Thema des Tages

Warum Schneekristalle kleine Kunstwerke sind


Pünktlich zum meteorologischen Winteranfang am vergangenen Dienstag 
gab es in einigen Regionen des Landes den ersten Schnee. Wussten Sie,
dass jeder einzelne Schneekristall vermutlich einzigartig ist und 
keinem anderen gleicht?

Am Dienstag, den 01. Dezember, fiel pünktlich mit Beginn des 
meteorologischen Winteranfangs mit einem eher kleinräumigen Tief vor 
allem in den westlichen und südwestlichen Landesteilen bis in tiefe 
Lagen der erste Schnee, wenngleich die gebildete Schneedecke nur für 
wenige Stunden hielt. Den mit einsetzenden Milderung ging es ihr 
recht schnell wieder an den Kragen. Aus der Entfernung betrachtet 
wirkt die weiße Masse dabei eher gleichförmig. Schaut man jedoch 
genauer hin, dann fällt auf, dass eine größere Schneeflocke aus 
mehreren zusammengewachsenen filigranen Schneekristallen besteht.
Die Bildung einer Schneeflocke beginnt mit winzigen Eispartikeln, die
in den Wolken auf zweierlei Weise entstehen können. In sehr kalter 
Luft kann reiner Wasserdampf direkt zu Eispartikeln gefrieren. Dazu 
muss die Temperatur allerdings extrem niedrige Werte annehmen, nahe 
minus 40 Grad Celsius. Wesentlich typischer ist daher ein anderer 
Prozess, bei dem Staub- oder andere Aerosolpartikel eine zentrale 
Rolle spielen. Einzelne Wassermoleküle lagern sich an diese Partikel 
an und bei Temperaturen unter 0 Grad Celsius entstehen winzige 
unterkühlte Tröpfchen. Kühlt die Luft weiter ab, gefrieren die 
unterkühlten Wolkentröpfchen zu Eiskristallen. Zunächst sind sie nur 
wenige Mikrometer groß und weisen fast immer eine sechseckige Form 
auf. Diese dominierende Kristallstruktur von Eis sorgt für das 
Erscheinungsbild von hexagonalen Plättchen oder Säulen. Die Ursache 
für diese Strukturen liegt in der hexagonalen Anordnung der 
Wassermoleküle. Dabei befinden sich die Sauerstoffatome jeweils an 
den Ecken eines Sechsecks, und Wasserstoffbrücken verbinden sie mit 
den anderen Wassermolekülen.
Nach und nach lagern sich immer mehr Wassermoleküle an die Kristalle 
an und lassen diese wachsen, insbesondere an den Kanten. Wegen der 
hexagonalen Eisstruktur bilden sich auf diese Weise die für 
Schneekristalle typischen "Äste". In künstlerischen Darstellungen 
sehen sie absolut identisch aus, was jedoch nicht der Realität 
entspricht. Stattdessen findet man leicht asymmetrisch geformte 
Schneekristalle. Trotzdem ähneln sich die sechs Äste stark. Das liegt
daran, dass die äußeren Bedingungen, die über das Eiswachstum 
entscheiden, für alle Äste identisch sind.
Die vermutlich bekannteste Veröffentlichung mit mehr als 2400 
Fotografien von Schneekristallen lieferte der Amerikaner und 
Autodidakt Wilson Bentley in seinem Buch "Snow Crystals" aus dem Jahr
1931. Mit diesem Werk löste er eine Welle der Begeisterung für die 
filigranen Schönheiten aus, die bis nach Japan schwappte. So widmete 
sich der Physiker Ukichiro Nakaya ab dem Jahr 1933 an der Hokkaido 
Universität der eisigen Materie. Er schoss rund 3000 Fotos von 
natürlichen Eiskristallen. Anhand ihrer Morphologie - also ihrem 
Erscheinungsbild - unterteilte er diese in insgesamt 41 Grundformen 
darunter sieben Haupt- und weitere Nebentypen. Nach drei Jahren 
Forschung gelang es ihm auch erstmals, künstliche Eiskristalle 
wachsen zu lassen. Anhand seiner Ergebnisse stellte er daraufhin ein 
grafisches Diagramm zusammen, welches heute noch in der Fachliteratur
als "Nakaya-Diagramm" bekannt ist und in der beigefügten Grafik 
(https://t1p.de/1r33) zu finden ist.
Nakaya stellte dabei fest, dass gewisse Beziehungen zwischen der 
Gestalt der Schneekristalle und den bei ihrer Entstehung 
vorherrschenden atmosphärischen Bedingungen existieren. Vor allem die
Temperatur und Feuchtigkeit der Luft, in der ein Schneekristall 
heranwächst, beeinflussen seine spätere Form. Zum Beispiel bilden 
sich bei Temperaturen nahe minus zwei Grad Celsius hexagonale 
Plättchen, die mit zunehmender Feuchte immer komplexere Verästelungen
ausbilden. Ähnlich verhält es sich mit Schneekristallen bei minus 15 
Grad Celsius. Dann entstehen besonders formschöne Exemplare. Bei 
Temperaturen um minus sieben Grad Celsius hingegen entwickeln sich 
vorwiegend Eissäulen, -nadeln oder -prismen.
Die Feuchtigkeit, also der Wasserdampf, spielt ebenfalls eine 
grundlegende Rolle. In Abhängigkeit von Temperatur und Druck kann ein
Luftpaket nur eine bestimmte Menge an Wasserdampf aufnehmen. Erreicht
der Wasserdampf in der Luft die maximale Menge, spricht man von 
Sättigung. Bei Übersättigung nimmt die Luft darüber hinaus noch mehr 
Wasserdampf auf und es kommt zum Phasenübergang. Dann setzt 
Kondensation (von gasförmig zu flüssig) oder Resublimation (von 
gasförmig zu fest) ein und es bilden sich Tröpfchen oder 
Eiskristalle. Nakaya erkannte, dass mit steigendem Wasserdampfgehalt 
der Luft die Komplexität der Struktur der Kristalle zunimmt und diese
somit filigranere Strukturen ausbilden.
Es existieren allerdings viele Misch- oder Übergangsformen. Die 
Schneekristalle können durchaus in einer bestimmten Form zu wachsen 
beginnen. Auf ihrem Weg zum Boden sind sie jedoch oft höchst 
unterschiedlichen Temperatur- und Feuchtigkeitswerten ausgesetzt. 
Dadurch wachsen die Schneekristalle mal mehr in die Breite oder mal 
filigraner an den Spitzen und können so sehr komplexe kristalline und
individuelle Formen annehmen. Typischerweise erreichen sie einen 
Durchmesser von wenigen Millimetern. Je größer die Kristalle werden, 
desto schneller fallen diese dem Erdboden entgegen. Das führt 
unweigerlich zu Kollisionen. Verhaken sich mehrere Kristalle, bilden 
sie Schneeflocken, was besonders leicht bei Temperaturen nahe null 
Grad Celsius passiert, denn dann ist der Schnee recht feucht. Die 
daraus entstehenden Schneeflocken können durchaus so groß wie 
Walnüsse werden, ohne auseinanderzufallen. Bei extrem windarmen und 
feuchten Bedingungen wurden auch noch größere Flocken beobachtet (in 
der Zunft der Meteorologen oft scherzhaft "Toastbrotflocken" 
getauft).
Vielleicht gehen Sie beim nächsten Schneefall auf Ihre ganz eigene 
Entdeckungstour und erkunden die in jedem Fall einzigartigen 
Schneekristalle!

M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 04.12.2020

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Diesen Artikel und das Archiv der "Themen des Tages"
finden Sie unter www.dwd.de/tagesthema

Weitere interessante Themen zu Wetter und Klima finden
Sie auch im DWD-Wetterlexikon unter: www.dwd.de/lexikon

====================================================
Sie können diesen Newsletter über die Webseite

   https://www.dwd.de/DE/service/newsletter/newsletter_thema_des_tages_node.html

zu jeder Zeit wieder abbestellen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre Pressestelle des DWD

Telefon: 069 8062 4501
Fax: 069 8062 4509
E-Mail: pressestelle@dwd.de
====================================================