Thema des Tages
Wetter aktuell
Tornadosichtungen in Deutschland?!
In den vergangenen Tagen wurde in den sozialen Medien von zahlreichen
möglichen Tornadosichtungen berichtet und auch die
Tornadoarbeitsgruppe des Deutschen Wetterdienstes hat einige Anfragen
erreicht. Was an den Sichtungen dran ist, kann man im heutigen
Tagesthema lesen.
Zahlreiche Meldungen über mögliche Tornados
In den vergangenen Tagen hat die Tornadoarbeitsgruppe des Deutschen
Wetterdienstes zahlreiche Meldungen über Tornados erreicht. Diese
haben den Weg über die sozialen Medien, unsere WarnwetterApp oder
durch Gewitterjäger, zu uns gefunden. Daraus resultierten aus
nachvollziehbaren Gründen auch einige Anfragen aus den Printmedien,
die von der Expertengruppe beantwortet wurden.
Da fragt man sich also: Was ist dran an den Meldungen und warum
treten diese aktuell so gehäuft auf?
Welche Art von Tornados gibt es?
Dafür zunächst einmal ein allgemeiner Blick auf das Thema ?Tornado?.
Tornados kann man grundsätzlich in zwei Kategorien einteilen:
Tornados, die mit Schwergewittern einhergehen, sogenannten
Superzellen
Tornados, die häufig mit nur schwachen Schauern oder Gewittern
verbunden sind
Die beiden Kategorien haben grundsätzlich unterschiedliche
Bedingungen, unter denen sie sich bilden können. Die weitaus
schadensträchtigeren Ereignisse (sogenannte Typ-I Tornados) stehen in
Verbindung mit Superzellen. Ein Beispiel hierfür aus der jüngsten
Vergangenheit waren der Tornado von Nusbaum in Rheinland-Pfalz
(21.09.2023) oder die Tornados in Lippstadt, Paderborn und Merxhausen
am 20.05.2022 (Nordrhein-Westfalen bzw. Nordhessen).
Zutaten für Typ-II Tornados
In diesen Tagen handelte es sich aber um eine andere Wetterlage, die
typisch für sogenannte Typ-II Tornados sind. Die folgenden
Bedingungen sind klassisch dafür:
Geringe Windgeschwindigkeiten im unteren Troposphärenbereich (0-6 km)
Daraus resultierend eine geringe vertikale Windscherung, also eine
geringe Änderung des Windes mit der Höhe in Richtung und Stärke
Regionen, in denen bodennah Winde zusammenströmen (sogenannte lokale
Konvergenzzonen)
Starke Temperaturabnahme mit der Höhe im bodennahen Bereich zwischen
0 und 1 m
Niedrige Wolkenuntergrenze
Zutaten anhand der Beispiellage vom 19.05.2024
Tatsächlich waren alle diese Bedingungen in den vergangenen Tagen
erfüllt. Die notwendigen Zutaten sollen kurz an dem Beispiel vom
19.05.2024 näher gezeigt werden.
Auf der ersten Grafik sieht man die Strömung in 500 hPa. Dabei
handelt es ich um einen Höhenbereich von etwa 5600 m. An diesem Tag
lag ein Tiefdruckgebiet in diesem Höheniveau direkt über dem Norden
Deutschlands, die Druckgegensätze (Abstand der Isolinien) waren nur
gering.
Damit ergaben sich nur geringe Windgeschwindigkeiten im gesamten
unteren Troposphärenbereich, wie man in der folgenden Grafik an drei
Höhenniveaus sieht: 925 hPa (etwa 700 m), 850 hPa (etwa 1500 m) und
700 hPa (etwa 3000 m).
Wenn nun die Windgeschwindigkeiten in allen Höhenniveaus nur gering
sind, so ist auch die vertikale Windscherung nur schwach. Das heißt
der Wind ändert sich in Richtung und Stärke nur sehr wenig mit der
Höhe. Das lässt sich in der Darstellung der Windgeschwindigkeiten in
einem radialen Diagramm gut erkennen, wo die Windgeschwindigkeiten
nach außen zunehmen. Man erkennt die Winde in den verschiedenen
Niveaus bis 6 km Höhe (rot: 1-3 km, grün: 3-6 km). Die
Windgeschwindigkeiten sind überall nur schwach (meist unter 10 kn,
also kleiner 20 km/h) und es gibt kaum Änderungen zwischen den
Höhenniveaus.
Die Temperatur nahm mit der Höhe stark ab, was man anhand des
modellierten Radiosondenaufstiegs in der betroffenen Region sehen
kann. Die rote Kurve zeigt die Temperatur, die gerade im unteren
Bereich stark mit der Höhe abnimmt.
Bleiben noch die niedrige Wolkenuntergrenze und der lokal
zusammenströmende Wind (Konvergenzen). In den Bildern sieht man, dass
die Wolkenuntergrenze häufig unter 1000 m lag, was durchaus als
niedrige Wolkenuntergrenze bezeichnet werden kann. Zudem zeigen die
Windpfeile, dass sich verschiedene Regionen finden lassen, wo Winde
zusammenströmen und damit lokale Konvergenzen vorliegen.
Alle für Typ-II Tornados nötigen Zutaten lagen also am 19.05.2024
vor. Die Häufigkeit des Auftretens dieser Trichterwolken ist in der
Tatsache begründet, dass sich die derzeitige Großwetterlage schon
seit etwa anderthalb Wochen hält. Man merkt es auch an den tagtäglich
wiederkehrenden Gewitter- und Starkregenereignissen. Von daher
überrascht auch nicht die derzeitige Meldungshäufigkeit.
Was fehlt ist der Beweis vom Bodenkontakt
Ein wichtiger Punkt bleibt aber noch. Obwohl so viele Bilder mit
Trichterwolken vorliegen, ist dies noch kein Beweis dafür, dass es
sich auch tatsächlich um einen Tornado gehandelt hat. Hierfür ist ein
Bodenkontakt der Trichterwolke notwendig. Beweisen kann man dies
durch Schadensbilder, zum Beispiel plattgedrückte Felder,
abgebrochene Äste etc. Auf einigen Bildern und Videos reicht die
Trichterwolke zwar weit nach unten, von keinem der Fälle in den
letzten zehn Tagen liegt unserer Arbeitsgruppe aber ein Beweis für
einen Bodenkontakt vor. Das gilt auch für das hier angeführte
Beispiel vom 19.05.2024, das zahleiche Meldungen zur Folge hatte, von
der aber bisher für keine ein Bodenkontakt nachgewiesen werden
konnte.
Wie geht es weiter?
Auch in der zweiten Wochenhälfte besteht wieder ein Potential für
Trichterwolken und Typ-II Tornados. Die Tornadoarbeitsgruppe im
Speziellen und die Vorhersager im Allgemeinen freuen sich auch
weiterhin über Ihre Zumeldungen.
Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 27.05.2024
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst
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