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Éowyn - eine erste Bilanz
Bereits im gestrigen Beitrag wurde ausführlich über den Orkan "Éowyn"
berichtet. Heute Nacht traf er schließlich auf Irland und wütete dort
über mehrere Stunden. Eine erste Bilanz.
Dass "Éowyn" ein Orkan mit epischen Ausmaßen werden würde, war schon
im Laufe dieser Woche klar. Bereits seit Mittwoch waren vom irischen
Wetterdienst (Met Éireann) Warnungen der höchstmöglichen Stufe für
ganz Irland ausgegeben worden. Am gestrigen Donnerstag zog dann auch
der britische Wetterdienst mit Extremwarnungen für Nordirland und
Teile von Schottland, Wales sowie Nordengland nach.
Das Ganze völlig zu Recht: In Irland ist man eigentlich sturmerprobt.
Die Insel steht offen zum Atlantik. Im Winterhalbjahr treffen große
atlantische Stürme dort oftmals zum ersten Mal auf Land und haben
damit das Potential, entlang der Westküste in voller Intensität
aufzuschlagen. Oftmals beschränkt sich dann aber das schlimmste
Geschehen auch auf diese küstennahen Regionen, während weiter im
Landesinneren die Windgeschwindigkeiten rasch abnehmen. Diesmal war
aber alles anders. "Éowyn" fegte mit voller Wucht über die Insel
hinweg. Selbst entlang der windabgewandten Ostküste traten - wie im
gesamten Rest Irlands auch - Orkanböen mit Geschwindigkeiten von über
120 km/h auf!
Entlang der Westküste kam es dementsprechend noch zu viel extremeren
Windgeschwindigkeiten. Vielfach wurden Orkanböen zwischen 130 und 150
km/h registriert. Spitzenreiter war die Wetterstation der
Atmosphärenforschungseinrichtung "Mace Head" direkt an der
Atlantikküste. Dort wurden um 5 Uhr Ortszeit 183 km/h gemessen.
Dieser Wert wurde mittlerweile vom irischen Wetterdienst als
vorläufiger neuer Rekord bestätigt und überbietet damit zunächst den
alten Rekord aus dem Jahre 1945 um 1 km/h. Allerdings kam es kurz
darauf zum Ausfall der Station - wie bei einigen anderen auch. Nach
aktuellem Verständnis liegt aber möglicherweise ein durch den Sturm
verursachtes Kommunikationsproblem vor, sodass eventuell noch weitere
Daten nachgeliefert werden, die die Bilanz nochmals ändern könnten.
Auch abseits des Stationsmessnetzes hat "Éowyn" umfangreichen Schaden
angerichtet. Neben eingestelltem Flug- und Fährverkehr waren
zahlreiche Straßen wegen Trümmern und umgestürzter Bäume
unpassierbar. Zeitweise waren über 700 000 Menschen ohne Strom -
immerhin etwa 14% der Gesamtbevölkerung Irlands! De facto war heute
Morgen das gesamte öffentliche Leben lahmgelegt.
In den nächsten Stunden zieht das Tief weiter in Richtung
Nordschottland und Shetland-Inseln. Dabei kommt es in Schottland,
Nordengland und Wales sowie anfangs auch noch in Nordirland zu
weiteren Orkanböen bis in den Abend hinein.
Ein Orkantief mit besonderen Eigenschaften
Wie konnte es soweit kommen? "Éowyn" bildete sich im Rahmen einer
sogenannten Rapiden Zyklogenese, gerne auch als "Bombenzyklone"
bezeichnet. Dabei kommt es zu heftigem Druckfall, in diesem Falle
etwa 50 hPa innerhalb von 24 Stunden. Derartige Tiefs weisen oftmals
nicht die klassischen Frontenstrukturen nach dem üblichen
norwegischen Modell auf, sondern eine andere Struktur, die durch das
Zyklonenmodell nach Shapiro-Keyser beschrieben wird. Dabei bildet
sich ein ausgeprägter Warmfrontschirm, aber keine Okklusionsfront.
Die Kaltfront ist eher schwach ausgeprägt und abgesetzt vom Tiefkern.
Der Tiefkern selbst ist im Gegensatz zum klassischen Tief mit warmer
Luft aufgefüllt, die dem Warmsektor entstammt.
Da derartige Tiefs oft an einem sehr starken Jetstream entstehen,
wirken heftige dynamische Prozesse. Diese bewirken unter anderem ein
Anzapfen trockener, stratosphärischer Luftmassen und ein enormes
Absinken der Tropopause bis auf wenige Kilometer Höhe. Dieses
Einmischen trockener Stratosphärenluft wird als "Dry Intrusion"
bezeichnet und ist gut im Wasserdampfkanal eines Satelliten sichtbar.
Des Weiteren bilden sich verschiedene Starkwindbänder in geringer
Höhe aus. Unter anderem ein sogenannter "Cold Jet", der hinter der
Kaltfront auftritt, und senkrecht zu dieser ausgerichtet ist. Bei
labil geschichteten Luftmassen kann dieser Starkwind bis zum Boden
herabgemischt werden und für extreme Windböen sorgen. Noch seltener
und gefährlich ist das Phänomen des sogenannten "Sting Jet". Dabei
rauscht - beschleunigt durch Verdunstungskälte - stratosphärische
Luft schlagartig nach unten bis auf geringe Höhen. Auch hier kann ein
Herabmischen diese Luftmassen bis zum Boden "durchschlagen" lassen
und für noch höhere Windgeschwindigkeiten sorgen. Dieses Phänomen
tritt aber äußerst selten, nur kurzzeitig und räumlich eng begrenzt
auf. Das Auftreten eines solchen Sting Jets kann man auch nicht ohne
weiteres erkennen und muss oft im Nachhinein noch untersucht werden.
M.Sc. Felix Dietzsch
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 24.01.2025
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