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Wetter aktuell 

"Immer dieser kalte Ostwind"

Teaser/Kurztext
In den vergangenen Wochen konnte man den Eindruck gewinnen, dass die 
meiste Zeit dieser landläufig als eher unangenehm empfundene Ostwind 
wehte. Lässt sich diese subjektive Empfindung statistisch belegen?


"Schon wieder dieser kalte Ostwind!", so oder so ähnlich wurde es in 
den letzten Wochen häufig kolportiert. Die meisten werden in diesem 
Frühling das Gefühl einfach nicht los, dass an den meisten Tagen ein 
äußerst beständiger, böiger Ostwind weht, der die ohnehin meistens 
nur mäßig warme Luft deutlich kälter erscheinen lässt.

Woher der Wind bei uns weht, hängt von der Verteilung der 
Druckgebilde, also der Hochs und Tiefs ab. Man spricht dabei auch von
einer bestimmten Großwetterlage. Sie ist definiert durch eine 
mittlere Luftdruckverteilung in Meereshöhe und der mittleren 
Troposphäre (bis ca. 10 km Höhe) in einem großen Gebiet und über eine
Dauer von mehreren Tagen. Der Deutsche Wetterdienst klassifiziert die
Großwetterlagen nach dem von Paul Hess und Helmuth Brezowsky 
entwickelten Schema. Dabei wird insgesamt zwischen 29 Großwetterlagen
unterschieden, die wiederum in 7 Großwetterlagentypen und 3 
Zirkulationsformen gruppiert werden. Unabhängig davon spricht man bei
einem Übergang zwischen zwei Wetterlagen von einer 
Übergangswetterlage. Eine vollständige Beschreibung und Liste der 
Großwetterlagen finden Sie im DWD-Wetterlexikon (https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?nn=1033
46&lv2=100932&lv3=101084). 

Der Übersicht halber beschränken wir uns auf die Zirkulationsformen. 
Hier definiert man die sogenannte "zonale", "gemischte" und 
"meridionale" Form. Bei der zonalen Zirkulation befinden wir uns 
zwischen tiefem Luftdruck nördlich von uns und hohem Luftdruck 
südlich von uns in einer mehr oder weniger glatten West-Ost-Strömung.
Es weht also ein Wind aus westlicher Richtung. Bei einer gemischten 
Zirkulation verschieben sich die Druckgebilde soweit, dass der Wind 
eine Nord- oder Südkomponente bekommt (also aus Nordwest oder Südwest
weht) oder sich ein Hoch oder Tief über Mitteleuropa befindet. Die 
meridionale Zirkulation ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte 
Nord- oder Südströmung über Mitteleuropa, je nachdem, ob sich die 
Tiefs westlich oder östlich von uns aufhalten. Aber auch kräftige, 
oft stationäre und im Fachjargon als blockierend bezeichnete 
Hochdruckgebiete über Nord- und Nordosteuropa gehören dazu. Letztere 
sind ein Garant für Winde aus östlichen Richtungen (von Nordost bis 
Südost). Wollen wir also Großwetterlagen mit östlicher Strömung 
identifizieren, müssen wir nach den meridionalen Zirkulationsformen 
schauen. 


Im oberen Diagramm der gezeigten Abbildung wird die über den Zeitraum
von 1881 bis 2008 gemittelte, relative Häufigkeit der 
Zirkulationsformen für die jeweiligen Monate dargestellt. Wir 
erkennen, dass die meridionale Zirkulationsform im Mittel im Frühling
Hochkonjunktur hat. Soweit, so gut. Allerdings fallen nur etwas mehr 
als die Hälfte der Tage im April und Mai auf diese Zirkulation. Der 
Anteil der Ostlagen, der als Linie im Diagramm eingeblendet ist, 
liegt lediglich bei rund 20%. Nur an 2 von 10 Tagen wäre demnach ein 
östlicher Wind zu erwarten. Im unteren Diagramm wird die Verteilung 
der Zirkulationsformen für den Zeitraum von Januar bis Mai 2023 
dargestellt. Nachdem im Januar, Februar und März gemischte 
Zirkulation und zonale Westlagen dominierten, konnten wir im April 
und Mai einen enormen, bezogen auf das Klimamittel äußerst 
ungewöhnlichen Zuwachs an meridionalen Wetterlagen verzeichnen. An 
etwa Dreiviertel der Tage konnte eine meridionale Zirkulationsform 
klassifiziert werden. Noch bemerkenswerter ist allerdings die 
Tatsache, dass es sich im April ausschließlich, im Mai zu einem 
großen Teil um Ostlagen handelte. Eine relative Häufigkeit von 70% 
bedeutet, dass an 7 von 10 Tagen ein Wind aus vorwiegend östlichen 
Richtungen wehte.

Es lässt sich also statistisch belegen, dass wir seit April 
ungewöhnlich oft mit Ostwind zu tun haben. Der subjektive Eindruck 
des unangenehmen Ostwindes ist wohl meistens ein Resultat einer 
kognitiven Dissonanz oder wird zumindest durch diese verstärkt: 
Einerseits sind die mit dem Ostwind herangeführten Luftmassen 
trocken, sodass die Sonne oft von einem stahlblauen Himmel scheint, 
womit optisch der Eindruck eines warmen Sommertages erzeugt wird. 
Andererseits kann mit der östlichen Strömung die im Frühling über 
Osteuropa teilweise noch lagernde Kaltluft angezapft werden, sodass 
ein thermisches Empfinden entsteht, das dem optischen Eindruck sehr 
gegensätzlich sein kann. Erst im Sommer, wenn sich die Landmassen und
damit auch die Luft über Osteuropa stark erwärmt haben, wird der 
Ostwind wärmer und als nicht mehr ganz so unangenehm empfunden.



Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 30.05.2023

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