SXEU31 DWAV 201800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 20.06.2021 um 18 UTC

Markante Wettererscheinungen:
In der Nacht zum Montag von Süd nach Nord schwere Gewitter, teils ungewittriger
heftiger Starkregen. In den kommenden Tagen allmählich nach Südosten
zurückziehendes Gewitterpotenzial, allerdings weiterhin mit lokalen Unwettern.

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 12 UTC

Aktuell … (Stand 15UTC) steht Deutschland an der Schwelle zu ersten
großräumigen, dynamischen Schwergewitterlage des Jahres.
Das Bundesgebiet befindet sich weiterhin auf der Vorderseite eines Troges über
Westeuropa in einer strammen, flatternden südwestlichen Höhenströmung, in der
gleichermaßen instabile wie extrem feuchte Luft advehiert wird. Davon ein Stück
weit ausgenommen ist der Norden und Nordwesten, wo am Rande eines Tiefs über der
Deutschen Bucht mit Winddrehung auf Nordwest etwas stabilere und kühler Luft
eingeflossen ist. Der Gradient an der Südwestflanke des kleinen Tiefs lässt an
der Nordsee anfangs noch steife, bis stürmische Böen zu.

Im großen Rest des Landes sollten sich, zumindest dort, wo es einstrahlt,
respektable (gedeckelte) ML-CAPE-Werte zwischen 500 und 1500 J/kg aufbauen. Im
Alpenvorland, wo sich vorübergehend Föhn einstellt ((schwere) Sturmböen auf den
Alpengipfeln), findet sich in den Soundings eine abgehobene alpine
Mischungsschicht, die zu extrem steilen lapse rates und entsprechend deutlich
höheren CAPE-Werten jenseits der 2000 J/kg führt. Garniert wird das Ganze von
mäßiger bis starker hochreichender Scherung (15-30 m/s). Die Scherung ist zwar
tendenziell nach Nordwesten stärker ist als nach Südosten zu, dennoch ergibt
sich ein breiter Sektor mit guter Überlappung von Scherung und „Luftmasse“. Die
Scherung in den unteren Niveaus zieht im Süden und Südwesten ebenfalls deutlich
an (10-15 m/s). Grund dafür ist zum einen ein sich immer besser
herausarbeitendes Lee- respektive Hitzetief an den Alpen, an dessen Nordflanke
die Winde aus Ost gedreht haben und so eine starke Richtungscherung respektive
Helicity erzeugen (SRH 300-500 J/kg nach ICOn6!). Zum anderen greift ein von
Süden her ausgreifender Low-Level-Jet über. Nachdem tagsüber zunächst ein
„Trigger“ fehlte (nur isolierte Auslöse) kommt mit einem scharfen Kurzwellentrog
synoptisch-skalige Hebung auf. Zudem verschärft sich die als Föhndryline
fungierende Konvergenz im Leetief.
Entsprechend sind mehrere Gewitterherde dabei, von Frankreich und der Schweiz
her auf den Süden und Südwesten überzugreifen. Die Numerik ist sich recht einig
darüber, dass sich die Gewitter zu einem linearen MCS organisieren mit einem
oder mehreren Bogensegmenten, der über die Mitte nordwärts geführt wird. Die
Positionen der Schwerpunkte innerhalb der Linie waren bis zuletzt unklar, da die
einen Modelle eher die Hebung vor dem Trog (westliche Variante,
Rhein-Main-Gebiet), die anderen die Konvergenz als Trigger (östliche Variante)
betonten.
Klar ist: Die Gewitter können bzgl. aller Begleiterscheinungen unwetterartige
ausfallen, wobei anfangs im Süden und Südwesten die Böen im Fokus stehen (starke
Low-Level-Shear, hohes Potenzial für Verdunstungsabkühlung->DCAPE->cold pool).
Böen im vollen Orkanbereich sind zumindest regional wahrscheinlich. Auch großer
Hagel dürfte zu Beginn ein Thema sein, besonders in (eingebetteten) Superzellen.
Das man bezüglich Starkregens bei solcher Luftmasse (PPWs 30-45 mm) rasch bis in
den (extremen) Unwetterbereich kommt, steht außer Frage.
Mit Ausgreifen des Systems weiter nach Norden sollte sich der MCS zunehmend von
der Grenzschicht abheben, sodass sich das Gefahrenpotenzial von Böen und Hagel
mehr in Richtung heftigen Starkregen (auch ungewittrig und mehrstündig)
verschiebt (vor allem von der Mitte über Ostniedersachsen bis nach
Schleswig-Holstein). Innerhalb der sich ausbildenden trogvorderseitigen Rinne
soll sich nach Lesart der meisten Modelle eine Art Niederschlagsschleppe,
ausgehend vom MCS in Richtung Westen und Nordwesten, ausbilden, sodass es auch
dort (NRW/Westniedersachsen) zumindest markanter Starkregen auftreten könnte.

