#DWD #Thema des Tages 2023-09-05: Der „Stadion-Effekt“ eines tropischen Sturms
Thema des Tages
Wissenschaft kompakt
Der „Stadion-Effekt“ eines tropischen Sturms
Tropische Zyklone haben auf Satellitenbildern ein typisches Aussehen,
wobei das sicherlich prägnanteste Merkmal das Auge ist. Bei kräftigen
Zyklonen weist die Struktur des Auges ein besonderes Aussehen auf,
das den Namen „Stadion-Effekt“ trägt. Dieses Phänomen wird im
heutigen Thema des Tages beschrieben.
Bald ist wieder Wochenende und somit die Zeit für unzählige
Fußballfans in die Stadien zu pilgern, um ihren Vereinen die Daumen
zu drücken. Können Sie sich noch an Ihren jüngsten Besuch eines
Fußballstadions erinnern? Oder haben Sie noch die Bilder im Kopf,
wenn bei einem im Fernsehen live übertragenen Spiel ein Blick auf das
gesamte Stadion von oben zu erhaschen war? Was gibt es doch für
beeindruckende Bauwerke, wo sich das Stadion immer mehr nach Außen
neigt, je höher man sitzt und letztendlich in eine riesige Öffnung
mündet, die nicht selten von oben gesehen einem Auge gleicht. Der
Grund für diese architektonische Ausrichtung ist u.a. der, dass die
Zuschauer einerseits die oberen Plätze erreichen wollen (was bei
senkrechter Ausrichtung nicht jedem sportlich visierten Fußballfan
glücken dürfte), andererseits aber auch gut auf den Fußballplatz
einsehen möchten und natürlich verkleinert sich auch der Fußabdruck
des Stadions. Doch wieso sprechen wir im heute verfassten Thema des
Tages über Fußball und nicht über das Wetter?
Auch beim Wetter gibt es ein Phänomen, dass bei entsprechender
Ausprägung im Zentrum sehr einem Fußball-/Baseball- oder
Footballstadion ähnelt und dieses ist im Bereich der Tropen zu
finden: ein tropischer Zyklon.
Wie bereits in den Themen des Tages vom 13. Oktober 2015 und dem 04.
Februar 2023 beschrieben gibt es eine satellitengestützte
Mustererkennung von tropischen Stürmen, um deren Intensität zu
detektieren. Dabei fällt diese Bestimmung nicht selten komplex aus
und liefert Nährboden für kritische Diskussionen. Sobald sich jedoch
das Auge eines tropischen Sturms gebildet hat vereinfacht sich die
Intensitätsabschätzung wieder, kann man doch mindestens von Böen in
Orkanstärke ausgehen. Zur Erinnerung, je intensiver der
Temperaturkontrast „Auge – Oberflächentemperatur der Gewitterwolken“
ausgeprägt ist, umso kräftiger ist die Dynamik eines Tropensturm bzw.
dann Hurrikans/Taifuns/Zyklons etc.
Gerade die intensivste Phase eines Tropensturms mit einem klar
definierten Auge ist diejenige, wo der Stadion-Effekt zur Geltung
kommt. Wie so oft im Bereich der Tropenmeteorologie ist dessen
Entstehung sehr komplex und wird hier stark vereinfacht
wiedergegeben.
Zunächst muss man wissen, dass das Auge eines tropischen Sturms aus
einer sogenannten „Augenwand“ besteht, in der die höchsten
Windgeschwindigkeiten gemessen werden und aus einem nicht selten
nahezu windstillen Inneren des Auges.
Im Auge sinkt die Luftmasse ab, erwärmt sich und trocknet ab. Uns
interessiert aber vor allem das Geschehen innerhalb der Augenwand. Im
unteren Bereich der Augenwand bremst die Reibung den Wind noch
merklich ab, sodass z.B. die höchsten Windgeschwindigkeiten innerhalb
der Grenzschicht (der Schicht direkt über dem Erdboden bzw. der
Meeresoberfläche) erst in durchschnittlich 500 m über Grund erreicht
werden. Oberhalb der bremsenden Grenzschicht lässt die Reibung jedoch
zügig nach, sodass dort die Windgeschwindigkeit nochmals deutlich
zunimmt. Zudem muss man wissen, dass ein gedachtes Luftteilchen
während der Umrundung des Auges in der Augenwand unterschiedliche
Kräfte spürt – die Kraft, die in das Zentrum des Sturmes zeigt
(Druckgradientkraft) und Kräfte, die das Teilchen vom Zentrum
wegziehen (z.B. Zentrifugalkraft). Letztere überwiegen bei
Windzunahme, sodass die Teilchen mit der Höhe versuchen ein
Gleichgewicht zu erreichen, indem sie in immer größeren Bahnen um das
Auge zirkulieren. So entsteht ein nach oben sich aufweitender
Trichter, der von oben gesehen in Form eines sich vergrößernden Auges
zu erkennen ist.
