Thema des Tages
Wissenschaft Kompakt
Wetterextreme im (Klima-)Wandel - Attributionsforschung (Teil 2)
?Ist das schon der Klimawandel?? Jeder Meteorologe kennt diese Frage
zu Genüge. Heute erklären wir, wie man mithilfe der sogenannten
?Attributionsforschung? analysieren kann, ob und inwieweit sich
Wetterextreme aufgrund der Erderwärmung verändern.
Vor einigen Wochen gab es von Österreich über Tschechien bis nach
Polen noch nie zuvor beobachtete Regenmengen. ?Ist das schon der
Klimawandel?? oder ?Ist das eine Folge der Erderwärmung?? Mit diesen
oder ähnlichen Fragen wurden wieder viele Meteorologen und
Klimaforscher konfrontiert, wie immer bei extremen Wetterlagen. Nicht
nur Freunde und Bekannte, die selbst von einem Extremwetter
heimgesucht wurden oder wenn in den Nachrichten mal wieder von
Unwettern berichtet wird, interessieren sich hierfür. Bei den
verheerenden Flutkatastrophen im Juli 2021 im Ahrtal oder im
östlichen Mitteleuropa vergangenen September ergriffen
Klimaaktivisten und selbst Politiker unterschiedlicher Parteien die
Chance, im Wahlkampf diese Tragödien als eindrucksvolle Beispiele zu
verwenden, um eine nachhaltigere und engagiertere Klimapolitik zu
fordern. Aber ist das wirklich so, dass diese Naturkatastrophen klare
Zeichen für den bereits stattgefundenen Klimawandel sind? Im Thema
des Tages vom 25. Oktober haben wir bereits erklärt, dass man es sich
so einfach nicht machen darf.
Manch einem mag es vielleicht so vorkommen, es gäbe heutzutage im
Sommer nur noch Extreme. Mal sind es verheerende Überschwemmungen,
mal unerträgliche Hitzewellen oder langanhaltende Dürreperioden. Doch
haben sich tatsächlich bereits heute Wetter und Klima hin zu
häufigeren und zunehmend schlimmeren Extremereignissen verändert?
Werden sich diese mit fortschreitender Erderwärmung weiter
verschlimmern? Diesen Fragestellungen gehen die Klimawissenschaften
mit sogenannten ?Attributionsstudien? nach. Dabei handelt es sich um
ein noch junges Forschungsfeld, welches wir heute vorstellen wollen.
Der Begriff ?Attribution? kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so
viel wie ?Zuordnung (von Zusammenhängen)?. In der Klimaforschung wird
konkret untersucht, ob der fortschreitende Anstieg der globalen
Lufttemperatur bereits heutzutage zu einer geänderten Häufigkeit von
Extremereignissen geführt hat. Dazu blickt man mit Klimamodellen
mehrere Tausend Jahre in die Vergangenheit zurück. In diesen
Simulationen werden die klimatischen Bedingungen in vergangenen
Zeiten, für die es keine (präzisen und flächendeckenden) Messungen
gibt, künstlich erzeugt. Da Wetter- und Klimaextreme per Definition
selten auftreten, benötigt man für belastbare statistische Aussagen
einen derart langen Zeitraum.
Für den notwendigen Vergleich zwischen dem Klima der Vergangenheit,
den heutigen klimatischen Verhältnissen und denen der Zukunft wird
ein weiterer wissenschaftlicher Kunstgriff vollzogen. Sämtliche
Simulationen des vergangenen Klimas werden zunächst nur mit
natürlichen Klimaantrieben durchgeführt (z.B. Vulkanausbrüche,
Änderung der solaren Einstrahlung, ...). So erhält man die
klimatischen Verhältnisse, die sich ohne den Einfluss des Menschen
entwickelt hätten. Anschließend berücksichtigt man in den
Klimasimulationen zusätzlich anthropogene (d.h. vom Menschen
verursachte) Einflüsse wie den Ausstoß von Treibhausgasen (z.B. CO2,
Methan), um ein realitätsnahes Klima zu berechnen.
Um die Bandbreite der natürlichen Variabilität von Extremereignissen
abschätzen zu können, werden diese Simulationen mehrfach
durchgeführt. So erhält man einen ausreichend großen Datensatz für
statistische Analysen. Durch den direkten Vergleich der Klimata mit
und ohne anthropogenen Einfluss lassen sich etwaige Unterschiede
bezüglich der Häufigkeit von Wetter- oder Witterungsextremen dem
menschlichen Handeln ?zuordnen?. Damit wären wir zurück bei der
namensgebenden ?Attribution?. Die Studien basieren also auf einem
?Ursache-Wirkungs-Prinzip?. Die Auswertung erfolgt in der Regel in
Form einer Auszählung aller dem aktuellen Wetterphänomen (z.B. eine
Hitzewelle) sehr ähnlichen Ereignisse. Mit dieser Methode kann man
geänderte Eintrittswahrscheinlichkeiten eines betrachteten
Extremereignisses im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bestimmen
und diese dem Klimawandel zuordnen. Für eine Einschätzung der
zukünftig zu erwartenden Verhältnisse können Simulationen unter
Hinzunahme der anthropogenen Treibhausgasemissionen aus
unterschiedlichen Klimaszenarien durchgeführt und im Hinblick auf
Extremereignisse ausgewertet werden.
Bei Attributionsstudien muss allerdings beachtet werden, ob die
eingesetzten Klimamodelle überhaupt in der Lage sind, die
untersuchten Extremereignisse realitätsgetreu abzubilden. Analysen
von kleinräumigen Phänomenen wie Gewitter mit Starkregen sind erst
seit der Entwicklung der neuesten Generation der sogenannten
konvektionserlaubenden regionalen Klimamodelle möglich. Diese
Modellrechnungen sind allerdings rechentechnisch äußerst aufwändig
und erfordern sehr leistungsstarke Großrechner.
Zusammengefasst geben uns die Erkenntnisse aus der
Attributionsforschung also Aufschluss über den tatsächlichen Einfluss
des Klimawandels auf Extremereignisse. Mit ihnen kann selbst für
individuelle Extremwetterlagen analysiert werden, ob und in welchem
Maße der Klimawandel deren Intensität beeinflusst hat und ob die
Eintrittswahrscheinlichkeit für solche Ereignisse bereits zugenommen
hat.
Weltweit besteht für diese Thematik bei Politik und Gesellschaft ein
sehr hohes Interesse, weil die Attributionsforschung auch dazu dienen
kann, Aussagen für die Zukunft abzuleiten. So helfen sie politischen
Entscheidungsträgern bei der Konzipierung von
Klimaanpassungsstrategien und ermöglichen es uns, die Veränderung von
Extremereignissen bei unterschiedlichen Klimaprojektionen
abzuschätzen (z.B. bei Einhaltung des 2-Grad-Ziels oder beim
Verfehlen dieses).
Im dritten und letzten Teil dieser Themenreihe stellen wir demnächst
die wesentlichen Ergebnisse von Attributionsstudien zu
Extremwetterlagen der jüngeren Vergangenheit vor.
Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 27.10.2024
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