SXEU31 DWAV 231800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 23.06.2021 um 18 UTC

Markante Wettererscheinungen:
Vor allem in der Südhälfte, bedingt auch in der Mitte und im Osten teils schwere
Gewitter. Unwettergefahr erst ab Freitag tendenziell abnehmend.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 12 UTC

Aktuell … befindet sich Deutschland – nach wie vor muss man sagen – inmitten
einer flauen Druckverteilung mit einem müden Azorenhochkeil im Norden und
amorphem Gesäusel im Süden. Auch in höheren Atmosphärenschichten ist die Lage
alles andere als dynamisch. Dabei befinden wir uns auf der Vorderseite eines
Höhentrogs über Westeuropa unter einer sehr defensiven, leicht diffluent
konturierten süd-südwestlichen Höhenströmung, in der gerade in Süddeutschland
trotz schwacher Advektionsterme etwas synoptisch-skalige Hebung generiert wird.

Kommen wir zur Vervollständigung noch zu den derzeit in Deutschland lagernden
Luftmassen, die – vereinfacht gesagt – in der Nordhälfte eher stabil und etwas
kühlerer Natur sind (T850 heute Abend 5 bis 10°C, nur im äußersten Nordosten
etwas darüber), während in der Südhälfte mit lasziver Penetranz feuchte und
labil geschichtete Warmluft (T850 10 bis 15°C) zum Dauerbegleiter geworden ist
und das auch bleiben wird.
Von daher überrascht es nicht, dass im Norden wettertechnisch nur wenig bis nix
geht und sich die Schlagzeilendichte mehr als in Grenzen hält. Okay, heute haben
es mal ein paar schlappe Regenreste aus der vergangenen Nacht bis in den Osten
und Nordosten geschafft, während sonst im Norden vielfach eine zähe SC-Decke
unterhalb 900 bis 850 hPa für verminderte Sonnenbrandgefahr sorgte.

Vom Norden in den synoptisch deutlich interessanteren Süden, wo sich am
Nachmittag ebenso wie in der Mitte einige schwer verdauliche Zellen entwickelt
haben, insbesondere in BW (teils extremes Unwetter). Doch damit ist die Messe
längst nicht gelesen, im Gegenteil, jetzt in den Abendstunden geht die Schose
weiter bzw. in einigen Regionen erst richtig los. Neben den aktuell auftretenden
Gewittern kommen nun vermehrt aus der Schweiz und den Alpen heraus kräftige
Entwicklungen, die vor allem in Bayern in ein gut geschertes Umfeld laufen (DLS
rund 20 m/s mit fast lehrbuchmäßig gekurvten Hodographen). Damit ist die
Wahrscheinlichkeit für Superzellen, die später zu einem oder mehreren MCS
zusammenwachsen können, hoch, aber auch im schlechter gescherten Umfeld in BW
ist eine Verclusterung der „Schweizer Importware“ wahrscheinlich.

Kurzum, ab den Abendstunden nimmt die Wahrscheinlichkeit schwerer Gewitter im
Süden weiter zu, die Unwettergefahr steigt. Dabei können neben (extremen)
Starkregen (ein- oder mehrstündig) auch größerer Hagel respektive
Hagelansammlungen und (schwere) Sturmböen, evtl. sogar mehr (selbst Rüssel und
Tornados sind nicht ausgeschlossen) am Start sein. Für die erste Nachthälfte
sieht ICON-D2-EPS südlich der oberen Donau Wahrscheinlichkeiten bis 100% für
Mengen > 35 mm/ 6 h und bis zu 60% für > 60 mm/ 6 h.

Im Laufe der Nacht ziehen die Cluster respektive MCS-Systeme langsam
nordwärts-nordostwärts gen Main und Mosel (die möglicherweise aber noch nicht
erreicht werden), wobei ein Teil der Gewitter auch nach Tschechien abgegeben
werden. Fakt ist, dass die Intensität der konvektiven Umlagerungen je nach
Organisationsgrad früher oder später nachlässt, auf alle Fälle aber nicht
gänzlich zum Erliegen kommt.

Während die Temperatur im Süden z.T. nicht unter 15°C sinkt, werden im
Nordwesten gebietsweise einstellige Werte angesteuert.

Donnerstag … weitet sich der Höhentrog etwas nach Osten aus, was Deutschland
zusehends in den gradientfreien Innenraum bringt. Lediglich im äußersten Osten
sowie im Südosten bleibt noch etwas südwestliche Höhenströmung übrig. Dass
angesichts solch luschiger Verhältnisse auch im Bodendruckfeld keine großen
Sprünge zu erwarten sind, ist offensichtlich. Gerade mal eine einzige
Hauptisobare (1020 hPa) gibt sich in der Mittagsanalyse über Deutschland die
Ehre, wobei im Norden bzw. über der Nordsee noch immer der kleine Hochkeil zu
erkennen ist.

