Thema des Tages
Ist das schon der Klimawandel? (Attributionsforschung - Teil 1)
Jeder Meteorologe und Klimaforscher kennt diese Frage zu Genüge. Im
heutigen Thema des Tages zeigen wir, dass in Bezug auf Wetterextreme
eine Antwort auf diese Frage eine große Herausforderung für die
Klimaforschung darstellt.
Letztes Jahr die Flutkatastrophe im Ahrtal, dieses Jahr Dürre und
Hitze bis 40 Grad. "Ist das schon der Klimawandel?" oder "Ist das
eine Folge der Erderwärmung?" Diese oder ähnliche Fragen brennen
vielen unter den Fingernägeln. So sicher wie das Amen in der Kirche
werden wir Meteorologen bei jedem Extremwetter - seien es
unerträgliche Hitze, langanhaltende Dürreperioden, Stürme oder
Starkregen - immer aufs Neue gefragt, ob diese Extreme bei uns oder
anderswo auf der Welt bereits Auswirkungen des Klimawandels sind.
Freunde und Verwandte interessieren sich hierfür genauso wie
Journalisten oder Politiker.
Nicht selten haben sich die Fragenden vorher aber schon ihre eigene
Meinung dazu gebildet. Klimaskeptiker bringen als Argumente gegen den
Klimawandel gerne an, dass es solche extremen Wetterereignisse schon
immer gegeben habe und dass man ohnehin von einem einzelnen
Wetterereignis nicht auf das Klima oder eine Veränderung dessen
schließen könne - womit sie nicht ganz unrecht haben.
Klimaaktivisten, aber auch viele Politiker sind sich hingegen einig,
dass diese Wetterextreme bereits eindeutige Zeichen des Klimawandels
seien und nehmen diese als Mahnmale, wie dringend wir etwas gegen die
fortschreitende Erderwärmung unternehmen müssen. Auch die zweite
Gruppe hat mit ihrer Einschätzung nicht ganz unrecht. Ja was denn
nun? Es können doch nicht beide mit ihren so gegensätzlichen
Ansichten irgendwie richtig liegen!
Zunächst einmal muss man wissen, dass es sich bei Wetter und Klima um
zwei komplett unterschiedliche Zeiträume handelt, die man so nicht
direkt miteinander vergleichen kann. Wetter ist das, was wir Menschen
aktuell spüren können wie die wärmende Sonnenstrahlung oder nasse
Regentropfen auf der Haut, Wind der uns um die Ohren pfeift oder ob
wir im Freien frieren oder schwitzen. Wetter ist also hochgradig
variabel und verändert sich von Tag zu Tag und manchmal sogar von
Stunde zu Stunde. Beim Klima handelt es sich hingegen um den
gemittelten Zustand der Atmosphäre über einen Zeitraum von mindestens
30 Jahren. Um also feststellen zu können, ob sich das Klima global
oder in einer bestimmten Region verändert, kann man verschiedene
30-Jahres-Zeiträume miteinander vergleichen. Bei der mittleren
Temperatur zeigt sich beispielsweise ein klarer Trend hin zu höheren
Werten.
Bei Wetterextremen wie Hitzewellen, Dürren oder Starkregen wird die
Sache deutlich komplizierter. Gerade weil das Wetter so veränderlich
ist, gab es schon immer extreme Wetterereignisse und sie wird es auch
in Zukunft weiterhin geben. Daher haben Klimaskeptiker pauschal
gesehen recht, dass man ein EINZELNES Extremereignis nicht so leicht
auf den Klimawandel schieben kann. Allerdings darf man es sich so
einfach nicht machen. Es könnte ja sein, dass bei einer
vergleichbaren Wetterlage in der vorindustriellen Zeit das Wetter
weniger extrem verlaufen wäre oder dass im Zuge der Klimaveränderung
bestimmte Wetterextreme häufiger auftreten. Oder anders ausgedrückt:
Was früher extrem war, könnte in Zukunft möglicherweise zur
Normalität werden.
Um herauszufinden, ob oder inwieweit die fortschreitende Erderwärmung
die Häufigkeit und Eigenschaften extremer Wetterereignisse bereits
verändert hat, reicht eine Auswertung der bisherigen weltweiten
Wetteraufzeichnungen leider nicht aus. Wetterextreme sind nämlich per
Definition selten und je extremer sie sind, desto seltener werden
sie. Für ein Wetterereignis, das statistisch gesehen an einem
bestimmten Ort nur alle 100 Jahre oder sogar noch seltener auftritt,
reichen die Messzeitreihen nicht lange genug in die Vergangenheit
zurück, um belastbare statistische Aussagen über den Zusammenhang
zwischen Wetterextremen und Klimaveränderung treffen zu können. Dabei
kommt noch erschwerend hinzu, dass das Klima neben den vom Menschen
verursachten Veränderungen auch natürlichen Schwankungen unterliegt,
was eindeutige Aussagen über die Veränderung von Extremereignissen
nahezu unmöglich macht.
Sie merken also, mit Beobachtungen alleine kommen wir bei der
Beantwortung unserer eingangs gestellten Fragen nicht weiter. Eine
geeignete Lösung bietet hingegen die sogenannte
"Attributionsforschung". Sie beruht auf einer
Ursache-Wirkungs-Beziehung. Im Bereich der Klimaforschung versucht
man mithilfe von aufwändigen Klimamodellsimulationen abzuschätzen,
inwieweit anthropogene (also vom Menschen verursachte)
Klimaveränderungen das Auftreten, die Häufigkeit und Intensität von
meteorologischen und klimatologischen Extremereignissen beeinflussen
und mit fortschreitender Erderwärmung weiter verändern.
Wie man bei solchen Attributionsstudien vorgeht, erklären wir im
nächsten Teil dieser Reihe. Zuletzt stellen wir die Ergebnisse zweier
Studien vor. Damit zeigen wir, dass dieser Forschungsbereich
zumindest teilweise die Frage beantworten kann, ob ein bestimmtes
Extremwetter in gewissem Maße eine Folge des vom Mensch verursachten
Klimawandels ist.
Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 27.07.2022
Copyright (c) Deutscher Wetterdienst
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