Thema des Tages


Wissenschaft kompakt
Knapp Zwanzig Zentimeter


Am 24. Juli 2023, nur fünf Tage nachdem Großhagelereignis mit 16 
Zentimetern, wurde der Europarekord erneut übertroffen. In 
Norditalien schlug nämlich ein 19 Zentimeter großes Hagelkorn ein. 


Hagelschlag kann enorme Schäden verursachen. Besonders großer oder 
extrem großer Hagel hat vor allem in Verbindung mit Wind erhebliches 
Zerstörungspotential. Davor schützen kann man sich kaum. Da die 
Hagelereignisse sehr kleinräumig auftreten, ist eine frühzeitige 
Vorhersage nahezu unmöglich. Man kann lediglich das Potential für 
(großkörnigen) Hagel abschätzen. Ob es einen dann trifft oder nicht, 
lässt sich erst sagen, wenn das Ereignis schon kurz bevor steht.
 
Ein Hagelkorn entsteht, wenn sich um ein bereits vorhandenes 
Eisteilchen andere kleine Eispartikel zusammenwachsen. Das Hagelkorn 
ist dann weißlich, milchig und weißt Lufteinschlüsse vor. Teilweise 
frieren aber auch unterkühlte Wassertröpfchen langsam an. Diese 
Eisschichten sind dann durchsichtig. (Hagel und seine Entstehung 
siehe Thema des Tages vom 28.08.2020). Man unterteilt Eiskörner auch 
nach ihrer Größe. Kleine Eiskörner mit einem Durchmesser zwischen 2 
und 5 Millimetern werden als Graupel bezeichnet. Erst wenn die 
Eiskörner größer werden spricht man von Hagel. Große Hagelkörner 
bewegen sich dabei in einer Größenordnung zwischen 2 und 5 
Zentimetern. Ab 5 Zentimetern spricht man dann von sehr großem Hagel.
Aber es geht auch noch eine Nummer größer. Ab einem Durchmesser von 
10 Zentimetern beginnt der extrem große Hagel. Solch extrem großen 
Hagelkörner sind auch extrem selten. Doch am vergangenen Montag, den 
24. Juli 2023 fiel in Azzano Decimo, einer Gemeinde etwa 70 km 
nordöstlich von Venedig, ein 19 Zentimeter großer Eisklotz vom 
Himmel. Wie können solche Riesen unter den Hagelkörnern entstehen?

Um großen Hagel produzieren zu können, müssen verschiedene 
Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen braucht man ein Gewitter mit 
starkem Aufwind. Umso energiereicher ein Gewitter ist, umso stärker 
können die Aufwinde innerhalb des Gewitters ausfallen. Der Aufwind 
ist nötig, damit das Hagelkorn lange genug im Gewitter gehalten 
werden kann, ohne dass es einfach der Schwerkraft folgend zu Boden 
fällt. Die zur Verfügung stehende potentielle Energie (Convective 
available potential energy) wird in der Meteorologie kurz als CAPE 
bezeichnet. Aus dem CAPE-Wert lässt sich durch eine empirische Formel
die maximale Aufwindgeschwindigkeit in einer Gewitterzelle berechnen.
Diese maximale Vertikalgeschwindigkeit wird in der Realität nie 
erreicht, da es in einem Gewitter zu Reibungsverlusten und 
Turbulenzen kommt, wo sich Auf- und Abwinde gegenseitig behindern. 
Für die Entstehung von extrem großen Hagel sind also sehr 
energiereiche Superzellen notwendig. Eine Superzelle ist eine 
rotierende Gewitterzelle (siehe Thema des Tages vom 28.07.2023). 
Durch die Rotation werden Auf- und Abwinde voneinander getrennt und 
die Energie des Gewitters kann effektiver für 
Aufwindgeschwindigkeiten genutzt werden. 
Um ein Hagelkorn zum Wachsen zu bringen benötigt man ebenfalls einen 
hohen Wassergehalt in der Gewitterzelle. Der effektivste 
Temperaturbereich zur Bildung und Vergrößerung von Hagelkörnern ist 
um minus 20 Grad. In diesem Bereich befinden sich in der Wolke sowohl
unterkühltes Wasser als auch Eispartikel. Bei niedrigeren 
Temperaturen gibt es kaum noch Flüssigwasser in der Atmosphäre. In 
Verbindung mit starken Aufwinden kann aber auch ein hoher 
Wasserdampfgehalt in unteren Schichten zu einem erhöhten 
Wasserdargebot im Hagelwachstumsbereich führen. Bei hohen 
Feuchtigkeitswerten in unteren Luftschichten hat also das Hagelkorn, 
dass sich im Aufwind befindet, immer genug Nachschub an Feuchtigkeit.


