Thema des Tages


Wissenschaft kompakt
Atmosphärische Gezeiten

Auch die Atmosphäre verfügt über Gezeiten, jedoch überwiegend mit 
anderer Herkunft als bei den Ozeanen. Wie das Zusammenspiel mit 
meteorologischen Faktoren und Parametern funktioniert, wird im 
Folgenden kurz erläutert.


Im Thema des Tages vom 17.03.2022 wurde u.a. auf die Auswirkungen der
Anziehungskräfte des Mondes auf die Ozeane und die Entstehung der 
Gezeiten hingewiesen 
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/3/17.html). Im 
folgenden Beitrag soll nun der mögliche Einfluss des Mondes und 
anderer Faktoren auf das Entstehen atmosphärischer Gezeiten erörtert 
werden. 
Die Schwerkraft des Mondes wirkt auf die Atmosphäre genauso wie auf 
den Ozean, aber der Einfluss der Mondgravitation auf die Atmosphäre 
ist im Allgemeinen vernachlässigbar gering. Aufgrund der 
unterschiedlichen Dichte und Komprimierbarkeit der Atmosphäre und des
Ozeans ist die Mondgravitation nicht in der Lage, nennenswerte Wellen
in der Atmosphäre zu erzeugen. Allerdings werden in der Atmosphäre 
aufgrund der zyklischen Erwärmung durch die einfallende 
Sonnenstrahlung ebenso Gezeitenwellen erzeugt. Für die Zwecke dieser 
diskreten Gezeitenschwankungen ist die wesentliche Wärmequelle 
diejenige, die durch die fast vollständige Absorption der 
kurzwelligen UV-Strahlung (ultravioletter Anteil der Sonnenstrahlung)
innerhalb der Ozonschicht entsteht. Die Erwärmung der Ozonschicht 
tagsüber und die anschließende Abkühlung in der Nacht führt zu 
Veränderungen in der Dichte der Atmosphäre, die wiederum eine Welle 
erzeugt, die sich nach unten zur Oberfläche hin ausbreitet und sich 
mit der gleichen Geschwindigkeit um den Globus bewegt, wie sich die 
Sonne über den Himmel zu bewegen scheint. Da diese Welle an den Lauf 
der Sonne gekoppelt ist, bedeutet letzteres, dass die entsprechenden 
atmosphärischen Luftdruckschwankungen (vergleichbar mit der 
ozeanischen Ebbe und Flut) jeden Tag zur gleichen Zeit an einem 
bestimmten Ort auftreten. Es stellt sich vereinfacht gesagt heraus, 
dass die signifikanteste Welle eine Periode von einem halben Tag hat,
was wiederum bedeutet, dass diese atmosphärischen Ebbe- und 
Flutwellen (entsprechend niedriger und höherer Luftdruck in 
Meereshöhe) zweimal pro Tag auftreten.
Nun stellt sich die Frage, wie sich diese Gezeitenwellen in der 
Atmosphäre manifestieren, wie sie beobachtet werden und welche 
Auswirkungen sie haben. Zunächst erkennt man die Gezeiten an 
Schwankungen des Luftdrucks, gemessen oder reduziert auf 
Meeresspiegelhöhe. Durch diesen Gezeiteneffekt kommt es zweimal 
täglich entsprechend zu höheren und tieferen Werten des Luftdrucks. 
Diese Schwankungen lassen sich am besten in tropischen Breitengraden 
beobachten, während sie in den gemäßigten und höheren Breitengraden 
nur schwer zu beobachten bzw. auszumachen sind. Hierfür gibt es zwei 
Gründe. Erstens ist die Sonneneinstrahlung pro Flächeneinheit in den 
tropischen Breiten größer, so dass der Antrieb für die 
Gezeitenbewegungen in diesen Gebieten stärker ist. Zweitens verdecken
bzw. überlagern stärker ausgeprägte (dynamische) Druckgebilde (und 
deren Migration) sowie zugehörige Fronten bei Tiefdruckgebieten in 
mittleren und hohen Breiten häufig die durch atmosphärische Gezeiten 
verursachten Druckschwankungen. In den Tropen hingegen sind 
signifikante synoptische Druckgebilde mit Ausnahme der Passage 
tropischer Stürme eher selten, was wiederum bedeutet, dass die von 
Tag zu Tag auftretenden Druckschwankungen weitgehend auf die 
atmosphärischen Gezeiten zurückzuführen sind. 


Abbildung 1 zeigt gemessene Werte des Luftdrucks in Meeresspiegelhöhe
für mehrere Tage im Zeitraum Anfang August 2017 von einer Wetterboje 
in der östlichen zentralen Karibik, etwa 180 Meilen süd-südwestlich 
von Puerto Rico. In diesem Bild ist die Luftdruckschwankung aufgrund 
der atmosphärischen Gezeiten deutlich erkennbar, überlagert von 
geringen anderen Änderungen des Luftdrucks in Meeresspiegelhöhe über 
einen Zeitraum von fünf Tagen. Zu erkennen ist hierbei, dass die 
Druckminima täglich um 0900 GMT (Greenwich Mean Time) und 2100 GMT 
auftreten, also um 5 und 17 Uhr Ortszeit. Die Druckmaxima treten 
täglich um 1500 GMT und 0300 GMT auf, d. h. zwischen 11 und 23 Uhr, 
was ebenfalls den prinzipiellen Erwartungen zum Tagesgang des 
Luftdrucks entspricht. Der Unterschied zwischen dem höchsten und dem 
niedrigsten Luftdruck beträgt in etwa zwischen 1 und 3 mbar bzw. hPa 
(Millibar bzw. Hektopascal).
Auf diese Weise liefern atmosphärische Gezeiten beim Fehlen 
überlagerter Luftdruckschwankungen durch die Passage von synoptischen
Druckgebilden gerade im Bereich der Tropen einen wesentlichen Beitrag
zum Tagesgang des Luftdrucks in Meereshöhe. 



Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz 
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 01.10.2022

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