Thema des Tages

Von der Eiswinterprognose zu einer außergewöhnlich milden
Winterrealität 2021/22

Im heutigen Tagesthema geht es darum, was aus dem vermeintlichen
Eiswinter 2021/22 geworden ist und wie die Bilanz bisher tatsächlich
ausfällt.

Sicher hat der eine oder andere noch die (unseriösen) Prognosen aus
dem Herbst in Erinnerung, die von einigen Medien verteilt wurden. Die
Wahrscheinlichkeit für einen Eiswinter in Deutschland würde immer
größer werden. Und was ist daraus geworden? Das komplette Gegenteil.
Der Winter 2021/22 ordnet sich klar im Bereich der wärmsten Winter
ein. Und dies wird nun im Folgenden mit ein paar Statistiken
untermauert. Eine Zusammenfassung der betrachteten Statistiken ist
dem Thema des Tages unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/02/07.html als Bild
angehängt.

Für die Bewertung des meteorologischen Winters (1. Dezember bis
28./29. Februar) bieten sich verschiedene Maßzahlen an. Das sind zum
einen die Anzahl der Frosttage (Minimumtemperatur unter 0 Grad) und
Eistage (Maximumtemperatur unter 0 Grad). Auch die mittlere
Temperatur (Tagesmitteltemperatur über den gesamten Winter hinweg)
und die Kältesumme (Aufsummierung aller negativen
Tagesmitteltemperaturen) sind gute Maßzahlen.

Blicken wir zunächst auf die Zahl an Frost- und Eistagen. Zunächst
einmal lässt sich ganz allgemein feststellen, dass die Anzahl der
Frost- bzw. Eistage im Vergleich von der alten Klimareferenzperiode
1961-1990 zur neuen Referenzperiode 1991 bis 2020 deutlich
zurückgegangen ist. So gibt es überall weniger Tage mit einer
Minimumtemperatur unter dem Gefrierpunkt. Dies gilt besonders für den
Norden Deutschland. In List auf Sylt sind es durchschnittlich ganze
zwölf Tage weniger, in Hamburg zehn. Geringer fällt der Rückgang im
Osten und Süden mit etwa fünf Tagen aus. Schaut man auf die Bilanz
des Winters 2021/22, dann liegen die bisher registrierten Frosttage
nochmal deutlich unter der neuen Klimareferenzperiode. Oftmals fehlen
noch über 20 Tage bis zum Klimamittel. In List auf Sylt gab es bisher
gerade mal an sechs Tagen, in Bremerhaven an acht Tagen Nachtfrost.

Bei den Eistagen fällt die Bilanz ebenfalls deutlich aus. Die Anzahl
der Eistage ist im Vergleich zur alten Klimareferenzperiode um
durchschnittlich drei bis acht Tage zurückgegangen. In diesem Winter
gab es an einigen Stationen in Deutschland noch nicht einmal
Dauerfrost (z.B. Teile des Ruhrgebiets, Teile des Rhein-Main-Gebiets,
Würzburg). Aber auch sonst hat es abseits des Berglandes oft nur für
wenige Dauerfrosttage gereicht.

Eine ernüchternde Bilanz. Selbst im bisher wärmsten Winter 2006/2007
hat es abgesehen vom direkten Nordseeumfeld immerhin mal für den ein
oder anderen Eistag gereicht. Kann man sich da einen richtig kalten
Winter überhaupt noch vorstellen?
Den letzten richtig kalten Winter gab es 1996/97. Damals gab es in
Frankfurt 25 Eistage, in Essen 24. Selbst auf Sylt hat es für 19 Tage
gereicht. Oder wie wäre es mit dem Eiswinter 1962/63? Da schaffte es
Frankfurt auf 31 und Sylt auf 19 Eistage – also Tage, an denen die
Temperatur nicht über den Gefrierpunkt gestiegen ist! Auch wenn es
nicht wenige Leser geben wird, die diese Winter miterlebt haben, ist
eine solche Kälte in Anbetracht des sich wandelnden Klimas und im
Angesicht des derzeitigen Winters kaum noch vorstellbar.

Werfen wird noch einen Blick auf die bisherige Mitteltemperatur und
Kältesumme. Gerade letztere eignet sich sehr gut für die Einordnung
der Strenge des Winters, da sie auch die Absolutwerte der täglichen
Temperatur mit einbezieht.

Die derzeitige Durchschnittstemperatur im Flächenmittel über
Deutschland (2,8 Grad) liegt deutlich unterhalb des Rekordjahres
2006/2007 (4,4 Grad). Das liegt vor allem daran, dass bisher die
großen Mildphasen und Rekordtemperaturen ausgeblieben sind. Was in
diesem Winter bisher allerdings auffällig war, ist die beständige
Wetterlage, die kaum richtige Kältephasen brachte. Dies erkennt man
schon an der Anzahl der Frost- und Eistage, die vergleichbar mit
2006/2007 sind, in einigen Regionen sogar noch geringer ausfallen.
Deutlich wird dies auch in der Kältesumme. Diese liegt
deutschlandweit bisher im unteren zweistelligen Bereich. In Frankfurt
gerade einmal bei 7 Kelvin, in Essen nur bei 1,5 Kelvin. Um von einem
normalen Winter zu sprechen, sollte die Summe hingegen eher im
dreistelligen Bereich zu finden sein.
Blicken wir doch nochmal auf den Winter 1996/97. In Frankfurt gab es
damals eine Kältesumme von 186 Kelvin, in Essen von 161 Kelvin. In
kälteren Regionen wie beispielsweise in Erfurt, wurden 296 Kelvin
erzielt (2021/22: 28). Oder 1962/63: Frankfurt 443 Kelvin, Essen 321
Kelvin und Erfurt 630 Kelvin. Kaum (noch) vorstellbar, oder?
Und wie schaut es im Vergleich zum Rekordwinter 2006/07 aus? Die
Kältesummen im Rekordwinter waren recht ähnlich zu diesem Jahr. Im
Norden und Osten lagen die Werte 2006/2007 etwas niedriger, im Westen
und Süden aber sogar höher. So fehlen in Frankfurt noch 6 Kelvin, in
Essen 10 Kelvin. Ob sich das bis zum Ende des Winters noch wesentlich
ändert, ist fraglich.

Damit kann man festhalten: Der Winter 2021/22 kann zwar bezüglich der
Mitteltemperatur nicht mit dem bisherigen Rekordwinter 2006/07
mithalten. Bei den Kennzahlen Frost- und Eistage sowie bei der
Kältesumme bewegt er sich aber kurz vor Ende klar im Bereich der
wärmsten Winter seit Aufzeichnungsbeginn. Dies ist vor allem dem
Ausbleiben einer richtigen Kältewelle geschuldet.

Und wie geht es weiter? Nun, es wird hier und da sicherlich noch der
ein oder andere Frosttag bis zum Monatsende hinzukommen. An der
Gesamtbilanz wird dies aber wohl nicht mehr viel ändern, zumal es im
Laufe der Woche ziemlich mild wird (Mittwoch 14 Grad am Oberrhein).
Auch danach ist ein Wintereinbruch weiterhin weit und breit nicht in
Sicht. Es bleibt also nur im höheren Bergland ein Winter, der den
Namen auch verdient.

Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.02.2022

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