Von dieser Entwicklung ausgenommen dürfte der äußerste Südosten sein (dort
allerdings mit der Gefahr einer „trockenen“ Druckwelle und Sturmböen) sowie der
äußerste Osten.

Mit den Gewittern und dem Regen kühlt es im Vergleich zur Vornacht verbreitet ab
(15 bis 9 Grad), nur im Südosten und Osten bleibt die Nacht sehr mild (19 bis 15
Grad).

Montag … ändert sich die großräumige Lage nur wenig. Der Langwellentrog
kommt etwas nach Osten voran, sodass wir zunehmend in den Trogbereich geraten.
Der in die südsüdwestliche Höhenströmung eingebettete Kurzwellentrog schwenkt
über den Norden hinweg und schiebt den nächtlichen MCS vor sich her. Vor allem
in der ersten Tageshälfte kommt im Zuge dessen über dem Norden noch gebietsweise
teils gewittrigen Starkregenfällen, die stellenweise unwetterartig ausfallen.
Auf der „kalten“ Nordflanke der nach Westdeutschland zurückhängenden
Tiefdruckrinne wird, bedingt durch eine Gegenstromsituation, teils aber auch
durch leichte PVA, vor allem über dem Nordwesten noch längere Zeit Hebung
generiert, sodass es bis in den Nachmittag hinein regnet. Auch dort können
markante Stark- und/oder Dauerregenwarnschwellen gerissen werden. Im
Tagesverlauf wird die Rinne aber immer mehr zugeschüttet und macht Platz für
einen von der Nordsee her südostwärts ausgreifenden Hochkeil.
Im übrigen Land ist die instabilste Luft durch den MCS zwar „abgeräumt“ worden,
die „Überbleibsel“ sind aber immer noch leidlich instabil und feucht genug,
sodass mit Einstrahlung wieder ML-CAPE in der Größenordnung von 500 bis 1000
J/kg, im Süden und ganz im Osten, wo noch etwas feuchtere Luft lagert, eventuell
auch bis 1500 J/kg. Im Gegensatz zum Nordwesten ist die synoptisch-skalige
Hebung zwar allenfalls als diffus zu bezeichnen, allerdings ist die Luftmasse
auch nicht mehr so stark gedeckelt wie am Sonntag, sodass die Auslösetemperatur
regional erreicht werden sollte oder zumindest mit orographischer Unterstützung
einige Schauer und Gewitter ausgelöst werden dürften. Scherung (->Nordwesten)
und Luftmasse (->Südosten) überlappen sich bei weitem nicht mehr so gut wie am
Sonntag, was den Organisationsgrad limitiert. Pulsierende Einzel- und
Multizellen dürfte der bevorzugte Sturmmodus sein. Als Begleiterscheinung steht
der Starkregen im Fokus (bei PPWs von gebietsweise um 35 mm durchaus mit lokalem
Unwetterpotenzial). Insbesondere im Süden und ganz im Osten könnte mit geringer
Wahrscheinlichkeit auch der größere Hagel nochmal Thema sein. Genaueres kann man
sowieso erst kurzfristig sagen, da der heute zu erwartende Gewitterkomplex die
synoptische Lage und damit auch die Prognose noch erheblich modifizieren kann.
Im bewölkten, teils regnerischen Nordwesten gehen die Temperaturen bereits
deutlicher zurück (T850 auf 10 bis 6 Grad sinkend, maximal 16 bis 22 Grad),
ansonsten bleibt es schwül warm bis heiß (T850 11 bis 16 Grad, 23 bis 29, im
Osten und Südosten bis 33 Grad).

In der Nacht zum Dienstag ändert sich die synoptische Lage zumindest großräumig
betrachtet kaum. Allerdings wird mit einem etwas deutlicher in Erscheinung
tretenden, in die südwestliche Höhenströmung eingebetteten Kurzwellentrog über
der Südhälfte wieder etwas mehr Hebung generiert. Darauf reagiert die Numerik
mit im Vergleich zum Tage zunehmender Schauer- und Gewittertätigkeit. Da im Zuge
dessen auch die Scherung etwas zunimmt, können sich die Gewitter sogar zu
größeren Komplexen oder Linien organisieren. Das ruft neben Starkregen und Hagel
und Sturmböen wieder vermehrt auf den Plan.

