Thema des Tages

Droht im Frühjahr erneut ein Ozonloch über der Arktis?

Durch einen derzeit noch außergewöhnlich starken stratosphärischen
Polarwirbel stellt sich die Frage, ob im diesjährigen Frühjahr
ähnlich wie in 2020 die Ozonabnahme nach Ende der Polarnacht wieder
so stark sein wird.

Jedes Jahr, wenn das aufkommende Sonnenlicht die Polarnacht in der
Arktis beendet, sinkt die Ozonkonzentration in der Stratosphäre, die
sich in etwa in 10 bis 50 km Höhe befindet. Die höchste
Ozonkonzentration in der ozonbildenden Schicht innerhalb der
Stratosphäre tritt im Übrigen in einer Höhe von etwa 32 Kilometern
Höhe über der Erdoberfläche auf.

Die arktische Winterstratosphäre ist insgesamt viel dynamischer als
die antarktische Winterstratosphäre, sodass über der Arktis bisher
selten so drastische Ozonabnahmen im Frühjahr im Vergleich zur
Antarktis stattgefunden haben. Mit Dynamik ist der Einfluss von
vertikalen Wellenflüssen aus der Troposphäre (durch unterschiedliche
Orografie sowie Land-/Meerverteilung im Vergleich zur Antarktis)
sowie der meridionale Transport von Ozon aus niederen Breiten in der
Stratosphäre selbst gemeint.

Die Voraussetzung zum Ozonabbau sind im Wesentlichen die Bildung von
polaren Stratosphärenwolken (PSC), wobei sehr niedrige Temperaturen
(i.d.R. unter -78 Grad) erforderlich sind. An der Oberfläche dieser
PSCs reagieren Chlorgase und setzen Chlor in einer Form frei, die
Ozon leicht zerstören kann (siehe auch Thema des Tages vom
09.12.2021:
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/12/9.html).

Die Position und Ausdehnung des winterlichen stratosphärischen
Polarwirbels spielt eine entscheidende Rolle für die Menge und
Verteilung des Ozons innerhalb Stratosphäre. Der Polarwirbel wiederum
bezeichnet das Gebiet, in dem kalte Polarluft durch die sehr starken
Winde des Polarnachtjets (um 60 Grad Nord im Mittel am stärksten
ausgeprägt) eingeschlossen wird. Während der
Winter-/Frühjahrsperiode, wenn der Polarwirbel über der Arktis am
stärksten ist, kann keine Luft außerhalb des Polarwirbels eindringen.
Da sich dann auch die relativ warme Luft aus den mittleren Breiten
nicht mit der eisigen Polarluft vermischen kann, wird die Luft
innerhalb des Polarwirbels aufgrund des Wärmeverlustes durch
Strahlung immer kälter. Daneben können auch zusätzliche dynamische
Faktoren (z.B. fehlende Wechselwirkungen mit der Troposphäre, siehe
oben) den Polarwirbel zusätzlich stärken. Wenn das Ozon im Wirbel
einmal abgebaut ist, wird es somit auch nicht durch ozonreichere Luft
außerhalb des Wirbels wieder aufgefüllt. Erst im mittleren bis späten
Frühjahr wird der stratosphärische Polarwirbel schwächer und bricht
schließlich zusammen. Danach kommt es zu einer gründlichen
Durchmischung, und die Ozonmengen werden wieder aufgefüllt.

Derzeit ist der stratosphärische Polarwirbel überdurchschnittlich
stark ausgeprägt. Als Kriterium kann man die auf 60 Grad Nord
gemittelten zonalen (westlichen) Winde in 10 hPa (über 30 km Höhe
über Grund) nehmen, die aktuell um 60 m/s liegen. Das stellt eine
mehr als doppelt so hohe Windgeschwindigkeit im Vergleich zum
vieljährigen Mittelwert um Mitte Februar dar. Auch die Prognosen der
Windgeschwindigkeit in 60 Grad Nord und auf 10 hPa gehen bis
mindestens Mitte März überwiegend von einem überdurchschnittlich
starken Polarwirbel aus.

In der beigefügten Grafik ist die gesamte Ozonsäule, gemittelt über
die Polkappe für Breitengrade nördlich von 63 Grad Nord dargestellt.
Dies ist ein gutes Maß für den Gesamtozongehalt im stratosphärischen
Polarwirbel. Bei der Auswertung dieser Berechnungen für Ende Oktober
bis Ende Februar ist jedoch Vorsicht geboten, da ein großer Teil des
Gebiets in der Polarnacht liegt. Für die Messung des Ozongehaltes
benötigt der Sensor am Satelliten einer polarnahen Umlaufbahn als
Strahlungsquelle Sonnenlicht, da dieser vom Erdboden reflektiertes
oder in der Atmosphäre gestreutes Licht aufnimmt (Ozon filtert dabei
ultraviolette Strahlung aus dem Sonnenlicht heraus). Die fehlenden
Beobachtungen werden mit Hilfe eines Modells aufgefüllt. Die
Ozonkonzentration ist in der Einheit Dobson Unit (DU) angegeben. Die
Dobson Unit bzw. Einheit wird am häufigsten zur Messung der
stratosphärischen Ozonkonzentration verwendet. Die durchschnittliche
Ozonmenge in der Atmosphäre beträgt etwa 300 bis 400 DU. Der Grafik
kann man entnehmen, dass die momentane Ozonkonzentration (rote Kurve)
bereits deutlich unter dem vieljährigen Mittelwert (dicke schwarze
Linie) verläuft. Zum Vergleich wird in der Grafik auch das
Winterhalbjahr 2020/2021 herangezogen (blaue Kurve), wo die
stratosphärische Ozonkonzentration etwa im Bereich der vieljährigen
Mittelwerte lag.
Daher kann unter Berücksichtigung der weiter oben beschriebenen
Prozesse und unter Beibehaltung eines überdurchschnittlich starken
stratosphärischen Polarwirbels bis weit in den März hinein (Prognose)
von einer deutlichen Abnahme des stratosphärischen Ozons im Frühjahr
zumindest im Arktisumfeld ausgegangen werden (eventuell erneut unter
300 DU).

Zum Vergleich: Über der Antarktis wurden in der Vergangenheit im
dortigen Frühjahr (September/Oktober) auch Werte unter 220 DU
gemessen, einhergehend mit einem ausgedehnten Ozonloch im Bereich des
antarktischen stratosphärischen Polarwirbels.

Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.02.2022

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