SXEU31 DWAV 221800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 22.06.2021 um 18 UTC

Markante Wettererscheinungen:
Weitere Gewitter, vor allem im Süden mit hoher Unwettergefahr! Im Norden
stabiler und meist trocken.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 12 UTC

Aktuell … ist die Geschichte der großräumigen Potenzialverteilung recht
schnell erzählt. Demnach befindet sich Deutschland auf der Vorderseite eines
LW-Troges über West- und Südwesteuropa, in dem heute Abend ein Drehzentrum über
Westfrankreich zu finden ist. Flache, in der Isohypsendarstellung relativ
unscheinbar daherkommende Sekundärtröge, die mit der schwachen südwestlichen
Höhenströmung nordostwärts geschleust werden, sorgen im Süden wiederholt und in
der Mitte abgeschwächt für brisante Naturschauspiele in Form schwerer Gewitter.
Bevor darauf eingegangen wird erst einmal der Blick in den Norden, wo alles ganz
anders ist.

So hat sich dort inzwischen eine sagen wir mal eher unterkühlte, vor allem aber
stabile und relativ trockene Luftmasse durchgesetzt (T850 6 bis 11°C, Taupunkte
mit Ausnahme des Nordostens um oder sogar unter 10°C). Die Luftmasse interagiert
mit einem Keil des Azorenhochs, der im Laufe der Nacht aber durch einen von
Norden heranschwenkenden Bodentrog etwas „angefressen“ wird. Unterhalb der bei
850 hPa liegenden Inversion wird die Luft derart angefeuchtet, dass zum Morgen
hin an der Nordsee sowie in unmittelbarer Nachbarschaft ein paar
Koaleszenztropfen möglich sind. Im norddeutschen Binnenland, wo es gebietsweise
längere Zeit aufklart, kühlt es z.T. auf 8 oder 7°C ab.

Vom Norden in den unzweifelhaft brisanteren Süden, wo es einmal mehr kräftig am
Köcheln ist. In der labil geschichteten und sehr feuchten Warmluft (PPW teils
über 30 mm, Taupunkte 17/18°C in der Spitze) haben sich am Nachmittag wieder
einige unappetitliche Zellen mit (extremem) Starkregen, größerem Hagel und
mindestens Sturmböen 9 Bft entwickelt. Eine Zelle stach dabei deutlich heraus:
entstanden über Jungholz (Austria), entwickelt zur Superzelle mit imposanten
Radarsignaturen (auch in der Vertikalen), südlich an München vorbei und nun
kurze vor Passau (16:30 UTC). Und aus den Alpen heraus sowie im Alpenvorland
sollen weitere Schwergewitter folgen, was in Ansätzen, aber noch nicht mit
voller Gewichtigkeit zu erkennen ist. Sie sollen auf ihrem Weg nach Nordosten
mehr und mehr verclustern. Dabei rückt das Thema „Starkregen“ mit zunehmender
Nachtlänge in den Fokus, gleichwohl gilt es anfangs auch noch größeren Hagel und
(schweren) Sturm in Kalkül zu ziehen. Fakt ist, dass die Signale von ICON-D2-EPS
(von 09 UTC) für Starkregen südlich der Donau auf bayerischer Seite erschlagend
hoch sind mit bis zu 100% für Wahrscheinlichkeiten >35 mm/6 h und bis zu 60% für

60 mm/6 h. Sollte es so kommen, wäre der Impact immens (Überschwemmungen
jeglicher Art, ausufernde kleine Flüsse und Bäche etc.). Im weiteren Verlauf der
Nacht ziehen die Gewitter langsam nord-nordostwärs, wobei sie sich nur langsam
abschwächen.

Mittwoch … ändert sich nichts Grundsätzliches an der großräumigen
Strömungskonfiguration. Für unseren Raum bedeutet das weiterhin eine leicht
diffluente Trogvorderseite, wobei die Höhenströmung von Westen her noch etwas
schwächer wird als sie ohnehin schon war. Wenig Bewegung ist auch vom
Bodendruckfeld zu vermelden, wo im Norden der flache Keil verweilt, der vom
nächtlichen Trog überlaufen wird. Der Süden hingegen suhlt sich weiterhin in
einer gradientschwachen, mit feuchtwarmer Luft angefüllten Rinne, die sich von
Südwesteuropa bis nach Finnland erstrecket.

