Thema des Tages
Wetter aktuell
Mittelmeerluft und Tief ANETT - Extremniederschläge im östlichen
Mitteleuropa
Über dem nördlichen Mittelmeerraum formiert sich am Donnerstag ein
kräftiges Vb-Tief namens ANETT (int. BORIS), welches in den kommenden
Tagen in Teilen Mittel- und Osteuropas extreme Niederschläge bringen
wird. Wir schauen auf die Wetterentwicklung und klären, warum diese
Druckkonstellation besonders hohes Unwetterpotential hervorruft.
Es bahnt sich in den kommenden Tagen eine brisante Wetterentwicklung
an, auf die man in einigen Regionen des östlichen Mitteleuropas gut
und gerne verzichten kann. Initialgeber für die bevorstehende
Wetterlage ist ein Höhentrog, der zum morgigen Donnerstag von
Nordeuropa über West- und Mitteleuropa hinweg bis in das westliche
und zentrale Mittelmeerraum hinein vorstößt (siehe Abbildung 1). An
dessen Westflanke strömt Polarluft von Nordeuropa nahezu ungehindert
bis zum Mittelmeerraum. In Verbindung mit dem sehr warmen Mittelmeer
kommt dadurch über dem Golf von Genua und Oberitalien eine kräftige
Tiefdruckgenese in Gang.
Mit der Höhenströmung begibt sich dieses Tief in der Folge auf eine
im meteorologischen Fachjargon bezeichnete Vb-ähnliche (sprich:
fünf-b) Zugbahn (siehe DWD- Lexikon) Die Einteilung der
Tiefdruckzugbahnen in 5 Klassen erfolgte durch den Meteorologen
Wilhelm Jacob von Bebber in den 1890er Jahren. Vb-Tiefs bereiten den
Wettermodellen und auch den Meteorologen in aller Regel größeres
Kopfzerbrechen und können für die ein oder andere Überraschung
sorgen. So ergeben sich oftmals Schwankungen in der präzisen Prognose
der Zugbahn oder der Intensität des Tiefs und der damit verbundenen
Niederschlagsfelder. Die aktuellsten Modellläufe haben sich
hinsichtlich der Zugbahn und auch der Niederschlagsfelder inzwischen
stärker angeglichen. Dabei würde unser Vb-Tief Deutschland nun eher
"links" liegen lassen. Der Reiseweg von unserem über Norditalien
geborenen Tief führt nun am Freitag zunächst über die Adria vorbei am
Rande der Ostalpen nach Ungarn und die Slowakei. Zum Samstag erreicht
es auch den Südosten Polens und die Westukraine und verharrt hier für
längere Zeit bevor es sich zum Wochenbeginn zum Schwarzen Meer
zurückzieht (siehe animierte Abbildung 2).
Tiefdruckgebiete mit solch einer Vb oder Vb-ähnlichen Zugbahn im
Frühherbst lassen unter Meteorologen rasch die Alarmglocken läuten.
Da sich Tiefdruckgebiete auf der Nordhalbkugel gegen den Uhrzeiger
drehen, führen die Vb-Tiefs auf ihrer Vorderseite sehr feuchte und
warme Mittelmeerluft mit sich. Gleichzeitig strömen an der Westflanke
polare Luftmassen weit über West- und Mitteleuropa Richtung
Alpenraum. Die feuchtwarmen, nordwärts geführten Luftmassen aus dem
Mittelmeerraum werden daher gezwungen, über die kühleren
aufzugleiten. Diese Hebungsprozesse dauern längere Zeit an und
verursachen intensive und langanhaltende Niederschläge.
Problematisch für die sich einstellende Entwicklung ist das derzeit
rekordwarme Mittelmeer. Im nördlichen Mittelmeerraum bewegen sich die
Meeresoberflächentemperatur aktuell bei weit überdurchschnittlichen
Werten von 25 bis fast 30 Grad (Abbildung 3). Diese Werte liegen
teils deutlich über 4 Grad über dem vieljährigen Mittel. Unser
Vb-Tief kann daher über dem Golf von Genua und der Adria besonders
viel Wärme und Feuchtigkeit "tanken", bevor es ins östliche Mittel-
sowie nach Osteuropa vorstößt.
