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Thema des Tages
Chaostheorie – Teil 1: Der Schmetterlingseffekt
Der Wettervorhersage sind Grenzen gesetzt. Was das Chaos und ein
Flügelschlag eines Schmetterlings damit zu tun haben, zeigen wir in
einer kurzen Einführung in die Chaostheorie.
Immer wieder erhalten wir Anfragen der Art: „Wir wollen in zwei
Monaten heiraten. Wie wird an unserem Hochzeitstag das Wetter?“ In
solchen Fällen müssen wir das Hochzeitspaar leider enttäuschen, denn
Wettervorhersagen sind für einen so langen Zeitraum nicht möglich.
Doch warum sind dem Vorhersagezeitraum Grenzen gesetzt und wo liegen
die Grenzen der Vorhersagbarkeit? Um diese Frage zu beantworten,
müssen wir uns mit dem Wetter als chaotischen Prozess befassen.
Tatsächlich war der Begründer der Chaostheorie Edward N. Lorenz ein
Meteorologe. Er stieß 1963 auf die Chaostheorie, als er
Konvektionsströmungen in flachen Flüssigkeiten und Gasen erforschte.
(Bei einem Experiment stieg ein Gas auf, das von einer Heizplatte
erhitzt wurde, kühlte sich an der Oberfläche ab und sank an den
Seiten wieder nach unten. Dabei bildeten sich Rollen oder sogenannte
Konvektionszellen.) Edward Lorenz beschrieb diese Strömungen mit
einem Vorhersagemodell, in dem er die Temperatur und die
Konvektionsrate in einem Gleichungssystem in Beziehung setzte.
Zur Lösung dieser Gleichungen benutzte er einen heute vergleichsweise
einfachen Computer. Die Entdeckung des chaotischen Verhaltens dieses
Systems war eher ein Zufall. Als er sein Modell ein zweites Mal
berechnete, wollte er Rechenzeit sparen und gab die
Anfangsbedingungen nur mit drei Nachkommastellen anstatt vorher mit
sechs Nachkommastellen an. Obwohl die Anfangsbedingungen kaum
voneinander abwichen, kam Lorenz nach einer gewissen Zeit zu völlig
anderen Ergebnissen. Winzige Variationen in den Anfangsbedingungen
haben in manchen Systemen also nicht wie erwartet kaum Auswirkungen,
sondern können zu starken Abweichungen führen.
Der folgende Abschnitt geht noch etwas ins Detail und kann für das
Allgemeinverständnis auch übersprungen werden. Als grafische Lösung
der Gleichung erhält man das Gebilde in der Abbildung, was auch
Lorenz-Attraktor genannt wird. Die Achsen X, Y und Z stehen für die
berechneten Variablen der Gleichungen, die Linie gibt die zeitliche
Entwicklung (Verlauf) der jeweiligen Variablen wieder und wird als
Trajektorie bezeichnet. Auffällig ist, dass die Trajektorie keiner
chaotischen Bahn, sondern vielmehr einer gewissen Ordnung. Sie kreist
um zwei verschieden Orbits und schneidet ihre eigene Bahn dabei
niemals. Man nennt dieses Gebilde auch einen seltsamen Attraktor. Was
allerdings chaotisch ist, ist der Wechsel von einem zum anderen
Orbit, der nicht nach einer bestimmten Periode abläuft. Ob die
Trajektorie von einem Orbit zum anderen „kippt“, hängt dabei stark
von den Anfangsbedingungen ab. In der Chaostheorie spricht man dann
auch von einer „Bifurkation“. Auf die Wettervorhersage übertragen,
hat man solche Bifurkationen häufiger bei Grenzwetterlagen. Dann
zeigen verschiedene Wettermodellläufe zwei verschiedene Wetterlagen,
(was mit dem Wechsel zwischen den zwei verschiedenen Orbits
verdeutlicht werden kann.) Oft springt dann die Prognose zwischen
diesen beiden Lösungen hin und her. In der aktuellen
Mittelfristvorhersage zum Beispiel zeigt für Mitte Juni der
überwiegende Teil der Wettermodelle ein Hoch über Nordosteuropa.
Dabei würde sich eine sehr warme Ostströmung einstellen. Einige sehr
wenige Modelllösungen zeigen aber dieses Hoch etwas weiter östlich,
sodass von Westen atlantische Tiefausläufer auf Deutschland
übergreifen könnten, die statt der Warmluft kühlere Meeresluft
heranführen würden
Wem dieser Abschnitt zu abstrakt war, für den sei hier noch mal
zusammengefasst, dass mit der Chaostheorie nicht ein unberechenbares
und zufälliges Verhalten von Systemen gemeint ist. Chaotische Systeme
sind durchaus berechenbar. Man spricht deshalb auch vom
deterministischen Chaos. Ihnen wohnt auch eine gewisse Ordnung inne.
Die Kernaussage ist, dass nichtlineare Systeme, wie das Wetter, sehr
sensitiv gegenüber kleinen Änderungen in den Anfangsbedingungen sind,
die sehr großen Auswirkungen haben. Edward L. Lorenz veranschaulichte
diesen Effekt mit einer Metapher, die ihm in den Sinn kam, als er die
Form seines Lorenzattraktors (siehe Abbildung) betrachtete: „Kann ein
Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas
auslösen?“ Heute ist dies als der sogenannte „Schmetterlingseffekt“
bekannt.
Lorenz‘ Arbeit hatte große Auswirkungen auf unser Weltbild und
beeinflusst auch heute noch die Wettervorhersage. Denn der
Anfangszustand der Atmosphäre lässt sich für die Wettermodelle nicht
beliebig genau bestimmen. Zum einen gibt es nicht für jeden Punkt der
Atmosphäre Messungen, zum anderen sind alle Beobachtungen in einem
gewissen Rahmen fehlerbehaftet. Des Weiteren sind die Gleichungen in
den Wettermodellen zum Teil nur Näherungen. So werden die
Modellrechnungen mit zunehmender Vorhersagezeit immer unsicherer. Wo
die Grenzen der Vorhersagbarkeit liegen und wie man dem Chaos in der
Vorhersage noch Informationen abringen kann, soll im zweiten Teil
Thema sein. Voraussichtlich morgen gibt es dazu mehr.
Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.06.2020
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