Dass es angesichts solch konservativer Verhältnisse zu keinem Luftmassenwechsel
kommt, ist evident. Entsprechend tut sich im Norden weiterhin wenig bis nichts
mit vielleicht ein paar morgendlichen respektive vormittäglichen Tropfen an der
Nordsee sowie im küstennahen Binnenland. Derweil sind die Chancen auf sonnige
Abschnitte im Nordosten (vor allem von Vorpommern bis nach Nordbrandenburg) am
besten. Dort steigt die Temperatur auf 21 bis 25°C, während von Ems- über
Ostfries- bis nach Nordfriesland keine 20°C erreicht werden.

In der Mitte und im Süden gilt es am Morgen und am Vormittag erst mal
Resteverwertung aus der Nacht zu verarbeiten. Konkret bedeutet das vor allem im
Süden und Südosten noch einige starkregenlastige Gewitter oder auch
ungewittriger (Stark)Regen. Danach gibt es wahrscheinlich nur eine kurze
Verschnaufpause, bevor es in den Mittagsstunden (Auslösetemperatur zwischen 20
und 24°C wird früh erreicht) zunächst über dem Bergland, später auch im
Flachland wieder zündet. Wo genau die Demarkationslinie zwischen stabiler Luft
im Norden und instabiler Luft im Süden liegt, ist genauso schwer zu sagen wie
die Orte zu bestimmen, an denen es zuerst funkt. Es spricht aber Einiges dafür,
dass konvektive Umlagerungen nicht nur im Süden, sondern auch im zentralen
Mittelgebirgsraum auftreten. Außerdem scheinen große Teile Bayerns zumindest
tagsüber weitgehend außen vor zu bleiben, was der leicht antizyklonal
konturierten Höhenströmung sowie längere Zeit starker Bewölkung geschuldet sein
dürfte.

Wie auch immer, am Ende läuft alles auf Nowcasting heraus und es stellt sich im
Vorfeld nur die Frage, ob auch morgen früh eine Vorabinfo geschaltet werden
soll/muss. Die Rahmenbedingungen in der Luftmasse lassen auch morgen wieder
Unwetter zu (PPW 25 bis 35 mm, CAPE bis nahe 1000 J/kg, leichter Gegenstrom mit
Nord unten und Süd-Südwest oben). Inwieweit diese sich organisieren (oder auch
nicht), ist noch nicht abschließend zu beantworten. Die Scherwerte sind in
Bayern am besten (DLS um 20 m/s), also dort, wo zunächst wahrscheinlich wenig
passiert. Sollte dann in den Abendstunden von BW her und aus den Alpen heraus
vermehrt Zellen im weiß-blauen Freistaat aufziehen, könnten diese sich zu einem
Cluster oder MCS organisieren, der eine Vorabinformation im Vorfeld
rechtfertigen würde. Die Entscheidung fällt in bzw. nach der morgendlichen
Telefonkonferenz.

Noch ein Satz zur Temperatur, die mit Ausnahme des äußersten Nordostens auf 20
bis 28°C steigt mit zur Mitte und nach Süden hin z.T. nicht unerheblichen
Schwüle.

In der Nacht zum Donnerstag scheint zum wiederholten Male ein KW-Trog aus den
Alpen heraus auf Bayern überzugreifen, der die Gewittersituation mit einem
zusätzlichen Hebungsimpuls noch verschärfen bzw. die Neigung, einen MCS zu
bilden, forcieren könnte. Sowohl SuperHD als auch ICON-D2 bieten ein solches
Szenario an, so dass aus dem Konjunktiv bald ein Indikativ werden könnte. Das
MCS bzw. der Cluster soll dann über die Donau hinweg gen Tschechien ziehen, um
dann gegen Morgen in abgeschwächter Form via Erzgebirge auf Sachsen
überzugreifen. Auf bayerischer Seite ist zuvor wieder von massiven
Starkregenfällen auszugehen, die gebietsweise bis in den extremen Bereich gehen
können. Noch ist es für Details zu früh, allerdings ist vor dem Hintergrund
zahlreicher Gewitter und Starkregenfälle in der jüngsten Vergangenheit von stark
gesättigten Böen auszugehen, was die Gefahr von Überflutungen, Schlammlawinen
etc. noch erhöht.