Welche Mengen drohen nun in den genannten Regionen? Dazu gibt uns der
Modellvergleich der drei Globalmodelle ICON, ECMWF und GFS und deren
Prognosen für den Gesamtniederschlag bis einschließlich der Nacht zum
Dienstag Aufschluss (Abbildung 4). Nun, es sticht zuerst ins Auge,
dass sich der Niederschlagsschwerpunkt vom östlichen Alpenbogen bis
nach Polen erstreckt. Für unsere östlichen Nachbarn Österreich,
Tschechien und Polen sind das in der Fläche besorgniserregende Mengen
von 100 bis 150 l/m2 (Abbildung 4). Vor allem am Alpennordhang sowie
entlang der Sudeten mit Schwerpunkt Riesen- und Altvatergebirge
kommen zusätzlich Staueffekte ins Spiel, die Mengen um oder teils
mehr als 300 l/m2 möglich machen!
In der Folge dürften wir vor allem von Ausuferungen und
Überschwemmungen an den Flüssen bei unseren östlichen Nachbaren
erfahren. Insbesondere an der Weichsel und Oder dürfte die
Hochwassergefahr rasch deutlich zunehmen. Außerdem gesellt sich neben
dem Regen auch ein teils stürmischer Wind dazu, der die Gefahr von
umstürzenden Bäumen in den zunehmend gesättigten Böden ansteigen
lässt. Die hydrologischen Dienste in den östlichen Bundesländern
dürften schon in Habachtstellung sein und die Lage genau monitoren.
Neben der Oder gilt es auch die Pegel an Elbe und Neiße im Blick zu
behalten. Bei Letzteren dürfte die Hochwassergefahr voraussichtlich
aber etwas weniger stark ausfallen.
Auf dem deutschen Bundesgebiet zeichnet sich der
Niederschlagsschwerpunkt von den östlichen Bayerischen Alpen bis zum
Bayerischen Wald ab. In der Fläche dürften dort 40 bis 60 l/m2
zusammenkommen, auch in der östlichen Oberlausitz sind ähnliche
Mengen möglich. Im Chiemgau sind vorrausichtlich Summen bis 90 l/m2
wahrscheinlich. Die größten Mengen werden allerdings im Alpenstau
etwa vom Mangfallgebirge bis zum Berchtesgadener Land erwartet. Hier
dürften die Niederschlagssummen um 100 bis 150 l/m2 liegen, in den
Berchtesgadener Alpen bis um 200 l/m2.
Für die Ostalpen (einschließlich der Bayerischen Alpen) bleibt in
diesem Zusammenhang noch eine zusätzliche Wettergefährdung zu
erwähnen. So droht in den höheren Lagen ein veritabler
Neuschneezuwachs. Hier sinkt die Schneefallgrenze mit der
einsickernden Kaltluft aus Norden auf etwa 1300 m ab. In intensiven
Niederschlagsphasen fällt die Schneefallgrenze durch die
Niederschlagsabkühlung teils bis auf Höhenlagen um 1000 m. Dabei sind
in erster Näherung Neuschneemengen in den Bayerischen Alpen je nach
Höhenlage von 40 bis 80 cm möglich, in den Hochlagen der
Berchtesgadener Alpen sowie in den benachbarten österreichischen
Gebirgsgruppen sind Neuschneeauflagen um einen Meter und mehr
wahrscheinlich. Zudem dürfte der starke bis stürmische Nordwestwind
in den Hochlagen starke Verfrachtungen des Schnees nach sich ziehen.
Insgesamt kann man zumindest für die Hochwassergefahr im Alpenraum
konstatieren, dass durch den Neuschnee ein nicht unerheblicher Teil
der erwarteten Gesamtniederschlagsmenge gebunden und somit nicht
sofort in die Alpenbäche und Flüsse abgeführt wird. Allerdings ist
der Neuschnee vor allem in den Lagen bis etwa 1500 m sehr nass und
schwer. Aufgrund des noch hohen Belaubungsgrades droht somit bis in
die mittleren Alpenlagen große Schneebruchgefahr. Aber auch
Hangabrutschungen oder Murenabgänge sind in tieferen Lagen nicht
auszuschließen.
MSc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.09.2024
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