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Wissenschaft kompakt
Wenn die Ostseeküste im Schnee versinkt ? der Lake Effect 


Das außergewöhnlich warme Herbstwetter der vergangenen Tage lässt 
zumindest gefühlt den Winter noch in weite Ferne rücken. Wir wollen 
heute trotzdem einmal den Blick auf ein winterliches Wetterphänomen 
richten, das vor allem aus dem Umfeld der Großen Seen in den USA 
bekannt ist, hin und wieder aber auch hierzulande für große 
Schneemengen sorgt: den sogenannten Lake Effect.


Der Lake Effect ist ein Phänomen, das immer dann auftritt, wenn sehr 
kalte Luftmassen über größere warme Wasserflächen strömen. Die kalte 
Luft wird beim Überströmen des wärmeren Wassers von unten erwärmt, 
was zum Aufsteigen der mit Feuchtigkeit angereicherten Luft führt. 
Beim Aufsteigen kühlt sich die Luft wiederum ab, die Feuchtigkeit 
kann auskondensieren und es bilden sich Wolkenstraßen. Bei geeigneten
Rahmenbedingungen können im Rahmen des Lake Effects zum Teil große 
Schneemengen fallen. Besonders häufig ist dies an den Süd- und 
Ostküsten der Großen Seen (??Great Lakes??) in den USA und Kanada der
Fall, wodurch der Lake Effect zu seinem Namen gekommen ist. Zwischen 
November und März kann bei der entsprechenden Wetterlage aber auch 
die deutsche Ostseeküste betroffen sein. 

Im Detail sind dafür folgende meteorologische Zutaten vonnöten: 

Zum einen muss die Temperaturdifferenz zwischen der Wasseroberfläche 
und der Temperatur in 1500 Metern mindestens 13 °C betragen. Dies ist
eine Voraussetzung dafür, dass die Luftmasse genug vertikalen 
Auftrieb erfährt, damit Wolkenbildung einsetzen kann ? man spricht 
von einer labilen Luftschichtung. Je größer dieser 
Temperaturunterschied ist, desto stärker ist meist auch die 
Ausprägung des Lake Effects und die Intensität der Niederschläge. 
Ein weiterer wichtiger Parameter ist der sogenannte ??Fetch?? ? 
dieser aus dem Englischen stammende Begriff lässt sich ins Deutsche 
etwa mit der Wirklänge des Windes über die offene Wasserfläche 
übersetzen. Der ??Fetch?? sollte typischerweise mindestens 100 km 
betragen, damit der Luft ausreichend Wärme und Feuchtigkeit für die 
Entwicklung der Schneeschauerstraßen zugeführt werden kann. 
Kleinere Seen reichen also nicht aus, um den Lake Effect auszulösen. 
Damit sich die Schneeschauer linienhaft organisieren können, ist es 
außerdem von großer Bedeutung, dass möglichst wenig vertikale 
Windscherung vorherrscht. Hierunter versteht man die Änderung der 
Windrichtung bzw. -geschwindigkeit mit zunehmender Höhe. Nimmt der 
Wind mit der Höhe stark zu oder dreht er markant, werden die sich 
entwickelnden Bänder rasch wieder auseinandergerissen. Als Faustregel
gilt, dass die Windrichtung sich zwischen den bodennahen 
Luftschichten und ca. 3000 Metern Höhe um nicht mehr als 30° ändern 
und die Geschwindigkeitsdifferenz maximal 75 km/h betragen sollte. 
Zu guter Letzt ist noch wichtig zu erwähnen, dass Eisbildung den Lake
Effect unterbindet ? ein zugefrorener See oder Ozean löst auch keinen
Lake Effect mehr aus.

Lake-Effect-Ereignisse an der deutschen Ostseeküste:

Im Rahmen starker Kaltlufteinbrüche aus Nordosten bzw. Osten kann 
sich im Ostseeküstenumfeld ein starker Lake Effect ausbilden. Dies 
ist auch in den vergangenen Jahren immer wieder vorgekommen. Häufig 
betroffen sind die Inseln Rügen und Hiddensee sowie die Lübecker 
Bucht, generell können aber alle Küstenabschnitte der Ostsee 
betroffen sein ? je nach Windrichtung. Für Meteorologen ist eine 
genaue Vorhersage meist sehr schwierig, da sich die Schneeschauer oft
in räumlich sehr eng begrenzten Linien anordnen. Während es in einem 
Ort stundenlang kräftig schneit, kann wenige Kilometer weiter die 
Sonne scheinen und keine einzige Flocke vom Himmel fallen. 
Dies zeigt sich eindrucksvoll bei der Betrachtung eines 
Einzelereignisses: 
Am 30. November 2010 kam es in der Verlängerung der Lübecker Bucht in
Ostholstein und Teilen des Landkreises Segeberg zu intensiven 
Lake-Effect-Schneefällen. Dort fielen verbreitet 20 bis 30, örtlich 
über 50 cm Schnee innerhalb von nur 24 Stunden. Das öffentliche Leben
kam weitestgehend zum Erliegen, Schulen wurden geschlossen. Nur 
wenige Kilometer weiter zeigte sich ein völlig anderes Bild. An der 
Station Lübeck-Blankensee blieb es während des Ereignisses komplett 
schneefrei. Auch im März 2013 sowie im Februar 2018 kam es im Umfeld 
der Lübecker Bucht zu vergleichbaren, lokal eng begrenzten 
Lake-Effekt-Schneefällen.


Das wohl stärkste Lake-Effekt-Ereignis der vergangenen Jahrzehnte 
datiert übrigens aus dem Jahr 1987: 
Damals lagen nach einem sehr milden Dezember die Wassertemperaturen 
der Ostsee noch recht hoch. Als sich ab dem 9. Januar sibirische 
Kaltluft auf den Weg nach Mitteleuropa machte, setzte ein sehr 
intensives, mehrere Tage andauerndes Lake-Effect-Ereignis ein: In 
einem schmalen Streifen vom nordwestlichen Mecklenburg über das 
südöstliche Schleswig-Holstein bis vor die Tore Hamburgs fielen 
verbreitet 50 bis 70 cm Neuschnee, in der Gegend um Ratzeburg wurden 
teilweise sogar bis zu 100 cm vermeldet. Ein absolut 
außergewöhnliches Ereignis, das aber eindrücklich vor Augen führt, 
welches Potenzial von der Ostsee bei entsprechenden Wetterlagen 
ausgehen kann. 

Eine Frage, die sich nun sicher noch aufdrängt, ist, warum hier nur 
von der Ostsee, nicht aber von der Nordsee die Regel ist. Natürlich 
kann auch die Nordsee den Lake Effect auslösen. Da aber die kältesten
Luftmassen meist ihren Ursprung über Skandinavien bzw. Russland haben
und dementsprechend mit einer nordöstlichen bis östlichen 
Luftströmung nach Mitteleuropa gelangen, herrscht an der deutschen 
Nordseeküste dann ein ablandiger Wind. 
Von Lake-Effect-Schneefällen sind dann oft erst die westfriesischen 
Inseln in den Niederlanden sowie die englische Ostküste betroffen ? 
dies kommt allerdings seltener vor als an der Ostsee, da sich die 
Luftmassen auf dem langen Weg über die See meist schon zu stark 
erwärmen.



Dipl.-Met. Marcel Schmid in Zusammenarbeit mit dem Praktikanten Malte
Eggers
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 31.10.2022

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