Thema des Tages
Radiosonden: Von (Daten-) Jägern zu Gejagten
Sie sind unverzichtbar für die Wettervorhersage: Radiosonden bzw. die
auf ihren Reisen durch die Atmosphäre gesammelten Daten. Aber was
passiert, wenn die "Datenjäger" wieder am Boden ankommen? Sie werden
selbst zu Gejagten.
Ist Ihnen schon einmal der Begriff "Radiosonde" über den Weg
gelaufen? Dabei handelt es sich schlicht und einfach um ein Gerät,
das mit einem Sender und mehreren Messfühlern ausgestattetet ist.
Angebunden an einen mit Wasserstoffgas gefüllten Gummiballon, steigt
die Radiosonde mit rund 300 Metern pro Minute in die Luft auf und
misst dabei stetig Luftdruck, -feuchte und -temperatur sowie indirekt
durch die Windverlagerung auch Geschwindigkeit und Richtung des
Windes. Diese Daten werden über den Sender direkt an die
Empfangsstation am Boden übermittelt. Kurz darauf stehen sie
schließlich einerseits uns Meteorologen grafisch aufbereitet zur
Verfügung und geben uns wichtige Hinweise, ob beispielsweise in den
nächsten Stunden Gewitter entstehen können und mit welchen
Begleiterscheinungen dabei zu rechnen wäre. Andererseits liefern sie
neben vielen weiteren Beobachtungsdaten die Basis für die Prognosen
unserer Wettermodelle.
Radiosonden sind damit eine unverzichtbare Ergänzung zum
Bodenstationsmessnetz, denn Wetter ist nicht zwei-, sondern
dreidimensional! Gerade in höheren Luftschichten liegen die
eigentlichen Antriebe für unser Wettergeschehen. Die dort
stattfindenden Prozesse lassen beispielsweise Hoch- und
Tiefdruckgebiete am Boden entstehen oder sorgen manchmal für
Schauerwetter, obwohl das heimische Barometer "schön" anzeigt
(Stichwort "Höhentief"). Derzeit führt der DWD in Zusammenarbeit mit
der Bundeswehr an elf Standorten in Deutschland mindestens zwei Mal
am Tag (jeweils um 0 und 12 UTC) Radiosondenaufstiege durch, in
Bergen (Niedersachsen), Lindenberg (Brandenburg), Kümmersbruck
(Bayern) und Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) sogar vier Mal (0, 6,
12 und 18 UTC). Aufgrund des durch die Corona-Pandemie dramatischen
Rückgangs an Flugzeugmessdaten, findet in Stuttgart
(Baden-Württemberg), Essen (NRW), Meiningen (Thüringen) und
Oberschleißheim (Bayern) noch ein zusätzlicher Aufstieg pro Tag um 6
UTC statt.
Noch einmal zurück zum Aufstieg einer Radiosonde. Vielleicht fragen
Sie sich, was denn eigentlich mit dem Gerät dann noch so passiert?
Steigt es immer höher und gesellt sich schließlich zum
Weltraumschrott? Oder lässt es sich ferngesteuert wieder
zurückbringen? Die Antwort ist relativ simpel: Die Physik sorgt für
die Rückkehr der Radiosonde. Der Ballon, an dem die Sonde hängt,
dehnt sich beim Aufstieg durch den abnehmenden Druck der
Umgebungsluft immer mehr aus. Irgendwann stößt das Material des
Ballons dann aber an seine Belastungsgrenze. Die Folge: Er platzt!
Das ist oftmals in einer Höhe von etwa 20 bis 30 km über dem Erdboden
der Fall. Es kann allerdings auch noch deutlich höher gehen wie z.B.
am 22.06.2005 bei einem Aufstieg des Observatoriums in Lindenberg:
Erst bei stolzen 40 km gab sich der Ballon geschlagen - Rekord beim
DWD.
Damit die Radiosonde nun nicht wie ein Meteorit auf die Erde zurast,
ist sie mit einem kleinen Fallschirm ausgestattet, mit dessen Hilfe
sie auf sanfte Weise wieder festen Boden unter ihre Messfühler
bekommt. Dabei sendet sie weiterhin fleißig Messdaten an die
Bodenstation. Wo die Sonde dann letztlich landet, hängt natürlich
stark vom Wind ab und kann durchaus in der tiefsten Pampa zig
Kilometer vom Startort entfernt sein. Und spätestens dann schlägt
sie, die Stunde der Radiosondenjäger!
Die Radiosonde sendet nämlich nicht nur meteorologische Messdaten,
sondern auch ihren Standort per GPS. Damit lässt sich die Flugbahn
der Sonde darstellen, die Sie sich unter
https://www.dwd.de/DE/leistungen/rasomon/rasomon.html?nn=452870 für
die verschiedenen Radiosondenstandorte des DWD und der Bundeswehr in
Deutschland zu Gemüte führen können. Wie bei einer Schnitzeljagd
können Sie sich nun auf den Weg machen, um in der Nähe des letzten
GPS-Signals nach der Sonde zu suchen. Während "normale" Radiosonden
getrost in die Wertstoffentsorgung gegeben werden können, winkt beim
Auffinden einer Ozonsonde, wie sie vom Observatorium Lindenberg und
Hohenpeißenberg verwendet wird, sogar ein Finderlohn von 30 Euro.
Aber Vorsicht! Unter Umständen kann der Ballon teilweise noch mit dem
leicht entzündbaren Wasserstoffgas gefüllt sein. Vermeiden Sie also
unbedingt offenes Feuer hinsichtlich der dann bestehenden
Explosionsgefahr. Nicht, dass sich die Sonde auf ihre zweite Reise
durch die Atmosphäre begibt...
Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.06.2020
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