Thema des Tages

Im Mittelmeer spielt die Musik

Tief DOREEN sorgt im Mittelmeerraum für teils heftige Regen- und
Schneefälle, facht zudem das lokale Bora-Windsystem an und beschert
der Ägäis einen ausgewachsenen Sturm. Näheres dazu lesen Sie im
heutigen Thema des Tages.

In Mitteleuropa respektive Deutschland übernimmt eine veritable und
beständigere Hochdruckzone in den kommenden Tagen die Regie. Das
Wettergeschehen gelangt somit wieder in ruhigeres Fahrwasser, wodurch
vermehrt Grenzschichtprozesse (Stichworte Nebel und Hochnebel) zum
Tragen kommen. Wirft man den Blick jedoch ins östliche Mittelmeer,
stellt man schnell fest, dass das Wetter bei uns doch recht „harmlos“
ist.

Tief „DOREEN IV“ (ihre Vorläufer I-III sind bereits über West- und
Mitteleuropa in die Knie gegangen) entstand in der Nacht zum Sonntag
durch einen ins westliche Mittelmeer abgeführten Höhentrog- und
Kaltluftvorstoß als Leezyklogenese im Golf von Genua. DOREEN
verlagerte sich anschließend mit ihrem korrespondierenden
Höhentiefkomplex über die Apenninhalbinsel hinweg und erreichte am
gestrigen Montag das Ionische Meer vor der Westküste Griechenlands.
Dabei schaufelt DOREEN auf der Vorderseite milde und feuchte
Luftmassen von Nordafrika und dem südöstlichen Mittelmeer vor allem
nach Griechenland und in den Süden Anatoliens. Gleichzeitig stößt an
der Ostflanke einer Hochdruckzone, die sich von Mitteleuropa bis nach
Nordwestrussland erstreckt und auf den Namen BERNHARD getauft wurde,
polare Kaltluft zur Balkanhalbinsel vor. Diese aufeinandertreffenden
Luftmassen lösen teils heftige, konvektiv und mitunter auch mit
Gewittern durchsetzte Niederschläge aus, die sich vor allem von
Griechenland über die Ägäis bis an die Südküste der Türkei abladen.
In den zurückliegenden 24 Stunden zeigten einige Messstationen etwa
am Golf von Gökova (nördlich der Insel Rhodos) zwischen 57 und 77
Liter pro Quadratmeter aber auch in der mittelgriechischen Region
Thessalien wurden um oder etwas über 40 Liter pro Quadratmeter
gemessen (siehe Abbildung 1). Mit der vor allem zunächst auch nach
Griechenland vordringenden Kaltluft sinkt auch die Schneefallgrenze.
So kommen vor allem im Pindos-Gebirgszug (zentraler Gebirgskamm, der
das westliche Griechenland in südsüdöstlicher Richtung durchzieht)
oder im Olymp Gebirge oberhalb etwa 800 bis 1000 Meter verbreitet 30
bis 80 Zentimeter, in den höchsten Lagen auch um oder etwas über
einen Meter Neuschnee bis einschließlich des morgigen Mittwochs
zusammen. Und auch entlang der Taurus-Gebirgskette an der Südküste
der Türkei summieren sich die Neuschneemengen auf ähnliche Werte,
wenngleich die Schneefallgrenze hier meist eher um 1500 Meter oder
etwas darüber liegen dürfte.

Doch damit nicht genug. Zwischen DOREEN und BERNHARD kommt es zu
beachtlichen Luftdruckgegensätzen, die schließlich einen strammen
Nordostwind an der istrischen und dalmatischen Adriaküste in Gang
setzen. Sogar einen eigenen Namen trägt dieses Windphänomen: „Bora“.
Die Bora beschreibt einen kalten, trockenen und stark böigen
Fallwind, der vom höher gelegenen Karstplateau der Balkanhalbinsel
über die im Mittel 1000 m hohen Gebirgszüge der Dinariden zur Adria
hinab strömt und in Böen teils Orkanstärke erreichen kann. Besonders
stark ist sie im Windschatten des Velebit-Gebirges, dem steilsten und
markantesten Gebirgszug der Dinarischen Alpen in Kroatien (bis 1750
Meter Höhe). Die höchste Windgeschwindigkeit im Zusammenhang mit Bora
wurde in der südlichen Velebit-Region gemessen: 248 km/h (29. Oktober
1994).

Man kann sich diese Überströmung der Gebirgsschwelle wie in einem
randvollen Stausee vorstellen, bei dem nur die oberste Wasserschicht
über die Staumauer in die Tiefe schwappt, während der Rest der
angestauten Luft im Luv liegen bleibt. Die hohen
Windgeschwindigkeiten ergeben sich zum einen durch die Umwandlung von
potentieller Energie (Lageenergie aufgrund der Höhenlage am Kamm) in
kinetische Energie oder anders gesagt Bewegungsenergie, wodurch es zu
einer Beschleunigung der Luft kommt.

Zum anderen wird dieser Effekt noch durch die Topografie des
Dinarischen Gebirges verstärkt. Anders als die massiven Alpen weist
das Küstengebirge von Slowenien bis nach Montenegro einige Täler und
Schluchten auf, durch die die Luft strömen kann. Dabei wird sie
kanalisiert und wie bei einem Düseneffekt erheblich beschleunigt
(Stichwort Venturi-Effekt). Zusätzliche Geschwindigkeit kann das
Luftpaket außerdem aufnehmen, wenn es aus einer engen Schlucht in
eine Talmündung oder am Rande des Gebirges an der Adria angelangt.
Diesen neu gewonnenen Platz möchte das Luftpaket einnehmen und muss
dadurch seine Schichtdicke verringern, wodurch erneut Lageenergie in
Bewegungsenergie umgesetzt wird und das Luftpaket somit eine weitere
Beschleunigung erfährt (Stichwort Bernoulli-Effekt).

An der kroatischen und montenegrinischen Adria wurden in den letzten
sechs Stunden bis Dienstagmorgen vielfach Böen zwischen 75 und 100
km/h, in Dubrovnik bis 115 km/h registriert. Spitzenreiter war Rijeka
an der Kvarner Bucht mit einer Orkanböe von 133 km/h (Siehe Abbildung
2). Insbesondere heute tagsüber werden weiterhin Sturm- und Orkanböen
in einer den Messwerten vergleichbaren Preisklasse erwartet (siehe
Abbildung 3).

Am Mittwoch schwächt sich die Bora dann aber doch durch die
Ostwärtsverlagerung von Tief DOREEN über Kreta hinweg allmählich ab.
Jedoch ermöglicht diese langsame Verschiebung, dass sich der größte
Druckunterschied zunehmend zwischen der östlichen Balkanregion und
Kreta befindet, wodurch die Kaltluft heute bereits über Thrakien
hinweg zunächst in die nördliche Ägäis mit Schmackes vordringen kann.
Neben (schweren) Sturmböen bis 100 km/h sind auf freier See auch
Orkanböen wahrscheinlich. Am morgigen Mittwoch weht der stürmische
Nordwind dann ähnlich stark über die südliche Ägäis bis ins Seegebiet
rings um Kreta herum (siehe Abbildung 4). Erst am Donnerstag lässt
die Sturmlage in der Ägäischen See durch die weitere Abschwächung von
DOREEN über der Zyprischen See nach.

M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.01.2022

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