Thema des Tages
Wissenschaft kompakt
Hühnergöttern auf der Spur
Manches Wissen erscheint einem hin und wieder als weithin bekannt und
plötzlich wird man eines Besseren belehrt. So zeigte sich kürzlich,
dass "Hühnergötter" hier bei uns in der Vorhersagezentrale nicht
jedem vertraut sind. Was sich hinter diesem Begriff versteckt, klären
wir heute im Thema des Tages.
Die Autorin begab sich kürzlich im Ostseeurlaub auf die Suche nach
Bernstein, Donnerkeilen und anderen Fossilien sowie "Hühnergöttern".
Seit der Kindheit sind ihr diese Formationen bekannt und so war sie
verwundert, als Kollegen sie bei ihren Erzählungen über die
Urlaubsreise fragend anschauten. Wenn Ihnen "Hühnergötter" ebenso
unbekannt sind, sei Ihnen der heutige Artikel ans Herz gelegt.
In der letzten Kaltzeit, also etwa vor 115.000 bis 11.700 Jahren,
bedeckte das Fennoskandische Eisschild ganz Nordeuropa. Mehrere Male
stießen Gletscher während dieser Zeit in Kältephasen bis nach
Mitteleuropa vor und zogen sich in warmen Phasen wieder zurück. Im
letzten glazialen Maximum, der Weichsel-Kaltzeit, vor rund 22.000 bis
18.000 Jahren reichte der Gletscher aus Skandinavien in etwa bis
südlich des heutigen Berlins und bis nach Hamburg. Jedes Mal
transportierte der Gletscher Sand und Steine. Im Eis waren die Kräfte
gering, sodass auch weiche Kalke und Fossilien die langen Wege aus
Skandinavien bis zu uns nach Deutschland unbeschadet überstehen
konnten. So wurden aus der Ostsee auch Unmengen an Feuerstein zu uns
nach Deutschland verfrachtet. Dass die Gletscher bis nach Nord- und
Mitteldeutschland vorangekommen waren, wird durch das Vorkommen von
Feuersteinen in diesen Regionen belegt. Im Grunde kennzeichnet die
sogenannte "Feuersteinlinie" die maximale Südausdehnung des
Fennoskandischen Eisschildes.
Und was hat das nun mit "Hühnergöttern" zu tun?
"Hühnergötter" sind Steine mit einem Loch, das auf natürliche Weise
entstanden ist. Das Loch kann wenige Millimeter oder aber einige
Zentimeter groß sein. Oft sind es Feuersteine mit herausgewitterten
Kreideeinlagerungen. Man findet sie hierzulande häufig an den
Steinstränden der Nord- und Ostsee oder eben in eiszeitlichen
Geröllen im Binnenland entlang der oben erwähnten Feuersteinlinie.
Sie gelten als Glücksbringer und werden sehr gern aus dem Urlaub mit
nach Hause gebracht. Nebenbei bemerkt, sind Mitbringsel dieser Art
nur in kleinen Mengen erlaubt. Der Feuerstein erhielt seinen Namen
daher, dass mit diesem Stein tatsächlich Feuer gemacht werden kann,
was in der Steinzeit schon bekannt war.
Als Laie vermutet man nicht, dass dieses Gestein tatsächlich aus
organischen, kalkhaltigen weichen Bestandteilen abgestorbener
Meeresbewohner besteht. Millionen Jahre dauert es, bis sich
Muschelschalen, Knochen etc. auf dem Meeresgrund absetzen, sich dort
verfestigen und anschließend verkieseln - also einfach ausgedrückt,
zu Stein werden. Manchmal verkieselte nicht das komplette Material
und feine oder auch größere weiche Kalkeinlagerungen blieben im
Feuerstein erhalten. Da die Feuersteine ständig dem Meereswasser
ausgesetzt waren, wurden diese nicht verkieselten Areale im Stein im
Laufe der vielen tausend Jahre gelöst oder ausgewaschen und so
entstanden die Löcher im Stein.
Klären wir nun noch, woher die "Hühnergötter" ihren Namen erhalten
haben.
Im Grunde werden "Hühnergötter" nur hierzulande entsprechend
bezeichnet. In anderen Ländern heißen Steine mit Loch (nicht nur
Feuersteine) anders. Zur Namensgebung gibt es unterschiedliche
Ansätze. Einer davon entspringt einem sehr alten slawischen Glauben.
Demnach sollen die Steine mit Loch Hühner vor bösen Geistern
schützen.
Zahlreiche Strände beispielsweise auf Rügen sind von Feuersteinen
bedeckt. Aber nicht nur "Hühnergötter", auch andere Schätze verbergen
sich dort. Sich auf die Suche nach ihnen zu begeben, macht nicht nur
Kindern Spaß. So sei Ihnen ein Ausflug an die Steinstrände unserer
Küsten wärmstens empfohlen.
Dipl.-Met. Julia Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.07.2023
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