Wo keine Dynamik, da auch kein Luftmassenwechsel, als heißt es auch morgen im
Süden und in der Mitte wieder „Ring frei, Runde 15“ (beim Schwergewichtsboxen in
früheren Zeiten wäre das die letzte gewesen, doch beim konvektiven Ringen kann
der Verfasser bereits an dieser Stelle weitere Runden versprechen). Zunächst mal
gilt es in der Mitte und im Süden die Regen- und Gewitterreste aus der Nacht zu
verwerten. Dabei ist vor allem auf möglichen Starkregen zu achten, ggf. auch
ungewittrig.

Im weiteren Verlauf des Tages lockert die Wolkendecke auf und die potenziell
instabile Luftmasse kann wieder mit Energie angereichert werden, so dass im
Süden bei PPWs von 25 bis 35 mm ML-CAPE von 500 bis 1000 J/kg, in Bayern
stellenweise etwas mehr generiert werden kann. Wie die Geschichte am morgigen
Donnerstag im Detail geschrieben wird, steht auch heute Abend noch nicht fest,
weil jedes Modell so seinen eigenen Kopf hat. Von daher sei ganz allgemein und
konzeptionell festgehalten, dass es etwa ab den Mittagsstunden vornehmlich über
dem südwestlichen Bergland, später aber auch aus den Alpen heraus sowie im
Alpenvorland vermehrt zu konvektiven Umlagerungen kommt. Neben mehr oder weniger
zur Verclusterung neigender Einzel- und Multizellen sind vor allem im weiterhin
gut gescherten weiß-blauen Freistaat (DLS im Süden und Osten 15 bis 25 m/s) auch
Superzellen mit von der Partie, die neben Starkregen auch größeren Hagel sowie
(schwere) Sturmböen zu liefern in der Lage sind. Nach Südwesten hingegen dürften
die Gewitter eher starkregenlastig ausfallen, was andere Parameter freilich
nicht vollständig ausschließt.

Am Ende läuft ohnehin wieder alles auf Nowcasting hinaus und ob erneut eine
Vorabinformation geschaltet wird, muss morgen früh entschieden werden. Unklar
ist aus heutiger Sicht auch noch der genaue Ablauf in der Mitte und im Osten.
Auch dort können die Reste der Nacht mit dem Tagesgang noch mal aktiviert
werden, indem einzelne Gewitter gezündet werden. Allerdings weisen die Modelle
immer noch einen nicht unerheblichen Spread auf, was freilich auch der Tatsache
geschuldet ist, dass jedes Modell die Gewitterstrukturen der kommenden Nacht
anders bewertet.
Tatsache ist, dass nach Nordwesten hin weiterhin nicht viel geht, weil je näher
man der Nordsee kommt die Luftmasse stabiler wird. Dröge SC-Bewölkung überdeckt
mal mehr, mal weniger geschlossen das mit maximal 19 bis 24°C temperierte
Norddeutsche Flachland, direkt an der Nordsee reicht es trotz einiger sonniger
Abschnitte bei auflandigem Nordwest gerade mal für 17°C. Dem gegenüber stehen
teils schwüle 22 bis 27°C im großen Rest des Landes.

In der Nacht zum Freitag erhält der o.e. Höhentrog vom Nordmeer und UK her eine
Frischzellenkur. Dabei etabliert sich über Schottland sogar ein eigenständiges
Drehzentrum etabliert. Derweil wird der alte Part über Mitteleuropa noch etwas
nach Osten gedrängt, wobei er zusehend an Kontur verliert. Unter dem Strich ist
die Strömung von unten nach oben weiterhin auf Flaute und Unsportlichkeit
gepolt.

Bei aller gebotenen Spreizung der verschiedenen Modelllösungen läuft es auf ein
ähnliches Szenario wie in den Vornächten hinaus. Anfangs vor allem im Süden eine
rege Gewittertätigkeit mit Hang zur Verclusterung bzw. Systembildung. Dann
langsam Verlagerung der Gewitter nordostwärts bis zunehmender Fokussierung auf
Starkregen. In Verbindung mit einem nur in unteren Troposphärenschichten
einigermaßen abgebildeten KW-Troges kann es auch im Osten zu Gewittern und
(Stark)Regenfällen kommen, allerdings bedarf es noch einer gewissen
Harmonisierung der numerischen Vorhersageprotagonisten, um belastbare Aussagen
treffen zu können. Eine echte Konstante bleibt der Nordwesten, wo weiterhin
nichts geht in Sachen Niederschlag oder Gewitter.

