Thema des Tages

Plötzliche Stratosphärenerwärmung, was nun?

Am 05./06.01.2021 fand ein so genanntes "major sudden stratospheric 
warming statt"(SSW). Was sich dahinter verbirgt und wie es dazu kam, 
soll im heutigen Tagesthema beleuchtet werden. Ebenso sollen die 
potenziellen Auswirkungen für die Mittel- und Langfristvorhersage 
kurz erwähnt werden. 

Eine plötzliche Stratosphärenerwärmung tritt statistisch gesehen alle
zwei Jahre im nordhemisphärischen Winter auf. Per Definition spricht 
man von einem "major sudden stratospheric warming" oder einer 
markanten plötzlichen Stratosphärenerwärmung, wenn neben einem 
starken Temperaturanstieg in der oberen Stratosphäre über dem Nordpol
(siehe Grafik 
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/10.html)der 
westliche Wind (zonal gemittelt, also auf einem Breitengrad 
zirkumpolar) in 10 hPa (in etwa 31 km Höhe) und 60 Grad Nord komplett
auf Ostwind dreht, also reversiert. Ein "minor stratospheric warming"
(schwächeres Ereignis) geht ebenso mit einer markanten 
Temperaturerhöhung in der polaren oberen Stratosphäre, allerdings 
nicht mit einer kompletten Windumkehr, einher. Hintergrund dieser 
Definition ist eine markante Schwächung des stratosphärischen 
Polarwirbels, die eine großräumige Veränderung auch troposphärischer 
Zirkulationsmuster nach sich zieht. 

Wie kam es nun zu diesem Ereignis? Die Frage scheint angesichts der 
Ausgangsbedingungen nicht fehl am Platz zu sein. Haben wir doch seit 
geraumer Zeit ein veritables "La Nina"-Ereignis (Kaltphase der 
ENSO-Zirkulation (siehe Link Wetterlexikon) im zentralen und 
östlichen äquatorialen Pazifik). In der Fachliteratur kann man 
nachlesen, dass bei "La Nina"-Ereignissen normalerweise der 
stratosphärische Polarwirbel nicht so stark gestört wird wie bei EL 
Nino-Ereignissen. Hintergrund ist hier der bei La Nina verringerte 
Wellenfluss (Wärme- und Impulsflüsse) in die bzw. in der 
Stratosphäre. Mit "La Nina" in Zusammenhang steht auch die pazifische
Zirkulation, d.h. grob gesagt hoher Luftdruck über dem Nordpazifik, 
der wiederum das mehr oder weniger persistente Aleutentief schwächt. 
Soweit zur Theorie. Was wir so ab Mitte/ Ende Dezember 2020 erlebt 
haben, war neben deutlich zu hohen Meeresoberflächentemperaturen im 
westlichen und nordwestlichen Nordpazifik ein ungewöhnlich starkes 
Hoch mit eisigen Temperaturen über dem östlichen Sibirien/ der 
Mongolei. Diese explosive Mischung der Temperaturkontraste führte 
dann zu einer erheblichen Stärkung des Aleutentiefs (siehe auch 
Details dazu im Thema des Tages am 14.01.2010 von Helge Tuschy). 

Eins vergleichbar starkes Aleutentief findet man normalerweise in "EL
Nino"-Jahren. Auf dessen Vorderseite werden starke Wärmeflüsse 
meridional und vor allem vertikal in die Stratosphäre übertragen. 
Diese Kopplung ist allerdings nur im Winterhalbjahr möglich, da dann 
sowohl in der Troposphäre als auch in der Stratosphäre der mittleren 
und hohen Breiten Westwinde vorherrschen und so die Wellenflüsse 
miteinander interferieren (sich überlagern) können. Das führt in 
jedem Fall zu einer Schwächung des stratosphärischen Polarwirbels 
(SPV), da Wellenenergie auch in Wärmeenergie umgewandelt wird (d.h. 
der im Grunde "kalte" Polarwirbel wird erwärmt). In unserem Fall 
entsteht durch die stratosphärische Erwärmung ein Gebiet hohen 
Luftdrucks in der Stratosphäre (auf der pazifischen Seite). 
Idealerweise wird der SPV auch von der atlantischen Seite gestört. 
Dann kommt es zum klassischen "Split" (Auseinanderbrechen) des SPV. 

Beim diesjährigen SSW geht man eher von einer Mischform zwischen 
"Displacement" (Verschiebung) des SPV vom Pazifik her und einem Split
aus, zumal ein erneutes "Warming" mit erneuter Windumkehr (60 Grad N,
10 hPa) zur Monatsmitte prognostiziert wird. Alles in allem sieht es 
bei dem diesjährigen Ereignis nach einer nachhaltigen Störung bzw. 
Schwächung des SPV aus, womit wir schon bei den Auswirkungen sind, 
die uns erwarten.

Hier soll nur kurz darauf eingegangen werden, im TdT vom 14.01.2021 
wird es dann konkreter.

Auf jeden Fall setzt sich die Störung mit der Zeit dynamisch von der 
Stratosphäre bis in die Troposphäre durch (klassisch geprägt durch 
hohen Luftdruck über der Arktis). Damit einher geht ein deutlich 
negativer Index der Arktischen und Nordatlantischen Oszillation (AO 
bzw. NAO, siehe Link Wetterlexikon), wobei durch die Windumkehr bei 
vermehrt meridionalen Strömungsmustern arktische Luftmassen weit nach
Süden vordringen. Die Fachliteratur beschreibt hierbei Eurasien 
gegenüber Nordamerika als bevorzugt beeinflusste Region. 

Prinzipiell sind SSW-Ereignisse mittlerweile relativ gut durch die 
Wettermodelle vorhersagbar (auch in der Mittelfrist, da die Modelle 
bis in die Stratosphäre hinauf relativ gut aufgelöst rechnen). 
Probleme bestehen allerdings weiterhin bei der dynamischen Kopplung 
Stratosphäre - Troposphäre einerseits und bei der Zuordnung zu 
möglichen troposphärischen Strömungsmustern andererseits. Letztere 
weisen doch eine ziemliche Variabilität auf. Hier könnte die 
Statistik bei nun besserer und systematischer Erfassung der 
Ereignisse in der Zukunft erheblich weiterhelfen. Ein anderes Problem
ist die zeitliche Einordnung der Auswirkungen, stellen sich doch die 
troposphärischen Muster meist erst nach etwa 10 bis 15 Tagen nach dem
Ereignis um. 

Zu guter Letzt soll noch erwähnt werden, dass der Einfluss eines 
SSW-Ereignisses sogar zwei Monate oder länger auf die Troposphäre 
anhalten kann. Da wären wir fast schon bei saisonaler 
Wettervorhersage angelangt. 

Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 10.01.2021

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