Thema des Tages
Bäume als Klimazeugen: Neues Forschungsprojekt zur verbesserten
Klimarekonstruktion
Jahresringe von Bäumen verraten viel über die klimatischen
Bedingungen der Vergangenheit. Für das weiter zurückliegende
Zeitalter klappt das allerdings besser als für die jüngere
Geschichte. Wissenschaftler wollen nun herausfinden, warum das so
ist.
Nach einem Spaziergang durch den Wald einen frisch gebackenen
Apfelkuchen unter dem großen Kirschbaum im Garten verspeisen, dazu
einen leckeren Kaffee schlürfen - und anschließend beim Gang aufs
stille Örtchen vielleicht noch zum weichen Toilettenpapier greifen?
All das ginge nicht ohne sie: Bäume! Doch die großen Lebewesen sind
nicht nur Ruheort und schattenspendende "Futterquelle" für Mensch und
Tier, sondern als zentraler Baustein unseres Ökosystems auch
lebenswichtig: Sie produzieren viel Sauerstoff (eine 150-jährige
Buche etwa beachtliche 11.000 Liter Sauerstoff am Tag, das entspricht
dem Tagesbedarf von 26 Menschen) und binden gleichzeitig das
Treibhausgas Kohlendioxid (ca. 24 kg CO2 täglich, so viel wie ein
Kleinwagen auf 150 km in die Luft pustet).
Ein Merkmal von Bäumen ist für Kinder wie Wissenschaftler
gleichermaßen faszinierend: Die Baumringe. Ihre Anzahl gibt nicht nur
Aufschluss über das Alter eines Baumes, sondern die Breite der Ringe
liefert auch Hinweise auf die Witterungsbedingungen, die beim
Ausbilden eines jeden Jahresrings geherrscht haben: War es eine
warme, feuchte Wachstumsphase? Oder doch eher kalt und trocken? Ringe
aus Jahren mit guten Wachstumsbedingungen für den Baum sind breiter
als solche aus schlechten Jahren.
Bäume sind also wahre "Klimazeugen" - eine Art Datenbank, in der die
klimatischen Entwicklungen seit Hunderten von Jahren sehr detailliert
hinterlegt sind, von der regionalen bis zur globalen Ebene. Die
bereits datierten Jahresringe reichen bis zum Ende der letzten
Eiszeit vor etwa 12.500 Jahren zurück. Doch Wissenschaftler der
Dendrochronologie (griech. "dendron"=Baum, "chronos"=Zeit,
"logos"=Lehre) haben festgestellt, dass die Jahresringe die
Temperaturentwicklung seit den 1960er Jahren nicht mehr korrekt
widerspiegeln. Dieses als "Divergenz" bezeichnete Problem ist der
Ausgangspunkt für ein großes neues Forschungsprojekt namens MONOSTAR
("Modelling non-stationary tree growth responses to global warming").
Für dieses Projekt werden der Paläoklimaforscher Prof. Dr. Jan Esper
von der Universität Mainz zusammen mit seinem Team und
internationalen Kooperationspartnern das Wachstum verschiedener
Nadelbaumarten an 100 Standorten von den Rocky Mountains über die
Alpen bis zum Himalaya verfolgen (siehe Grafik). An 10 dieser
Standorte werden zusätzlich umfangreiche Monitoring-Maßnahmen
durchgeführt, um detaillierte Einflussgrößen für ein neues
Computermodell zu erfassen. Dieses Baumringdichte-Modell soll
entwickelt werden, um das Baumwachstum zu rekonstruieren und
verlässliche Angaben für die Klimaforschung bereitzustellen.
Derzeit wird davon ausgegangen, dass die Temperatur nicht unbedingt
das entscheidende Kriterium für das Divergenz-Problem ist. Nach Esper
gebe es zahlreiche andere Einflussgrößen wie z.B. Ozon oder
Veränderungen in der Strahlung, die das Pflanzenwachstum beeinflussen
könnten.
Wovon hängt also das Wachstum der Ringe ab und wieso halten sie seit
den 60er-Jahren nicht mehr mit der Erwärmung Schritt? Diesen Fragen
wollen die Wissenschaftler in den nächsten Jahren nachzugehen. Der
Europäische Forschungsrat (engl.: European Research Council, kurz
ERC) hat für das Projekt einen "ERC Advanced Grant" bewilligt, die
höchstdotierte Fördermaßnahme der EU. Damit stehen Esper und seinem
Team in den nächsten fünf Jahren 2,5 Millionen Euro zur Verfügung.
ERC Advanced Grants werden nur an herausragende Forscherinnen und
Forscher vergeben, die bereits bedeutende Errungenschaften vorweisen
können und seit mindestens zehn Jahren auf international höchstem
Niveau erfolgreich gearbeitet haben.
Die Ergebnisse von MONOSTAR sind nicht nur für die Klimaforschung
interessant. Wenn historische Warmzeiten und Klimaänderungen besser
rekonstruiert werden können, eröffnet dies auch neue
Forschungsimpulse für andere Bereichen, wie die der Ökologie,
Archäologie oder Geschichtswissenschaft.
Es bleibt also spannend, was die Mainzer Forscher in den nächsten
Jahren herausfinden. Unterdessen bleiben uns hoffentlich viele
Waldspaziergänge und kulinarische Apfelkuchen-Genüsse unter dem
großen Baum im Garten...
Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.04.2020
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