Während es im Südwesten noch ein paar nächtliche Schauer und Gewitter geben
kann, müssen sich die Regionen im mittleren und nördlichen Drittel des Landes
keine Sorgen um atmosphärische Unbilden machen. Es bleibt trocken und teils
klar, wobei im nordwestdeutschen Binnenland die 10°C-Marke nicht selten
unterschritten wird.

Donnerstag … macht der Höhentrog etwas Boden nach Osten hin gut, wobei er in
seinem Nordteil von einem vom Nordmeer südostwärts vorstoßenden zweiten Trog
regeneriert wird. Dadurch, dass wir uns nun weitgehend im Innenbereich des
Troges liegen, kommt der Höhenwind fast gänzlich zu Erliegen in 500 hPa häufig
unter 10 Kt, darunter z.T. unter 5 Kt). Im Norden fällt der Luftdruck, wodurch
der Hochkeil etwas nach Westen zurückgedrängt wird. Gleichwohl bleibt die Zufuhr
mäßig warmer (19 bis 25°C) und stabiler Luftmassen durch den schwachen
Nord-Nordwestwind gewährleistet. Dabei setzt sich von der See sowie von Jütland
her vermehrt die Sonne durch, während es weiter südlich über der Norddeutschen
Tiefebene eher wolkig, aber niederschlagsfrei ist.

In der Mitte und im Süden stellt sich zunehmend eine bei Meteorologen besonders
beliebte Sumpflage ein mit feuchtlabilen Luftmassen und quasi nicht vorhandener
Strömung. Die Scherungsbedingungen verschlechtern sich zusehends, lediglich im
Südosten Bayerns bleibt noch etwas DLS bis zu 15 m/s übrig, was für vereinzelte
Superzellen reichen könnte. Ansonsten dürften die Gewitter vermehrt pulsierenden
Charakter aufweisen (Einzel-/Multizellen) mit Starkregen ganz oben auf der
Agenda begleitender Parameter (PPW 25 bis 35 mm => Unwettergefahr). Schenkt man
dem heutigen 06-UTC-Lauf von SuperHD Glauben, würde es auch am Donnerstag noch
mal eine Gewitterlinie geben, die von Ostfrankreich und Luxemburg her zunehmend
organisiert und über den Süden und die Mitte ost-nordostwärts zieht – abwarten!

Bei Höchstwerten zwischen 22 und 27°C bleibt es schwülwarm.

In der Nacht zum Freitag muss vom Südwesten über die Mitte bis in den Osten mit
weiteren Gewittern und Regenfällen gerechnet werden, wobei die Starkregengefahr
hoch bleibt. Der Norden und Nordwesten bleiben weiterhin außen vor bei
Tiefstwerten zwischen 14 und 8°C.

Freitag … setzen sich die Gegensätze zwischen dem Norden bzw. Westen und dem
Rest der Nation fort. Zwar verringert sich der thermische Unterschied (um 12 UTC
T850 zwischen 6°C rund um HH und HB bis 11°C im Chiemgau => 20 bis 25°C
Höchsttemperatur), hinsichtlich Labilität und Feuchte bleiben die Differenzen
hingegen hoch (auch wenn die Warmluft Energieeinbußen hinnehmen muss). Für den
Nordwesten bedeutet das heiter bis wolkiges und trockenes Wetter, für den Rest
potenzielle Schauer und Gewitter (weiterhin Starkregen ganz oben), wobei es aber
nicht jeden trifft.

Modellvergleich und -einschätzung

Die Modelle sehen die grundlegende Verteilung für die nächsten Tage sehr
ähnlich. In den Details hapert es freilich noch, vor allem hinsichtlich der
genauen konvektiven Entwicklung. Hier gilt es, sich von Ereignis zu Ereignis zu
hangeln.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann