Thema des Tages


Wissenschaft kompakt

Start der Hurrikansaison mit rekordwarmem Nordatlantik

Tropische Wirbelstürme bilden sich über dem Nordatlantik 
gewöhnlicherweise von Anfang Juni bis Ende November. Kurz vor Start 
der diesjährigen Saison ist das Wasser der betreffenden Region 
rekordwarm. Was dies für die Bildung von Hurrikanen bedeutet und 
wieso El Niño seine ?Finger? im Spiel hat, beleuchtet das heutige 
Thema des Tages.

Seit Anfang März ist das oberflächennahe Wasser des Nordatlantiks 
zwischen dem Äquator und 60 Grad Nord sowie dem Null-Meridian und 80 
Grad West so warm wie nie zuvor seit es Satellitenbeobachtungen 
(Start 1981) gibt. Nun ist es bei fortschreitender Erwärmung des 
Klimas und damit auch der Ozeane nicht überraschend, dass auch der 
Nordatlantik von Zeit zu Zeit neue Rekorde hinsichtlich der 
Temperatur erreicht. Doch die derzeitige Rekordphase ist in zweierlei
Hinsicht außergewöhnlich. Zum einen ist es der Abstand zu den 
vorherigen Rekordhaltern (Abbildung 1). Es sind zwar nur einige 
Zehntel Grad Celsius, doch gemittelt auf solch eine große Fläche ist 
dies enorm. Zum anderen ist es die ungewöhnlich lange Andauer von 
mittlerweile knapp drei Monaten, in der die Temperatur über allen 
bisherigen Jahren liegt. 

Gründe für Erwärmung, Südteil des Atlantiks im Fokus

Neben der allgemeinen Erwärmung der Ozeane durch eine wärmere 
Troposphäre in Folge des Klimawandels hat wahrscheinlich ein sich 
wiederholende Großwetterlage über dem Nordatlantik eine Rolle für die
hohen Temperaturen gespielt. Verschiebung von Hoch- und 
Tiefdruckgebieten führten zu vergleichsweise geringen 
Luftdruckgegensätzen über Teilen des Ozeans. Als Folge schwächten 
sich die beständigen Nordostwinde, auch Passatwinde genannt, über dem
Südteil des Nordatlantiks ab. Geringere Windgeschwindigkeiten führen 
zu einem niedrigeren Seegang und dieser wiederum zu einer schwächeren
Durchmischung des warmen Oberflächenwassers mit dem kälteren 
Tiefenwasser. Die Folge: steigende Meeresoberflächentemperatur. 
Besonders hoch im Vergleich zum Klimamittel sind derzeit die 
Temperaturen des Ost- und Südteils des Nordatlantiks (Abbildung 2). 
Gebietsweise betragen die positiven Abweichungen dort mehr als drei 
Grad Celsius. Von besonderem Interesse ist der Südteil des 
Nordatlantiks. Dort liegt die Hauptentstehungsregion für tropische 
Wirbelstürme. Typischerweise ziehen im Sommer und Herbst 
Gewitterkomplexe vom afrikanischen Kontinent auf den südlichen 
Nordatlantik, wo sie sich bei günstigen Bedingungen auf ihrer Drift 
nach Westen zu tropischen Wirbelstürmen verstärken können. 

Entstehung tropischer Wirbelstürme

Ein entscheidender Parameter für die Bildung und Intensität von 
tropischen Wirbelstürmen ist die Meeresoberflächentemperatur des 
Ozeans. Die derzeit deutlich erhöhten Wassertemperaturen in der 
Hauptentstehungsregion sprechen also zunächst einmal für verbesserte 
Bedingungen für die Bildung dieser Stürme. Doch die Wassertemperatur 
ist nur ein Faktor. Weitere Faktoren sind Stabilität der Troposphäre 
(mehr Hochdruck) und vor allem die Stärke der vertikalen 
Windscherung, also sich in Intensität und Richtung ändernde Winde 
innerhalb der Troposphäre. Konkret: Eine wenig stabile Troposphäre 
und eine nur schwach ausgeprägte vertikale Windscherung sind 
förderlich für die Entstehung tropischer Wirbelstürme. 

El Niño als Gegenspieler und Prognosen

Um die Aktivität der kommenden atlantischen Hurrikansaison abschätzen
zu können, braucht es den Blick zum Pazifik. Dort findet gerade der 
Wechsel von La Niña zu El Niño statt. Großräumig ändern sich dort 
derzeit die Zirkulationsmuster in der Atmosphäre und die 
Meeresoberflächentemperatur des Ozeans. Dies hat auch Auswirkungen 
auf den Nordatlantik. Typischerweise verstärkt sich unter El Niño die
vertikale Windscherung und atmosphärische Stabilität über dem 
Nordatlantik. Dies wäre hinderlich für die Bildung tropischer 
Wirbelstürme. Zum Start der Hurrikansaison gibt es Faktoren, die für 
und gegen eine schwache oder starke Saison sprechen. Eine Prognose 
ist somit besonders schwierig. Verschiedene Institute privater und 
staatlicher Natur versuchen sich Jahr für Jahr an einer Prognose. 
Dieses Jahr gehen die Schätzungen besonders weit auseinander und 
reichen von einer unterdurchschnittlichen bis weit 
überdurchschnittlichen Saison (Abbildung 3). Im langjährigen Schnitt 
sind sieben Hurrikane in einer Saison zu verzeichnen gewesen. Die 
National Oceanic and Atmospheric Adminstration (NOAA) mit ihrem 
National Hurricane Center (NHC) ist verantwortlich für die Warnungen 
vor tropischen Stürmen auf dem Nordatlantik und geht derzeit von 
einer durchschnittlichen Saison aus.
Wie viele Stürme es am Ende auch sein werden, bereits ein einzelner 
Hurrikan, der auf Land trifft, kann prägend für die gesamte Saison 
sein. 

MSc. Met. Thore Hansen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 28.05.2023

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