Thema des Tages

Eiersuche im Großraumbüro

Die einen sind zum großen Familientreffen mit traditionellem
Osterlammbraten eingeladen, andere backen duftenden Hefezopf und
wieder andere verbringen den Ostersonntag im Offenbacher Büro (was
durchaus auch seinen Reiz hat). Das Protokoll eines
Feiertag-Dienstes.

„07:00“ flimmert als Uhrzeit auf der Stechuhr im Erdgeschoss der
DWD-Zentrale, wenn der sogenannte Mediendienst beginnt. Wer zu dieser
Zeit schon bereit für Frühsport ist, nimmt die 121 Stufen zu Fuß;
ansonsten ist der Aufzug die etwas gemütlichere Wahl, um in den 6.
Stock zu gelangen. Dort angekommen, ist man aber nicht die Erste im
Büro, vier weitere Meteorologen + zwei Fachdienste tippen bereits
seit einer Stunde (mehr oder weniger) munter in die Tasten (wobei
korrekterweise das akustische Tasten-Konzert heute um zwei
Orchestermitglieder reduziert ist – das Corona-Home-Office-Angebot
macht’s möglich). Jeder davon hat andere Aufgaben: Einer kümmert sich
um Wetterwarnungen und Warnguidance (eine Art Rahmenvorgabe für die
Außenstellen), einer um weltweites Wetter, wieder ein anderer um die
mittelfristigen Vorhersagen (Tage 4-10) und dann gibt es noch einen
„Chef“ der ganzen Meute, den Supervisor (er vertritt nachts und am
Wochenende übrigens sogar den DWD-Präsidenten). Später kommen noch
zwei weitere Dienste hinzu.

Aber zurück zum Mediendienst, für den es nun gilt, keine Zeit zu
verlieren: Rechner und Programme starten, die müden Augen über die
zehn Bildschirme gleiten lassen und sich so einen Überblick über die
Wetterlage verschaffen. Auch wenn die große Fensterfront mit Blick
auf die Frankfurter Skyline manchmal dazu verleitet – getrödelt
werden darf nicht, denn um 7:30 Uhr muss der erste Bericht fürs
Deutschlandradio raus mit einer kurzen Wettervorhersage für den
aktuellen Tag.

Nach diesem morgendlichen Sprint wird sich weiter in die Wetterlage
eingearbeitet und ein Wetterbericht für ganz Deutschland für die
nächsten 3 Tage erstellt (zu lesen unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/vorhersage_aktuell/vhs_brd_node.html).
Wer hier einen blumigen, kreativen Text erhofft, wird vermutlich
enttäuscht: Die Wetterbeschreibung erfolgt recht nüchtern und
sachlich, die Abfolge ist klar definiert mit Angabe zur Bewölkung,
Niederschlag, Temperaturen und Wind.

Ist das geschafft, wollen die sozialen Netzwerke bedient werden.
Vielleicht zeigt ja die DWD-Webcam auf der Zugspitze oder am
Hamburger Hafen einen schönen Sonnenaufgang, der auf Facebook und
Twitter gepostet werden kann? Immer wieder auffällig: Schöne Fotos
oder einfache Grafiken bekommen deutlich mehr „Likes“ als Erklärungen
in Textform oder Infos zu Unwettern außerhalb der Landesgrenze.

Wer um 8:30 Uhr immer noch nicht richtig wach ist, der bekommt durch
das Klingeln des Telefons nochmal eine Chance – die morgendliche
Telefonkonferenz zwischen dem Supervisor und den DWD-Außenstellen in
Hamburg, Potsdam, Leipzig, Essen, Stuttgart und München ruft. Während
man sich als Medienmeteorologe sonst manchmal den Mund am Telefon
fusselig redet, kann man sich bei der Konferenz für rund 30 Minuten
als stiller Teilnehmer zurücklehnen und zuhören, welche Vorhersage-
und Warnstrategie geplant ist. Es gilt, ein einheitliches Konzept zu
entwickeln, schließlich kennt das Wetter keine Bundesländergrenzen.

