Thema des Tages
Wetter aktuell
Vom Schmelzen im Norden und Gefrieren im Süden
In der Arktis verlief der saisonale Rückgang der Meereisausdehnung
über weite Strecken im Mai moderat, bevor er sich in den letzten
Maitagen und Anfang Juni beschleunigte. In der Antarktis entwickelt
sich hingegen die Gefriersaison nur zögerlich und die
Meereisbedeckung bleibt unter den bisherigen Tiefstständen für diese
Jahreszeit.
Anfang März erreichte die Meereisbedeckung im arktischen Ozean ihr
saisonales Maximum (siehe Thema des Tages vom 03.04.2023). Mit dem
Übergang zum Polartag geht es dem Meereis daher nun schon seit rund
drei Monaten an den Kragen. In den Monaten April und Mai lag die
Geschwindigkeit des Meereisverlustes insgesamt über weite Strecken
unter dem langjährigen Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010.
Ursächlich für den verzögerten Rückgang lag an in weiten Teilen des
Arktischen Ozeans durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen
Temperaturen, die in Verbindung mit im Mittel tiefem Luftdruck in der
zentralen Arktis und über Grönland standen. Ausnahmen bildeten die
Barents- und Karasee (eurasischer Sektor), die Beaufortsee sowie die
Hudson Bay (amerikanischer Sektor), wo die Temperaturen durch die
Zufuhr warmer Luftmassen aus südlichen Richtungen deutlich über dem
Durchschnitt landeten.
In der letzten Maiwoche nahm der Eisverlust generell im Arktischen
Ozean deutlich zu. Insgesamt betrug die durchschnittliche arktische
Meereisausdehnung im Mai 2023 nach Auswertungen des Meereisportales
sowie des National Snow and Ice Data Center (NSIDC) rund 12,8 Mio.
Quadratkilometer. Laut dem NSIDC sortiert sich der Mai 2023 anhand
der seit 1979 durchgängigen Satellitenaufzeichnungen damit auf den
dreizehntniedrigsten Rang ein. Im Vergleich zum absoluten Maiminimum
aus dem Jahr 2016 konnte der Mai 2023 mit einer 910.000 Quadratmeter
größeren Meereisausdehnung aufwarten.
Dennoch weist auch der Monat Mai einen klaren negativen Trend auf.
Der lineare Abwärtstrend der arktischen Meereisausdehnung im Mai
beträgt je nach Datengrundlagen 2,4 (NSIDC) bis 2,8 Prozent
(Meereisportal) pro Jahrzehnt im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre
1981 bis 2010. Demnach hat der Mai seit 1979 etwa 1,42 Millionen
Quadratkilometer Eis eingebüßt, was in etwa der vierfachen Größe
Deutschlands entspricht.
In der ersten Junidekade hat sich der Meereisrückgang naturgemäß
fortgesetzt und die Packeisfläche auf rund 11,32 Mio.
Quadratkilometer verkleinert. Damit rangiert die Flächenausdehnung
weiterhin noch leicht über dem Vorjahreswert (11,08 Mio.
Quadratkilometer am 10.06.2022).
Von der Arktis machen wir nun gedanklich einen weiten Sprung in die
Antarktis. Nach dem absoluten Rekordminimum der antarktischen
Eisausdehnung im Februar 2023 (siehe dazu Thema des Tages vom
30.03.2023) hat sich das Meereis auch in den Herbstmonaten auf der
Südhemisphäre (März bis Mai) nur langsam gebildet. Aktuell nimmt die
Packeisausdehnung eine Fläche von nur 10,8 Mio. Quadratkilometer ein
und liegt damit noch deutlich unter dem Rekordminimum von 2022.
Insbesondere in der Bellingshausensee an der Westseite der
antarktischen Halbinsel hat sich, für diese Jahreszeit untypisch,
kaum Meereis gebildet. Auch im Weddelmeer sowie über weite Bereiche
der ostantarktischen Küste fiel die Packeisbildung im Vergleich zu
den Vorjahren und zum Langzeitmittel deutlich geringer aus. Diese
Entwicklung steht vermutlich überwiegend im Zusammenhang mit einem
ausgeprägten Tiefdruckkomplex, der sich im Mai westlich der
Antarktischen Halbinsel in der Amundsen- und Bellingshausensee
etabliert hat. Mit dem zyklonalen Drehsinn (auf der Südhemisphäre im
Uhrzeigersinn) wurde sich bildendes Meereis weg vom Kontinent auf den
offenen Ozean getrieben. Zugleich wurden mit dem Tief wärmere
Luftmassen aus nördlichen bis nordöstlichen Richtungen in die Region
gesteuert, die die Eisbildung zusätzlich hemmten. Nur in der
zentralen Amundsensee und Teilen des Rossmeeres lag die Eisausdehnung
bei leicht unterdurchschnittlichen Temperaturen Ende Mai etwas über
dem Durchschnitt der vergangenen Jahre.
Wie sich die antarktische Meereisausdehnung über den Südwinter
entwickeln wird, ist noch nicht abzuschätzen. Neuerliche saisonale
Tiefstwerte können bei der Ausgangssituation jedoch auch nicht
ausgeschlossen werden.
M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.06.2023
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