Thema des Tages

Wissenschaft kompakt
Vom Winde verweht

Mit der Literaturverfilmung aus dem Jahr 1939 hat das heutige Thema
des Tages nun nichts zu tun. Eher richtet sich der Blick auf die
fortwährende Veränderung der Schneeoberfläche. Schauen wir uns heute
einmal näher an, wie diese mit der Zeit ge-/verformt wird.

Und wieder einmal ging in vielen Regionen Deutschlands das
Weihnachtsfest bzw. der Jahreswechsel schneearm über die Bühne. Der
Winter hat aber noch genügend Zeit, um seine Krallen erneut
auszufahren, hat er doch im Dezember z.B. im Süden Deutschlands
gezeigt, zu was er fähig sein kann. Doch es braucht keine
Schneemassen, um z.B. den Autofahrern die Sorgenfalten ins Gesicht zu
treiben. Neben der beinahe alltäglichen, in deren Dimension jedoch
sehr unterschiedlich ausfallenden Glätteproblematik stehen
Verwehungen ebenfalls weit oben auf der Liste der störenden
winterlichen Faktoren. Diese können bereits bei einer geringen
Schneehöhe und beständigem Wind auftreten.
Dabei betrifft das nicht nur die Autofahrer, sondern bei
entsprechender Dimension auch Hausbesitzer, die verzweifelt versuchen
die gesetzlich vorgeschriebene Räumungsmission z.B. ihrer Gehwege
erfolgreich zu bewältigen, wenn sich hohe Schneeverwehungen vor Ihnen
auftürmen, die mit der Zeit die Tendenz haben, immer fester zu
werden.

Ach ja, unter dem Begriff „Schneeverwehung“ ist nicht die seitliche
Verfrachtung des Schnees durch den Winterdienst gemeint, die nicht
selten zielgerecht auf den Gehwegen landet. Auch können Schweißperlen
auf der Stirn von Statikern erscheinen, deren Gebäude sehr
ungleichmäßig von mächtigen Verwehungen beeinflusst werden. Den
Einwand, dass dies bevorzugt Themen für das Bergland sind kann man
zwar einwerfen, sollte sich dann aber z.B. das Ereignis Anfang
Februar 2021 über der nördlichen und östlichen Mitte Deutschlands
nochmal in Erinnerung rufen, wo es auch im Tiefland beachtliche
Neuschneemengen gab. Auch aktuell treten in Teilen Dänemarks und
Südnorwegens erhebliche Schneemassen auf.

Doch nicht genug, dass sich Schnee anhäuft, nein, er hat auch die
Eigenschaft bei entsprechend kalten Temperaturwerten aufgewirbelt zu
werden, was zu teils erheblichen Sichteinschränkungen führen kann
(englisch „blowing snow“).

Doch wie wird der Schnee überhaupt verfrachtet?

Der Hauptinitiator dafür ist natürlich der Wind, doch im Grunde muss
die gesamte Schneephysik mit einbezogen werden, um über die
„Verfrachtungsfreude“ des Schnees Auskunft geben zu können. Handelt
es sich um frischen, „puderzuckerweichen“ Neuschnee mit einer Dichte
von 50 bis 70 Kilogramm pro Kubikmeter, oder aber um einen sehr
feuchten Nassschnee mit einer Dichte irgendwo zwischen 300 und 400
Kilogramm pro Kubikmeter? Frisch gefallener Schnee kann bereits ab
einer Windgeschwindigkeit von 20 km/h (Bft 3 bis 4) bewegt werden,
während derselbe Schnee mit einer gefrorenen Kruste erst bei
Sturmböen von über 85 km/h (Bft 9) erodiert. Und es geht noch weiter
mit den Fragen. Handelt es sich um älteren Schnee, frisch gefallenen
Neuschnee, wie sieht das vertikale Temperaturprofil der Schneedecke
aus, wie ist die Luftfeuchte bzw. die Windgeschwindigkeit beim Fallen
des Schnees gewesen, wie entwickelten sich Temperatur und Taupunkt
seit dem Schneefallereignis und so weiter und so fort.

Diese unvollständige Aufzählung zeigt einige der Punkte, die
entscheiden, ab wann die kritische Windgeschwindigkeit erreicht wird,
um den Schnee anzuheben. Bei entsprechend starken Winden kann auch
eine verkrustete und gesetzte Schneeoberfläche regelrecht abgerieben
werden mit dem Ergebnis, dass auf einmal Verwehungen eintreten. Wenn
es darum geht die Entwicklung von Schneeverwehungen zu verhindern,
dann müssen auch klimatologisches bzw. Lokalwissen z.B. der
bevorzugten Windrichtung oder z.B. lokaler orografischer
Verstärkungseffekte des Windes mit einfließen.

