach Nordwesten zurückhängenden Höhenrückens, dessen
Phasengeschwindigkeit stark limitiert ist. Auf der anderen Seite hat diese
Tatsache zur Konsequenz, dass weite Teile Nord- und Ostdeutschlands den morgigen
Samstag noch unter Hochdruckeinfluss verbringen. Entsprechend scheint dort die
Sonne, auch wenn sich von Südwesten her kontinuierlich hohe, bedingt auch
mittelhohe Bewölkung nordostwärts vorarbeitet. Abzüglich der Küstenabschnitte
mit auflandigem Wind steigt die Temperatur auf 27 bis 32°C.

Weitaus diffiziler und synoptisch herausfordernder zeigt sich die
Wetterentwicklung in den westlichen und südlichen Landesteilen. Trotz der
schwachen Progression des Höhentiefs kommen diese Gebiete nun verstärkt unter
die diffluente Vorderseite, wo mit der süd-südwestlichen Höhenströmung
kurzwellige Troganteile nord-nordostwärts gesteuert werden. Darüber hinaus
verlagert sich die zonale, bis in den Westen des Landes reichende Tiefdruckrinne
nach Norden. Rückseitig dreht der Wind auf südwestliche Richtungen, wodurch sich
die potenziell instabile und feuchte Luftmasse nicht nur in Richtung Norden,
sondern auch ostwärts ausbreiten kann. Im Tagesverlauf wird ML-CAPE von 500-1000
J/kg, je nach Modell sogar stellenweise um 1500 J/kg aufgebaut bzw.
herantransportiert, womit die Schwierigkeiten schon losgehen. Vor allem die
zuvor durchziehende, vielfach starke Bewölkung könnte sich als ernstzunehmender
Hemmer der CAPE-Bildung entpuppen. Stand heute werden der äußerste Süden
(Alpen/Vorland bis zum Schwarzwald) und Südwesten die Areale sein, in denen die
energiereichste Luft vorhanden ist.

Obwohl die Details weiterhin offen sind, ist folgendes Szenario denkbar.
Zunächst mal ziehen am Vormittag die Konvektionsreste der westlichen Nachbarn
aus der Nacht über den Südwesten (BW bis hoch nach Hessen und ins südliche NRW)
nord-nordostwärts. Lokale Gewitter und lokaler Starkregen (noch kein Unwetter)
sind dabei zwar nicht ganz ausgeschlossen, tendenziell aber wenig wahrscheinlich
(viel Bewölkung, vormittägliche Depression). Im Tagesverlauf wird die Luftmasse
dann zunehmend aktiviert und es kommt vermehrt zu konvektiven Umlagerungen. Ein
Schwerpunkt liegt am Nachmittag und Abend im Nordwesten (von NRW nach NDS
übergreifend) an der Rinne (+ überlagertem KW-Trog), wo aber nur wenig CAPE
(meist unter 500 J/kg) und auch nur wenig Scherung vorhanden ist. Die Folge sind
starkregenlastige Gewitter, wobei die lokale Unwettergefahr zumindest auf Basis
von ICON-D2-EPS vergleichsweise gering bleibt.

Ein zweiter Schwerpunkt befindet sich im Südwesten, wo CAPE und Scherung (DLS
teils um 20 m/s, LLS – noch – relativ niedrig) höhere Werte als weiter nördlich
aufweisen. Ausgelöst durch die Orografie, aber auch regionale Windkonvergenzen
respektive Outflow-Boundaries benachbarter Gewitter kommt es zu schweren und
teils organisierten Gewittern. Die Aufwindhelizitäten lassen auf einzelne
Superzellen schließen und auch bogenförmige bzw. linienhafte Elemente sind
durchaus ins Kalkül zu ziehen (wenn man sich die Pseudoreflektivitäten der
hochauflösenden Modelle so anschaut). Je nach Organisationsgrad sind neben
Starkregen auch größerer Hagel (um 3 cm, vielleicht sogar bis 5 cm) und
(schwere) Sturmböen 9-10 Bft, evtl. sogar orkanartige Böen 11 Bft möglich. Das
große Problem derzeit liegt immer noch in der genauen räumlichen Verteilung der
Gewitter, weil quasi jedes Modell eine eigene Meinung vertritt. Eine der
Kernfragen dabei lautet, ob und in welcher Form die schweren Gewitter zunächst
vielleicht „nur“ Teile von BW treffen oder das Potenzial dafür über das Saarland
und RP bis ins südliche NRW und damit auch in die vom vergangenen Hochwasser
angespannten Gebiete reicht. Eine klare Antwort ist auch heute Abend nicht
möglich, so dass man eine mögliche Vorabinformation nicht opportun erscheint.
„Erfreulich“ bei dem Ganzen ist – wenn man das so schreiben darf -, dass die
Gewitter ziehen und somit die Gefahr der ganz großen (Stark)Regenmengen nicht so
hoch ist wie bei stationären Wetterlagen.

Nicht vergessen sind ab dem Nachmittag auch der Alpenrand sowie das angrenzende
Vorland, wo aus den Alpen, evtl. auch aus der Schweiz heraus ebenfalls einige
kräftige Zellen mit den o.e. Begleiterscheinungen auf die Bühne treten.
Inwieweit und ob überhaupt sich diese Gewitter ab dem Abend dann zu einem
größeren Cluster oder einem MCS zusammenschließen, der in der Nacht zum Sonntag
(unter Abschwächung) ost-nordostwärts zieht, ist ebenso noch offen wie die
geometrische Form, die ein solcher Cluster haben könnte. Auffallend sind die
konsistent hohen Starkregensignale von ICON-D2-EPS für das südliche BW in der
ersten Nachthälfte, die sogar für Mengen > 60 l/m² innert 6 h mit bis zu 40%
beziffern. Sollten sich diese Simulationen in den nächsten Läufen so oder in
ähnlicher Form fortsetzen, könnte man in der morgigen Frühkonferenz ernsthaft
über eine Vorabinfo diskutieren.

Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass sich die am Abend noch auftretenden
Gewitter und Regenfälle unter Intensitätsverlust nord- bzw. ostwärts ausbreiten.
Dahinter setzt sich im Westen und Nordwesten sowie in Teilen der Mitte
vorübergehend stabilere und etwas trockenere Luft durch (T850 um 10/11°C), in
der die Niederschlagsprozesse für einige Stunden erlahmen.

Sonntag … wird die Vorhersage noch nebulöser als sie ohnehin schont ist. Im
Groben erscheint die Sache relativ klar, aber im Detail? Vieles hängt natürlich
von der Vorentwicklung ab, die ja bereits jetzt unterschiedlich gesehen wird.
Kein Wunder also, dass das auch am Sonntag so ist, so dass hier nur noch
weitgehend mit Allgemeinplätzen argumentiert wird.

Fakt ist, dass sich der Höhenrücken endgültig nach Osten verabschiedet und das
Höhentief nun endlich die Straße von Dover erreicht respektive sogar passiert.
In 300 hPa deutet sich dabei ein Split in zwei Kerne an, von denen der nördliche
die westliche Nordsee ansteuert, während der südliche über Nordfrankreich
verweilt. Die weiterhin diffluent konturierte süd-südwestliche Höhenströmung
steilt noch etwas, wobei weiterhin kurzwellige, in den Potenzialkarten mit dem
bloßen Auge nur schwer erkennbare Troganteile nordwärts geschleust werden. Die
ehemalige Bodenrinne – wir sprechen immer noch über DIRK – hat inzwischen an
Kontur eingebüßt und stellt sich nun als vergleichsweise amorph anmutende
Tiefdruckzone über weiten Teilen Mitteleuropas dar. Die potenziell instabile und
schwüle Luftmasse breitet sich auf das ganze Land aus, das Feuchtemaximum mit
PPWs um 40 mm und spezifischen Grundschichtfeuchten um 13 g/kg verschiebt sich
in den Norden und Nordosten. Je nach Einstrahlung wird ML-CAPE von verbreitet
500 bis 1000 J/kg generiert, lokal auch noch etwas mehr. Die
Scherungsbedingungen verschlechtern sich gegenüber Samstag, so dass organisierte
Konvektion weniger wahrscheinlich wird.

Ausgelöst durch die o.e. Troganteile oder regionale Windkonvergenzen (z.T. aus
Outflow-Boundaries älterer Gewitter) entwickeln sich auch mit orografischer
Hilfe Schauer und Gewitter, bei denen Starkregen bis in den Unwetterbereich
(weiterhin natürlich nur lokal) ganz oben auf der Agenda steht. Allerdings kann
trotz mangelnder Organisation auch größere Hagel nicht ausgeschlossen werden,
wohingegen Wind/Sturm eine eher untergeordnete Rolle spielen sollte. Die
Temperatur steigt auf 23 bis 29°C (T850 am Mittag 10 bis 15°C) mit den höchsten
Werten im Osten, wo lokal sogar eine „30“ nicht unmöglich scheint.

In der Nacht zum Montag kringelt sich der südliche Teil des Höhentiefdipols über
der südwestlichen Nordsee ein, was Deutschland weiterhin auf seiner Vorderseite
zeigt. Der Tagesgang lässt das konvektive Geschehen zwar abebben, aber auch
nicht gänzlich zur Ruhe kommen. ICON sieht vor allem im äußersten Norden
(Vorpommern bis Nordsee) bis in die Morgenstunden andauernde Niederschläge,
wobei die anfangs noch vermehrt auftretenden Gewitter mehr und mehr in
ungewittrigen (Stark)Regen übergehen sollten. IFS (00 UTC) favorisiert eher die
Regionen zwischen Sachsen und MV für den meisten Regen (mit anfänglichen
Gewittern), GFS von 06 UTC wartet mit einer plumpen und großflächigen Verteilung
von Regenfällen und Gewittern auf. Wir sehen, die Fragezeichen reißen nicht ab,
wie auch????

Montag … macht das Höhentief keine Anstalten, seinen Platz über der
südwestlichen Nordsee nennenswert zu verlassen. Dafür rückt von Westen her ein
angeschlossener Trog dichter an den Vorhersageraum heran, was uns die zyklonal
konturierte süd- bis südwestliche Höhenströmung erhält. Dass dabei weitere
KW-Tröge durchschwenken, kann als wahrscheinlich angesehen werden. Und da sich
die Luftmasseneigenschaften ebenfalls nicht substanziell ändern (auch wenn es
Andeutungen gibt, dass im Nordwesten etwas kühlere (T850 um 10°C) und stabilere
Luft aufschlägt), muss auch zu Wochenbeginn mit einer regen konvektiven
Aktivität gerechnet werden, Dass es dabei längst nicht alle trifft, ist evident,
aber wo genau die Schwerpunkte liegen werden – who knows? Bei relativ geringen
Luftdruckgegensätzen geht die lokale Unwettergefahr einmal mehr vom Starkregen
aus. Höchstwerte 23 bis 29°C, dabei im Osten am wärmsten.

Modellvergleich und -einschätzung

Es bleibt dabei, die Umstellung kommt, die Details werfen auch kurz davor immer
noch Fragen auf.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann