Thema des Tages

Wissenschaft kompakt

Eine „Schlange“ über dem Michigansee

Im heutigen Thema des Tages geht es um ein optisch beeindruckendes
Phänomen des sogenannten „Lake Effect Snow“, das sich vom 19. auf den

  1. Januar 2024 über dem Michigansee (engl. Lake Michigan, USA)
    abgespielt hat.

Winterzeit ist Schneezeit. Nun ja, das gilt bei uns in Deutschland
sicherlich abschnittsweise für das Bergland, sowie zeitweise auch für
die tieferen Lagen, wenn kalte und feuchte Luftmassen
zusammentreffen. Es gibt im Winter aber auch Regionen, wo bis in die
tiefsten Lagen hin und wieder der Winter mit Pauken und Trompeten
Einzug hält. Die Rede ist vom sogenannten „Lake Effect Snow“. Dieser
kann bei entsprechenden Bedingungen auch bei uns z.B. im Umfeld der
Ostsee oder des Bodensees auftreten. Heute aber richten wir unseren
Blick gen Westen in die USA, wo vor einigen Wochen ein optischer
Leckerbissen verfolgt werden konnte.

Die Entstehung und Auswirkung des Lake Effect Snow wurde an dieser
Stelle bereits mehrfach ausführlich behandelt. Meist handelt es sich
dabei um solide Konvektionsbänder, die sich über den vergleichsweise
warmen Wasseroberflächen der Großen Seen intensivieren und eng
begrenzt im Küstenbereich massive Neuschneemengen bringen. Zudem
sorgt nicht selten ein ruppiger Wind für massive Schneeverwehungen.
Heute betrachten wir solch ein Ereignis, aber weniger aus
wissenschaftlichem Aspekt, sondern eher mit dem ästhetischen Auge. Es
geht dabei um ein Ereignis vom 19. zum 20. Januar 2024, das sich über
dem Michigansee abgespielt hat.

Nach einem in dieser Region sehr warmen Dezember mit einer
Eisbedeckung der Großen Seen, die nahe am absoluten Minimum
verharrte, sorgte ein arktischer Kaltluftausbruch Mitte Januar 2024
für eine vorübergehende Bildung bzw. Ausdehnung der Eisoberfläche.
Diese verblieb jedoch weiterhin unter dem historischen Durchschnitt
(1973 bis 2023) und ging seitdem erneut zurück (aktuell rund 5%
Eisbedeckung der Großen Seen und somit erneut nahe am absoluten
Minimum für diese Jahreszeit). Mit einer Oberflächentemperatur von
rund 5 Grad konnte der Michigansee Mitte Januar noch mit die höchsten
Temperaturwerte der Seen aufweisen.

Die synoptische Ausgangslage war eine recht klassische für den Lake
Effect Snow, mit hohem Luftdruck über dem Mittleren Westen bzw.
entlang der Rockies und tiefem Druck vor der Ostküste der USA. Mit
einer hochreichend nördlichen Strömung gelangte eisige Polarluft mit
850 hPa Temperaturwerten von unter -20 Grad in den Bereich der Großen
Seen. Dank des verstärkten vertikalen Temperaturgradienten über dem
warmen Wasser war die Grundlage gegeben für kräftige Konvektion.

Zoomen wir näher heran und schauen uns den Wind und die Verteilung
der 2m Temperatur an. Zu sehen ist, dass eisiger Nordwestwind mit 2m
Temperaturwerten von -13 bis -20 Grad auf den Michigansee traf. Diese
nordwestliche Strömung wurde durch die allgemeine Druckverteilung
angetrieben (hoher Druck im Westen/Südwesten, tiefer im Osten). Doch
wieso kam der Wind an der Ostseite des Lake Michigan eher aus
nördlicher bis nordöstlicher Richtung? Zur Begründung kann man die
Aktivität des klassischen Land-Seewindsystems heranziehen. Dem
eisigen Festland mit hohem Bodendruck stand die warme
Wasseroberfläche des Sees gegenüber, der vergleichsweise niedrigeren
Druck aufwies. Die entstandene Zirkulation von hohem Druck zum
niedrigen kämpfte sich von Osten gegen die nordwestliche
Hintergrundströmung sukzessive nach Westen voran und somit in
Richtung der Mitte des Sees, wo sich eine ausgeprägte Nord-Süd
ausgerichtete Bodenkonvergenz etablieren konnte.
Das Resultat ist im folgenden Loop wunderschön zu erkennen: eine
konvektiv geprägte „Schlange“, die sich über dem Lake Michigan
stundenlang herum schlängelte und den südöstlichen Küstenabschnitten
regional reichlich Neuschnee brachte.