Der Stadion-Effekt ist bei kräftigen Zyklonen besonders gut
ausgeprägt und kann vor allem bei tiefstehender Sonne mit
entsprechendem Schattenwurf mit Hilfe eines Satelliten bewundert
werden. Natürlich funktioniert es auch, wenn der Wettersatellit
zentrumsnah (nicht direkt) über das Auge fliegt. Doch wie sieht so
ein Stadion-Effekt nun aus?
Beginnen wir mit dem erst kürzlich tobenden Taifun SAOLA, der als
sogenannter „Supertaifun“ (Kategorie 4 Sturm der fünfteiligen
Saffir-Simpson Skala) die Straße von Luzon westwärts durchquert und
das Südchinesische Meer erreicht hat, um sich auf seinem Weg in
Richtung Hong Kong allmählich abzuschwächen. Während der intensivsten
Phase entstanden die beiden folgenden Bilder.
Der Wettersatellit stand äußerst günstig, um den Stadion-Effekt
dieses Supertaifuns abzulichten. Im obersten Bild sieht man ein
farblich verfälschtes Wasserdampfbild, wobei grüne Farben sehr
feuchte Luftmassen anzeigen (Schauer und Gewitter). Im Auge, wo die
Luft absinkt und abtrocknet wird die sehr trockene Luftmasse rötlich
dargestellt. Dabei erkennt man, dass die Farben nicht schlagartig
von sehr feucht zu sehr trocken wechseln, sondern dass es einen
allmählichen Übergang gibt. Der Wasserdampfkanal 6.2, der hier zu
sehen ist und für die Analyse im oberen Bereich der Troposphäre
verwendet wird, misst hier also den allmählichen Abfall innerhalb der
Augenwand, der dadurch entsteht, dass diese nach oben geneigt ist und
nicht senkrecht abfällt.
Ähnliches sieht man im zweiten Bild (im Infrarotkanal), wo die vom
Satelliten ermittelte Temperatur gezeigt wird. Diese liegt dank
hochreichender Konvektion ums Auge herum bei unter -60 Grad und
steigt im Auge sprunghaft auf über +11 Grad an (real mit feinerer
Auflösung wurden sogar bis knapp +20 Grad gemessen). Auch hier wird
die geneigte Augenwand visuell eindrücklich gezeigt.
Doch sind wir mal ehrlich – geben wir uns mit diesen Bildern wirklich
zufrieden? Nein. Wir zoomen mal ordentlich in das Auge von SAOLA
hinein.
Alleine die Dynamik und Struktur dieses Auges sind beeindruckend
(besonders mit dem Wissen, dass der Sturm über dem offenen Meer
tobte), doch beschränken wir uns darauf die Augenwand zu betrachten,
die z.B. im südöstlichen Quadranten eine Neigung nach außen hin
aufweist. Man kann sich hier bildlich ein Stadion vorstellen. In der
Augenwand die Zuschauer und auf dem Platz im Auge die wild tobenden
kleinräumigen Wirbel, die einen packenden Tanz aufführen.
Wie bitte, das ist Ihnen noch immer nicht nah genug? Gut, um Ihren
Wissensdurst zu befriedigen begleiten wir die sogenannten „Hurricane
Hunter“ (Meteorologen, die mit einem Flugzeug in diese Stürme fliegen
und Messungen vornehmen) in den Hurrikan Epsilon aus dem Jahr 2020,
der Ende Oktober im Nordatlantik tobte.
Viel eindrücklicher kann man diesen Effekt kaum mehr darstellen –
oder doch? Reizen wir alles aus und beenden dieses Thema des Tages
mit einer kleinen Fotocollage. Die Bilder entstanden im Jahr 2015 und
sie wurden durch den ehemaligen nordamerikanischen Astronauten Terry
Virts von der ISS abgelichtet. Die Bilder zeigen den Supertaifun
MAYSAK, der Ende März/Anfang April 2014 im nordwestlichen Pazifik
wütete.
Und wieder zeigt sich, welch Schönheit die zerstörerische Kraft eines
tropischen Zyklons hat, wenn man diesen aus sicherer Entfernung
betrachten kann, doch darf man nie vergessen, dass eben diese
Schönheit beim Landgang Leid und Zerstörung bringt. Mit dem aktuell
aktiven und bald sehr intensiven Hurrikan LEE im tropischen Atlantik
wird es sicher auch in den kommenden Tagen die Möglichkeit geben den
Stadion-Effekt per Satellit oder mit Bildern der Hurrikanjäger aus
dem Flugzeug zu bestaunen.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.09.2023
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst
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