Nach Norden zu bleibt es überwiegend trocken, wenn auch eher bewölkt.
In der insgesamt weniger heißen Luftmasse kühlt es sich wieder etwas besser ab:
Angepeilt werden zwischen 18 Grad im Osten und 9 Grad in der Eifel.

Dienstag … verbleiben wir auf der Trogvorderseite unter einer zyklonal
konturierten, etwas schwächelnden südwestlichen Höhenströmung. Gestützt durch
einen zu den Britischen Inseln gerichteten Rücken verstärkt sich der von dort
nach Norddeutschland gerichtete Hochkeil weiter. Es sorgt dort für zunehmend
stabile und trocken Verhältnisse. Neben vielen Wolken kann sich ab und an die
Sonne zeigen, vor allem nach Osten zu.

Anders sieht die Situation im Süden und bedingt in der Mitte aus, wo weiterhin
feuchte und leidlich labil geschichtete Luft herumlungert bzw. nur zögerlich
nach Südosten verdrängt wird. Nach vormittäglicher Depression dürfte die
Gewittertätigkeit im Tagesverlauf erneut aufleben. Die Scherung ist nicht
exorbitant hoch, aber auch nicht zu vernachlässigen, sodass mit Multizellen, im
schlimmsten Fall auch der ein oder anderen Superzelle zu rechnen ist. Das größte
Potenzial dafür besten in den südöstlichen Landesteilen. Bei PPWs, die immer
noch gebietsweise über 30 mm liegen ist Starkregen sehr wahrscheinlich, lokale
Unwetter ebenso. In den stärksten Zellen/Superzellen muss größerer Hagel und
lokale Downburst (Bft 10+) ins Kalkül gezogen werden.

Im Nordwesten und Westen fließt aus dem Hochkeil noch etwas kältere Luft aus
(T850 9 bis 5 Grad), sodass nur noch 15 bis 20 Grad erwartet werden. Ansonsten
bleibt es schwül warm bei 21 bis 29 Grad, mit den höchsten Werten an der Neiße
und an der Salzach.

In der Nacht zum Mittwoch rückt die Achse des an Kontur verlierenden Troges nach
Nordwestdeutschland vor, sodass sich die südwestliche Höhenströmung weiter
abschwächt. Der Hochkeil verstärkt sich dafür noch etwas und schwenkt mit der
Achse in die mittleren Landesteile. Die stabilere, kühlere Luft macht somit
Boden nach Südosten gut. Die Schauer und Gewitter klingen folglich auch über der
Mitte immer mehr ab. Nur der Süden und Südosten verbleibt noch in der feuchten
und instabilen Luft, in der weitere Schauer und Gewitter auftreten – allerdings
mit abnehmendem Unwetterpotenzial.

Die Tiefsttemperaturen liegen zwischen 8 Grad im Westen und 16 Grad an der Oder.

Mittwoch … ändert sich am Muster kaum etwas. Die Nordwesthälfte liegt im
Trogbereich, allerdings auch im Einfluss des Hochkeils sowie stabiler und kühler
Luftmassen. Die Niederschlagsneigung ist folglich eher gering, die
Sonnenausbeute wahrscheinlich aber auch. Bei T850 zwischen 4 und 10 Grad dürfte
es nicht mehr für einen Sommertag reichen (16 bis 23 Grad).
Nach Südosten zu stabilisiert die Luftmasse zwar auch etwas, sie ist aber
weiterhin feucht und neigt weiter zur Bildung von Schauern und einzelnen
Gewittern. Punktuelle Unwetter sind insbesondere durch Starkregen sicherlich
nicht ausgeschlossen, das Potenzial dafür sinkt aber weiter ab. Bei
Höchsttemperaturen zwischen 23 und 27 Grad bleibt es leicht schwül.

Modellvergleich und -einschätzung

Bezüglich der großräumigen synoptischen Strukturen rechnen die Modelle
kongruent. Die Unterschiede bei der Simulierung bzw. Parametrisierung der
Konvektion wurden im Text angerissen. Die Vorabinfo vor schweren Gewittern trägt
den Unsicherheiten Rechnung und bleibt zunächst so bestehen. Eine weitere
Vorabinfo vor heftigen Starkregen für einen Streifen von der nördlichen Mitte
bis in den Hamburger Raum wird heute Abend geschaltet. Die Akutwarnungen (vor
allem für die Gewitter), werden im Nowcast herausgegeben, wobei ein Vorlauf von
einer Stunde angepeilt wird.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Adrian Leyser