Es beginnt alles mit dem sogenannten „Rollen, Kriechen, englisch
creep“ und das bei Windgeschwindigkeiten im soliden Bft 4 bis 5
Bereich (20 bis knapp 40 km/h). Die oben aufliegenden Kristalle (oder
nennen wir sie lieber allgemein „Schneepartikel“, da sie beim Rollen
über den Boden ihre Statik und Aussehen rasch durch Abbruch etc.
verändern) beginnen sich zu bewegen. Auch wenn sie bei solchen
Windgeschwindigkeiten grundsätzlich nicht weit kommen, so macht es
hier die Dauer des Windereignissen aus, sodass permanent
Schneepartikel freigesetzt werden. Kleinste Hindernisse können hier
zur Bildung von Verwehungen gut sein, wie z.B. der eigene Fußabdruck
im Schnee, der bereits ein ausreichendes Hindernis darstellt. Die
Höhe des aufgewirbelten Schnees ist mit rund 1 cm für den
Straßenverkehr vernachlässigbar. Ein Beispiel dieses Vorgangs kann im
Bild 2 bestaunt werden, wenngleich der Übergang der
Verfrachtungsschritte fließend ist und somit eine klare Trennung
nicht selten schwer möglich ist.

Der nächste Schritt der Verfrachtung beginnt im Übergangsbereich von
Bft 5 zu Bft 6 (30 bis 50 km/h) und fand unter dem Namen „englisch
saltation“ Eintrag in die meteorologische Enzyklopädie. Bei diesen
Windgeschwindigkeiten beginnt der Wind zunehmend auch unter die
Kristalle zu greifen bzw. diese anzuheben, sodass diese nun beginnen
zu schweben. Dabei legen sie den Wind- und Gravitationskräften
folgend deutlich weitere Strecken zurück, wenngleich letztendlich die
Gravitationskraft noch überwiegt und somit die Trajektorien immer zur
Erdoberfläche zeigen (sie hüpfen). Dieser Prozess sorgt für eine
Verfrachtungshöhe von bis zu 1 m über Grund mit einer entsprechenden
horizontalen Verlagerung. Wenn die Partikel wieder auf die
Schneeoberfläche auftreffen, werden zusätzliche Partikel freigesetzt:
es findet also somit eine Vervielfachung der Partikel statt. Die
Sichteinschränkung fällt je nach Flughöhe meist nur gering aus,
dennoch können die Konturen z.B. der Straße teils verschwinden.

Zuletzt setzt bei Windgeschwindigkeiten ab Bft 7 (ab 50 km/h) die
sogenannte „Suspension oder turbulente Diffusion“ ein, die auch
verantwortlich für das „blowing snow“ Kriterium ist. Dieses Kriterium
lautet bei der National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA:
Anheben des Schnees auf mindestens 1.8 m über Grund. Die nun
zunehmend turbulente Strömung hebt die Partikel in die Luft, zumeist
bis rund 2 m über Grund, wobei proportional die größte
Schneeverfrachtung bis 1 m über Grund beobachtet wird.
Wenn nun die Strömung z.B. hinter Hindernissen abreißt, kann es zu
einer verstärkten Ablagerung der Partikel und somit zur Bildung von
Schneeverwehungen kommen. Fragen Sie sich doch das nächste Mal bei
der Sichtung einer Verwehung in der Nähe eines Hindernisses, woher
der Wind herkommen musste, um diese Verwehung zu formen.
Bei solchen Bedingungen möchte man sich nicht mehr auf einer
abgeschiedenen Landstraße aufhalten, denn die Sichteinschränkungen
können erheblich sein, wie in der folgenden Bildcollage zu erkennen
ist.
Neben der Bildung von Schneeverwehungen sorgt der aufgewirbelte
Schnee auch für erhebliche Sichteinschränkungen, was u.a. daran
liegt, dass der Wind während eines Ereignisses in der Grenzschicht
stark variiert (bei Messungen mit Werten von 30 bis 50% des
Mittelwindes festgelegt). Das bedeutet bei einem Wind von 60 km/h mit
einer Variabilität von 40% eine Sichtschwankung zwischen 16 m und
1100m. Dies zeigt, wie gefährlich so eine Situation werden kann und
man immer wieder mehr oder weniger orientierungslos der Naturgewalt
ausgesetzt ist.

Ob nervig oder schön zu beobachten, ohne Schnee klappt es nicht. Doch
lange muss man nun nicht darauf warten. Bereits heute fällt im Norden
und am Wochenende auch im Süden mehr oder weniger Schnee, sodass man
wenigstens dort den Wandel der Schneedecke beobachten kann.

(Die Bilder zum heutigen Thema des Tages finden Sie wie immer im
Internet unter www.dwd.de/tagesthema.)

Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.01.2024

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