Thema des Tages
Wissenschaft kompakt
Superzellen - was ist das eigentlich?
Immer wieder hört man über die verschiedenen Medien den Begriff:
"Eine Superzelle zieht auf Deutschland zu", oder: "Superzellen sorgen
für Unwetter". Doch was ist eigentlich eine Superzelle? Dieser Frage
gehen wir heute genauer nach.
Um es gleich vorweg zu sagen: Es gibt nicht die eine Superzelle.
Vielmehr bezeichnet der Begriff einen Gewittertyp mit ganz bestimmten
Eigenschaften, der ihn von anderen Gewittern unterscheidet.
Wesentliches Merkmal einer Superzelle, über die sie sich auch
definiert, ist die Rotation der Gewitterzelle. Genauer gesagt rotiert
dabei der Aufwind um eine vertikal ausgerichtete Achse. Der Aufwind
bewegt sich also spiralförmig nach oben. Grundsätzlich sind
Superzellen eine Art von "organisiertem" Gewitter (es gibt auch noch
andere Arten). Der Begriff "organisiert" bezieht sich dabei auf die
Tatsache, dass in einer solchen Gewitterzelle Auf- und Abwinde
voneinander getrennt sind. In einer handelsüblichen normalen
Gewitterzelle sind Auf- und Abwinde dagegen zufällig angeordnet und
von eher chaotischer Natur.
Oftmals rotiert der Aufwind in einer solchen Superzelle in zyklonale
Richtung, also in dieselbe Richtung wie ein Tiefdruckgebiet. Aus
diesem Grund wird dieser Teil einer Superzelle oft auch "Mesozyklone"
genannt. Der Wortbestandteil "Meso-" bezieht sich dabei auf die
Größenordnung dieses Wirbels. Dieser ist mit einem Durchmesser von
meist zwischen 2 und 10 km deutlich kleiner als ein klassisches
Tiefdruckgebiet. Diese haben in der Regel einen Durchmesser von 100
bis 1000 km.
Aber nicht nur aufgrund der Rotation kann man von einer Zyklone
sprechen. Eine Superzelle weist auch weitere Eigenschaften eines
Tiefdrucksystems auf, wie zum Beispiel eine Art Frontensystem. Neben
dem Aufwindbereich unterscheidet man dabei verschiedene
Abwindbereiche. Diese werden üblicherweise mit englischer Nomenklatur
bezeichnet. Dabei existiert ein vorder- und ein rückseitiger Abwind,
"Forward Flank Downdraft" und "Rear Flank Downdraft" genannt
(Abkürzung FFD und RFD). In diesen Bereichen gelangt kalte Luft aus
großen Höhen hinunter bis zum Boden, während andersherum die warme
und feuchte Luft im Aufwind nach oben befördert wird. So ein Gewitter
ist also ein riesiger Austauschmechanismus zwischen kalter Höhenluft
und warmer Bodenluft, wenn die Temperaturunterschiede zwischen den
Schichten zu groß werden.
Oftmals lässt sich am Rande einer Superzelle eine Kette von
Haufenwolken beobachten: Die sogenannte "Flanking Line". Dabei trifft
warme Luft am Boden, die von der Zelle angesaugt wird ("Inflow"
genannt) auf den Pool ausfließender kalter Luft auf der Rückseite der
Superzelle (RFD). Dabei muss die warme Luft des Inflows zwangsläufig
auf die dichtere kalte Luft aufgleiten. Dabei bildet sich die
Wolkenkette aus.
Damit sich aber insbesondere Gewitter in Form von Superzellen
ausbilden können, sind einige Randbedingungen vonnöten. Zum einen
braucht es ein gewisses Maß an Instabilität in der Troposphäre, der
in der Regel durch den Parameter "CAPE" zum Ausdruck kommt. Zum
anderen ist Windscherung ein unabdingbares Kriterium, damit sich
entstehende Gewitter entsprechend organisieren können. Scherung
bezeichnet dabei die Änderung von Windgeschwindigkeit
(Geschwindigkeitsscherung) und Windrichtung (Richtungsscherung) mit
der Höhe. Je stärker diese ausgeprägt sind, desto besser können sich
organisierte Gewitterzellen und insbesondere Superzellen bilden.
Die vorhandene Windscherung sorgt auch dafür, dass sich bestimmte
Begleiterscheinungen nahezu ausschließlich im Rahmen eines
superzellulären Gewitters ausbilden können. Da wäre zunächst der
große Hagel zu nennen, der sich vor allem aufgrund der speziellen
Aufwindstruktur ausbilden kann. In besonders gut ausgeprägten
Superzellen erreichen die Körner hier schnell Größen von über 4 cm.
Weitere Phänomene stehen vor allem mit Wind in Zusammenhang. Da wäre
zunächst der sogenannte "Downburst" zu nennen. Downbursts sind
heftige Fallwinde. Sie entstehen, wenn viel Niederschlag in eine
ausgeprägte trockene und bodennahe Luftschicht fällt. Dabei
verdunstet der Niederschlag rasch und kühlt dabei die Luft mit ab.
Dadurch wird die Abwärtsbewegung noch solange beschleunigt, bis die
Luft auf dem Boden auftrifft, wo sie sich gezwungenermaßen zur Seite
ausbreiten muss. Dabei werden oftmals Windgeschwindigkeiten von über
120-140 km/h erreicht, in Extremfällen sogar über 200 km/h.
Ein weiteres Phänomen dürfte hinreichend bekannt sein: Superzellen
sind die einzige Art von Gewittern, die Tornados produzieren können
(von der Betrachtung von sogenannten Typ II-Tornados sei an dieser
Stelle abgesehen). Hierbei wirken vor allem niedrige Wolkenhöhen und
hohe Windscherung bereits im Bereich zwischen Boden und 1 km Höhe
begünstigend. Dabei setzt sich vereinfacht gesagt die Rotation des
Aufwindes bis zum Boden fort, wobei der Radius immer weiter abnimmt,
was zu einer entsprechenden Zunahme der Windgeschwindigkeiten führt -
ähnlich dem Pirouetten-Effekt beim Eiskunstlauf (In Wirklichkeit sind
diese Mechanismen alle noch sehr viel komplizierter und auch noch
immer nicht zu 100% verstanden, aber auf diese Abhandlungen wollen
wir an dieser Stelle verzichten).
Wie aber erkennt man nun eine Superzelle? Dazu kann man verschiedene
Hilfsmittel verwenden. Sobald eine Superzelle in Kontakt mit der
bodennahen Grenzschicht kommt, beginnt sie in ihrer Zugbahn nach
rechts auszuscheren. Das lässt sich gut im Niederschlagsradar
erkennen. Des Weiteren kann man sich den Dopplermechanismus des
Radars zunutze machen. Dieser erkennt die Rotation der Mesozyklone.
Zu guter Letzt lassen sich auch im Radarbild mitunter typische
Signaturen im Reflektivitätsbild ausmachen ("Hook Echo"). Mit bloßem
Auge bilden sich oft klassische Wolkenstrukturen wie z.B. eine Wall
Cloud (Mauerwolke) an der Aufwindbasis oder eine Shelf Cloud (sog.
"Regalwolke" mit mehreren Schichten) am Abwindbereich aus. Mitunter
ist bei ausgeprägten Superzellen sogar die Rotation der Aufwindwolke
mit bloßem Auge zu erkennen.
Nicht jede Superzelle führt gleich zu schweren Unwettern. Aber
schwere Unwetter werden oft durch Superzellen verursacht.
Gleichzeitig stellen sie - je nach Sichtweise - eine der schönsten
strukturellen Phänomene dar, die die Atmosphäre so zu bieten hat.
Vielleicht sieht man ja schon das nächste Gewitter bereits mit
anderen Augen.
M.Sc. (Meteorologe) Felix Dietzsch
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.07.2024
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