Neben dieser unglaublichen Ästhetik stellt sich natürlich auch die
Frage, was grundsätzlich diese Wellenbewegung innerhalb des
konvektiven Bandes antreibt? Grund hierfür ist u.a. eine sogenannte
„horizontale Scherungsinstabilität“. Auf der Westseite des Bandes
treffen kräftige nordwestliche Wind (angetrieben durch die
großräumige Verteilung des Luftdrucks, aber auch durch den in
dieselbe Richtung gerichteten Ast der Land-Seewindzirkulation) auf
deutlich abgeschwächte Winde aus Nordost, wo die
Land-Seewindzirkulation gegen die nordwestliche Hintergrundströmung
arbeiten muss, mit entsprechend schwächeren Bodenwinden. Entlang
dieses Geschwindigkeitsgradienten können sich dann wie am Fließband
kleine Wirbel bilden, sogenannte „mesovortices“, die je nach
Intensität und Dauer solch eine verwellte Struktur hervorrufen. Wie
so oft bedarf es einer exakten Mischung aus Scherung und
Instabilität, damit das Band nicht komplett aufbricht, oder sich
dominante Wirbel entwickeln, sondern dass es sich wie in diesem Fall
in schlängelnden Bewegungen über den See bewegt. Die Verfolgung
dieser Wirbel im Radar ist wichtig, denn bei Auftreffen an Land
wurden bei früheren Messkampagnen bei deren Passage teils schwere
Sturmböen beobachtet, die bei den fallenden Schneemengen temporär
erhebliche Sichteinschränkungen inkl. Verwehungen zur Folge haben.

Doch wie sehen solche Wirbel im Radar aus? Im Bild 4a) bis c) stehen
den Reflektivitätsbildern die entsprechenden Geschwindigkeitsdaten
gegenüber, die man im Radar betrachten kann. Bei den
Reflektivitätsdaten bedeutet ein Übergang der Färbung von grün zu
gelb eine zunehmende Intensität des Niederschlags. Bei den
Geschwindigkeitsdaten sagt uns die grüne Farbe, dass sich der Wind
auf das Radar zu bewegt, rote Farben vom Radar weg. In den gelb
eingekreisten Bereichen sind exemplarisch einige der Wirbel
hervorgehoben.
Was waren die Auswirkungen dieses Bandes? Michigan City in Indiana
vermeldete eine 24-std. Neuschneemenge von über 50 cm und insgesamt
an beiden Tagen fast 90 cm der weißen Pracht – schier unglaubliche
Mengen.

Beachtlich war bei diesem Ereignis, dass dieses Band innerhalb der
Numerik zeitlich und regional nahezu perfekt abgebildet wurde. Als
Beispiel hier eine 6-std. Vorhersage des High-Resolution Rapid
Refresh Modells (HRRR), mit einer Auflösung von 3km. In Bild 5a)
erkennt man die horizontal ausgeprägte Windscherung im Umfeld des
Bandes, in b) die innerhalb der Numerik gezeigte Wirbelhaftigkeit der
Strömung (ein Hinweis für das Auftreten von mesovortices) sowie in c)
die zu erwartende Reflektivität, die letztendlich genauso eintrat.
Eine wirklich beeindruckende Leistung.

Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.02.2024

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