Ein weiterer Aspekt ist die Verweildauer der Hagelkörner in der 
Atmosphäre. Die Lebensdauer von Superzellen ist sehr lange und kann 
mehrere Stunden betragen. Damit hat das Hagelkorn viel Zeit für 
seinen Wachstumsprozess. Ideale Voraussetzungen zur Bildung von 
extrem großen Hagelkörnern sind also sehr hochreichende, 
energiereiche Superzellen in einer feuchten Atmosphäre.

Diese idealen Voraussetzungen zur Bildung von extrem großen 
Hagelkörnern treten in den letzten Jahren immer häufiger in 
Norditalien auf. In den letzten Wochen gab es dort einige 
Großhagelereignisse. Aber nicht nur in Norditalien, sondern auch in 
Deutschland treten immer wieder Gewitter mit großen Hagelkörner auf. 
Vor allem Süddeutschland ist davon betroffen.

Bei dem Rekordereignis letzte Woche in Italien hat sich die 
Wetterlage wie folgt dargestellt: In der Höhenströmung schwenkte ein 
Kurzwellentrog über den nordwestlichen Mittelmeerraum hinweg. 
Trogvorderseitig herrschte eine heiße und auch feuchte Luftmasse über
dem nördlichen Mittelmeerraum vor. In Norditalien herrschten 
Höchstwerte von 30 Grad und Taupunkte über 20 Grad vor. Von der 
adriatischen Küste sorgt ein schwacher Südwind für weitere Zufuhr von
feuchter Luft in den bodennahen Schichten. Durch den herannahenden 
Trog nahm die hochreichende Windscherung im Tagesverlauf zu. Ab dem 
Nachmittag sahen die Wettervorhersage bereits erste 
Superzellenentwicklungen über den Alpen vor. Über Norditalien war die
Luftmasse sehr labil geschichtet die CAPE-Werte lagen laut den 
Modellprognosen zwischen 2000 und 4000 J/kg. Der Radiosondenaufstieg 
von S. Pietro etwa 150 km südwestlich von Azzano Decimo am 25. Juli 
2023 um 00 UTC zeigt die sehr energiereiche Luftmasse in der Region 
(siehe Abbildung 3). Ein Gewitter, bildete sich bereits am Abend an 
den Alpen nordwestlich von Mailand. In der ersten Nachthälfte 
intensivierte es sich dann über Venetien deutlich. Im 
Niederschlagsradar war ein hakenförmiges Echo zu erkennen. Eine 
Charakteristik des Radarbildes, das eindeutig auf Superzellen 
hindeutet. Gegen 23 Uhr MESZ traf die Superzelle dann Azzano Decimo.

Ob es in Zukunft noch größeren Hagel geben wird, oder ob solche 
Ereignisse öfter auftreten werden, ist nicht eindeutig zu sagen. Auch
ein eindeutiger Trend der letzten Jahrzehnte lässt sich nur mit 
äußerster Vorsicht ableiten. Es gibt nämlich keine homogenen 
Messreihen für Hagel. Da dieser nur sehr lokal auftritt ist es eher 
unwahrscheinlich, dass meteorologische Instrumente den Hagel direkt 
messen. Vielmehr ist man auf Augenbeobachtungen durch 
Hobbymeteorologen oder anderen Privatpersonen angewiesen, die den 
Hagel fotografieren und melden. Während der Smartphone-Generation 
wurden also viel mehr Hagelereignisse gemeldet, als dass noch vor 30 
Jahren der Fall war. Aufgrund der prognostizierten höheren 
Temperaturen und damit höheren Luftfeuchtigkeit in der unteren 
Troposphäre steigt jedoch in den kommenden Jahrzehnten das Potential 
zur Gewitterbildung und auch das Potential für schwere Gewitter. 
Der aktuelle Deutschlandrekord der Hagelkorngröße liegt übrigens bei 
14,1 Zentimetern. Gefunden wurde das Hagelkorn am 06.08.2013 in 
Undingen (Reutlingen) in Baden-Württemberg.



MSc Sonja Stöckle 
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 30.07.2023

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