Nächster Programmpunkt: Das Thema des Tages (kleine Ankündigung für
die Stammleserschaft: Ab Mai wird die Veröffentlichung auf den
Nachmittag verschoben). Dabei kann man sich entweder über das
aktuelle Wetter hierzulande oder in Honolulu auslassen – oder ein
wissenschaftliches Phänomen oder Thema allgemeinverständlich
aufbereiten (zugegebenermaßen passt das heutige in keine der beiden
Kategorien?). Wer treuer Leser unseres TdT ist, kann sich vielleicht
vorstellen, dass insbesondere die wissenschaftlichen Themen durchaus
auch längere Recherche- und Vorbereitungszeit in Anspruch nehmen.

Die Tastatur ist mittlerweile schon warm und wird noch weiter zum
Glühen gebracht, denn es steht nun der „Pressetext“ an, der an die
Deutsche Presseagentur (DPA) geht und von diversen Medien
aufgegriffen wird. Hier kann der Medienmeteorologe seine kreative
Schreibader voll ausleben, geht es in diesem Bericht doch um die
Wetterentwicklung der nächsten Tage in einer bildlichen Sprache, die
auch „Lieschen Müller von der Tankstelle“ versteht. Aus „es fällt
Niederschlag mit mäßiger bis starker Intensität“ wird dann „es
schüttet wie aus Kübeln“ oder „packen Sie den Regenschirm ein“.

Mit Versenden des Pressetextes um 11:30 Uhr macht sich spätestens
jetzt ein kleines (oder auch größeres) Hüngerchen bemerkbar. Da die
Kantine am Wochenende geschlossen hat und der Besuch beim
nahegelegenen REvisionsverband der WEstkaufgenossenschaften den
Samstagen vorbehalten ist, bleibt nur ein Anruf beim
Pizzalieferdienst oder für die ganz Wagemutigen ein Gang nach
Offenbach Downtown.

Welche Wahl auch immer getroffen wurde: Völlerei sollte besser nicht
betrieben werden, zumindest wenn der Hosenknopf bereits am seidenen
Faden hängt und man noch mit intaktem Hosenlatz vor die Kamera treten
möchte (und auch Spaghetti mit Tomatensoße ist in Kombination mit
weißen T-Shirts aus eigener Erfahrung keine gute Idee?). Der
Videoclip, der (vor Corona) täglich vom Medienmeteorologen mithilfe
des Fachdienstes produziert wird, dient vor allem Übungszwecken, denn
im Unwetterfall landet dieser auf Facebook, Twitter, YouTube und in
die Warnwetter-App. Ganz auf die leichte Schulter sollten aber auch
die Übungsclips nicht genommen werden, werden sie doch im Intranet
des Verkehrsministeriums veröffentlicht – theoretisch könnte Herr
Wissing also sehen, wenn die morgendliche Kleiderwahl auf das
Einhorn- (oder Eintracht-)Shirt gefallen ist.

Das restliche Nachmittagsprogramm ist in der Regel entspannter. Dann
heißt es den Wettervorhersagetext den neuesten Modellergebnissen
anzupassen, weitere Facebook- und Twitterposts zu schreiben und
Kunden-Emails zu beantworten.

Bisher noch gar nicht erwähnt, aber durchaus charakteristisch für den
Mediendienst sind die Telefonate, die je nach Wetterlage (und
politischen bzw. gesellschaftsrelevanten Neuigkeiten) in
unterschiedlicher Anzahl vorkommen. Zeitungen, Radiosender und lokale
Medien möchten wissen, wie das Wetter zum Sonntagsausflug wird, ob
die Kälte aus den USA auch nach Deutschland kommt oder ob das heiße
Wochenende schon der Klimawandel ist.
Und wenn es dann um 17:30 Uhr heißt „Feierabend!“, ist der
morgendliche Widerwille, das warme Bett gegen einen ledernen
Bürostuhl einzutauschen, längst vergessen – und es bleibt vielmehr
das Gefühl, einen abwechslungsreichen und vielseitigen Dienst in
tollem Kollegenkreis vollendet zu haben.

P.S.: Und wer weiß, vielleicht hat der Osterhase, während seine
(Wetter)Frosch-Kollegen bei der morgendlichen Telefonkonferenz
abgelenkt waren, ja unbemerkt im Großraumbüro ein paar Schokoeier
versteckt?

Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.04.2022

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