Freitag … wird der zuvor schon attackierte Hochkeil im Norden gänzlich
abgebaut, was ganz Deutschland einmal mehr in einen barischen Sumpf versetzt.
Dass umso mehr, als dass auch aus der Potenzialverteilung nichts rauszuholen
ist. Das o.e. Drehzentrum zieht zur Irischen See, sein Wirkungsradius ist aber
zu kurz, um bei uns Fuß zu fassen.

Beim Blick auf die Luftmasseneigenschaften fällt auf, dass trotz der schwachen
Strömungsverhältnisse eine gewisse Modifikation stattgefunden hat. So ist T850
im Osten und Süden nicht nur um einige Grad zurückgegangen (um 12 UTC 7 bis 10°C
=> Tmax 20 bis 25°C), auch Labilität und latenter Wärmegehalt respektive
Wasserdampfgehalt haben an Substanz eingebüßt. Die Lapse-Rates (2-4 km) weisen
nur noch rund -0,6 K/100 m auf bei gleichzeitigen PPW-Werten von 20 bis 30 mm
und spezifischen Grundschichtfeuchten von nur noch unter 10 g/kg. Dass sich
solche Basiswerte auch auf die Produktion von CAPE auswirken, ist evident, und
so verwundert es nicht, dass in der SO-Hälfte 500 J/kg kaum mehr überschritten
werden.

Nichtsdestotrotz, nachdem die nächtlichen Gewitter- und Regenreste im Laufe des
Vormittags abgewickelt worden sind, kommt es – meist ausgehend vom Bergland – zu
neuerlichen Überentwicklungen. Die Gefahr von Superzellen ist aufgrund fehlender
Scherung zwar gering, gleichwohl besteht bei langsam ziehenden Einzel- und
Multizellen lokale Unwettergefahr durch Starkregen, während Hagel und Wind – so
sie auftreten – wohl weitgehend im markanten Bereich bleiben werden. Was die
Details angeht (wann, wo wie viel etc.), muss man sich im Laufe der nächsten
Übersichten an die ganze Geschichte herantasten.

Fakt ist, dass der Norden und Westen in Bezug auf Regen oder Gewitter weiterhin
die Plätze auf der Tribüne einnehmen, wo neben Wolken nun auch vermehrt sonnige
Abschnitte serviert werden – bei 19 bis 24°C.

In der Nacht zum Samstag zieht das westeuropäische Höhentief weiter in Richtung
Westeingang des Ärmelkanals. Auf seiner Ostflanke steigt das Potenzial bei uns
geringfügig an, was die Bildung eines schwachen Rückens zur Folge hat.
Gleichzeitig steigt auch der Luftdruck etwas, was im Verbund mit dem Tagesgang
eine wahrscheinlich nachhaltig konvektionshemmende Gemengelage ergibt. Oder mit
anderen Worten, es wäre die erste nach seit Langem, in der die Nachtdienste
nicht permanent unter Hochspannung stehen und sich die Gewitter tatsächlich
abschwächen bzw. abklingen. Sollte es im Süden und in der Mitte für längere Zeit
aufklaren, bilden sich in von den vorherigen Niederschlägen stark angefeuchteten
Grundschicht Nebelfelder.

Samstag … bleiben Druck- und Potenzialverteilung flau, und ganz ehrlich, der
Verfasser hat keine konkrete Vorstellung, wie sich das Wetter bundesweit
entwickelt. Prinzipiell ist das weder was Außergewöhnliches noch was
Beunruhigendes, kommt öfters vor. Allerdings sei zu seiner Ehrenrettung gesagt,
dass offensichtlich auch die Modelle noch nicht so genau wissen, wo der Hase
langläuft. Also liebe Leute, belassen wir es für heute dabei (wer mag, kann sich
ja noch die Synoptische Übersicht Mittelfrist reinpfeifen, wo etwas über den
Samstag drinsteht) und freuen uns auf 21 Uhr, wo die Frage lautet: Trifft
Deutschland das Tor oder trifft ein Gewitter die Allianz-Arena? Oder treffen gar
die Magyaren oder alle oder keiner? Lassen wir uns überraschen…

Modellvergleich und -einschätzung

Im Grunde ist alles gesagt, auch wenn noch längst nicht alles klar ist.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann