Thema des Tages


Wissenschaft kompakt
Die Windmessungen über dem Meer

Wie ermittelt man die Windgeschwindigkeit bzw. die Windrichtung über 
den Weltmeeren, wo kaum Messungen vorliegen? Dies wird im heutigen 
Thema des Tages näher beleuchtet.

Die Intensität und Richtung des bodennahen Windes sind in der 
Wettervorhersage sehr wichtig, um z.B. die Position von 
synoptisch-skaligen Fronten wie Kalt- oder Warmfront oder Windfelder 
in außertropischen Zyklonen zu analysieren. Das Wissen der 
Frontenlage spielt z.B. eine große Rolle bei der Vorhersage des 
Niederschlags oder im Sommer bei der Frage, wo sich Gewitter 
bevorzugt entwickeln können. Über Land gibt es zum Messen des Windes 
unzählige Messstationen, die uns stündlich diese Daten melden.

Doch wie sieht es über den Weltmeeren aus, wo nur sporadisch 
Meldungen von Schiffen und Bojen eintrudeln? Gerade hier hat die 
Information über den Wind eine sehr große Bedeutung. Für die großen 
Meeresgebiete gibt es die sogenannte "Windmessungen per 
Scatterometrie". Die Messungen erfolgen durch Satelliten, die grob 
gesagt Messungen von Mikrowellenradaren ähneln und eine 
Windabschätzung in 10 Meter über der Meeresoberfläche liefern, dem 
sogenannten "äquivalenten neutralen Wind", der wiederum vom realen 
Wind mehr oder weniger abweichen kann. Die Abweichung hängt z.B. 
davon ab, wie labil die Grenzschicht aufgebaut ist, wie leicht also 
höhere Windgeschwindigkeiten von oben nach unten gemischt werden 
können.  Da unsere Atmosphäre für Messungen im Mikrowellenbereich 
z.B. mit Blick auf die Bewölkung viel durchlässiger ist, können 
dadurch zuverlässige Abschätzungen des Windes auch in bewölkten 
Regionen vorgenommen werden.
Die Scatterometer umrunden die Erde auf polarumlaufenden Satelliten, 
sodass sie dieselbe Region grob alle 12 Stunden überstreichen. 
Dadurch ergibt sich auch gleich der Nachteil, dass nur eine sehr 
begrenzte Anzahl von Messungen pro Tag zur Verfügung steht, wobei die
Messweite des Satelliten mit jeweils zwei 500km breiten Streifen 
ebenfalls begrenzt ist. Im Nadir (also direkt unter dem Satelliten) 
werden beide Messstreifen zudem von einem rund 670 km breiten blinden
Streifen getrennt, wo also keine Daten ermittelt werden können.

Die Abschätzung der Windgeschwindigkeit erhält man durch die 
Ausprägung der Rückstreuung von der Meeresoberfläche, die bei 
schwachen Windgeschwindigkeiten und geringem bis fehlendem Wellengang
schwächer ausfällt als bei stärkeren Winden und variablen 
Wellenlängen und -amplituden.

Bei der Bestimmung der Windrichtung hingegen muss eine Meereswelle 
aus unterschiedlichen horizontalen Richtungen ermittelt werden. 
Stellt man sich vor, dass ein Satellit normal zu einer Welle 
vorüberzieht, dann weiß der Satellit ja nicht, ob sich die Welle auf 
den Satelliten zu oder von ihm wegbewegt. Daher wird jede Welle dank 
der Vorwärtsbewegung des Satelliten dreimal "abgescannt". Dennoch 
ergeben sich immer wieder Fälle, wo es Unsicherheiten gibt bzw. wo 
man nicht endgültig klären kann, welche Windrichtung nun die richtige
ist. Ein Beispiel folgt weiter unten im Text. 

Nachdem nun die Theorie kurz angerissen wurde, wollen wir uns zwei 
Beispielen zuwenden, die zeigen, wie wertvoll solche Messungen sein 
können.

Der Tehuantepecer

Bei diesem Phänomen handelt es sich um ein sogenanntes "gap wind" 
Ereignis. Dabei wird die Luftmasse durch eine durch die Orografie 
vorgegebene schmale Öffnung gepresst und gewinnt dabei dank des 
Venturi-Effekts an Geschwindigkeit. Allerdings erkennt man in Bild 1 
bereits schön, dass bei solch großräumigen Ereignissen der 
Venturi-Effekt eine untergeordnete Rolle spielt, da die größten 
Windgeschwindigkeiten am Ausgang der Öffnung (und in diesem Fall über
dem Golf von Tehuantepec) auftreten.

Thermische Differenzen quer zum Hindernis sind ebenso erforderlich 
wie die daraus hervorgerufene Druckdifferenz. In diesem Beispiel 
standen in 850 hPa die 10 Grad Isotherme im Norden der 20 Grad 
Isotherme im Süden gegenüber (nicht gezeigt) mit einer temporären 
Druckdifferenz von mehr als 10 hPa. Die durch das Hindernis (hier 
durch den Chivela Pass) strömende kalte Luftmasse verteilt sich 
stromab, verliert ihre Mächtigkeit und mit dem einhergehenden 
hydraulischen Effekt treten hier abseits der Verengung die höchsten 
Windgeschwindigkeiten auf. Am 12. Februar trat dies in klassischer 
Form auf - nichts Ungewöhnliches für die Region und diese Jahreszeit.
Es ist jedoch für den Flug- und Schiffsverkehr von großem Interesse 
die genaue Ausbreitung des Windfeldes über der Meeresoberfläche zu 
kennen, denn der Wind geht mit großer Scherung und Turbulenz einher. 
Auch die Vorhersager von Tropenstürmen z.B. im National Hurrikan 
Zentrum interessieren sich für dieses Windereignis, denn die durch 
den gap wind induzierte Vorticity wirkt sich nicht selten als ein 
Antrieb für die Bildung kleinräumiger Tiefdruckgebiete aus, kann 
jedoch auch die Entwicklung dieser Tiefs temporär durch den Einschub 
trocken-kalter Festlandsluft unterdrücken.


Dass sich die stärksten Windgeschwindigkeiten bei solchen Ereignissen
in der grenzschichtnahen Umgebung entwickeln zeigen die Daten in Bild
2 und 3, wo die stärksten Winde gerade mal 400 bis 800 m über Grund 
auftreten (im Kern noch niedriger). Welche Dimensionen dieses 
Windereignis annehmen kann, zeigen Messungen vom Februar 1974, wo ein
Schiff Winde bis zu 180 km/h und Böen bis zu 216 km/h gemessen hatte.
Keine Frage, dass hier lebensgefährliche Bedingungen herrschen 
können. Die Frage ist nun, inwieweit es zu einem Herabmischen bis zur
Meeresoberfläche kommt und wie weit die stärksten Winde bis aufs 
offene Meere ausgreifen, denn Modellrechnungen sind das Eine, reale 
Messungen das Andere. 


Wie wertvoll die Information der Scatterometrie ist, kann man in Bild
4 erkennen. Der Schwerpunkt dieses Windereignisses ist sehr gut 
auszumachen, wo Winde in Sturmstärke auftraten, mit bodennahen Winden
(10 m über Grund) im Bereich Bft 9 bis 10.  Entsprechender Seegang 
mit Wellenhöhen von mehr als 6 Meter stellt für den Schiffsverkehr 
eine erhebliche Gefahr dar, zumal diese Winde sehr plötzlich 
einsetzen können. Nicht selten werden Anpassungen an die Warnungen 
mit Hilfe dieser Winddaten vorgenommen und auch Änderungen bei der 
Wellenvorhersage sind möglich (Länge des Wirkungsbereichs (fetch), 
Dauer und Intensität des Windes etc.).


Neben diesen wertvollen Daten vom Satelliten helfen manchmal auch die
klassischen Satellitenbilder die Grenzen des Starkwindfeldes visuell 
zu umranden, denn nicht selten bilden sich peripher des Ereignisses 
sogenannte "rope clouds" aus. Die durch den gap Wind aufs Meer 
geführte kalte Luftmasse wirkt wie eine Front, die irgendwann bei 
nachlassendem Wind an Kraft und Dynamik einbüßt (siehe Bild 5).
Solch regionale Windphänomene gibt es unzählige und neben dem 
Lokalwissen helfen diese Winddaten, die Situation besser 
einzuschätzen.
Doch auch bei einem anderen Phänomen sind diese Winddaten sehr 
hilfreich, nämlich bei sich entwickelnden Tropenstürmen. 

Der einem Tropensturm ähnelnde ZORBAS
Als Beispiel schauen wir uns das Tiefdruckgebiet ZORBAS aus dem Jahr 
2018 an, das im Mittelmeer als "Tropensturm-ähnliches System" 
besonders in Griechenland für schwere Verwüstungen sorgte.


Besonders während der Entwicklungsphase ist nicht selten unklar, wie 
kräftig das jeweilige Windfeld in der Nähe des Zentrums entwickelt 
ist, was u.a. auf die noch nicht gut organisierte konvektive Struktur
des Sturmes zurückzuführen ist, die ansonsten als Grad der 
Intensitätseinstufung herangezogen werden könnte (siehe Thema des 
Tages vom 04.02.2023). Nicht selten resultiert aus dem umgebenden 
Druckfeld ein regionales Starkwindfeld, das auch nur selten genau zu 
der Zeit von Schiffen durchquert wird, die wertvolle Daten liefern 
könnten.

So geschehen auch bei ZORBAS, bei dem am 27.10.2018 ein glücklicher 
Überflug des Satelliten wertvolle Daten lieferte und nordöstlich vom 
Zentrum Ostwinde in Sturmstärke andeutete (Bild 6b, wobei die lila 
Färbung Winde in Sturmstärke zeigt). Diese Information deutete zwar 
einen stürmischen Nordostquadranten an, doch gleichzeitig war aber 
auch ein Bereich mit geringen Windgeschwindigkeiten im 
Südostquadranten auszumachen. Diese stark asymmetrische Verteilung 
des Windes unterstütze die Vermutung, dass ZORBAS zu dem Zeitpunkt 
noch einem außertropischen Tief entsprach, da das Windmaximum 
asymmetrisch und abseits des Zentrum zu finden war. In der Folge 
sollte sich ZORBAS dann zu einem subtropischen Tief entwickeln und 
gleichzeitig ein recht symmetrisches Windfeld aufbauen. Leider lagen 
am Folgetag keine Daten vom Satelliten vor (Bild 6 c)), was ein nicht
unübliches Problem bei der Verwendung dieser Daten darstellt. 
Allerdings konnte man im sichtbaren Kanal (VIS) des Satelliten 
bereits eine gute Organisation des Tiefdruckgebietes ausmachen (Bild 
6a)).


In Bild 7 werden nun noch zum Abschluss die Unsicherheiten dieser 
Messmethode gezeigt. Die jeweilige Farbe stellt die 
Windgeschwindigkeit dar und die Ausrichtung der Pfeile die 
Windrichtung (von woher der Wind weht). Schauen wir auf den Bereich 
mit den höchsten Windgeschwindigkeiten, dann ergibt sich nordöstlich 
des Zentrums mit lila eingefärbten Winden eine Windrichtung entweder 
aus Ost-Nordost oder West-Südwest. Verknüpft man dieses Wissen mit 
der Synoptik, dann kann man hier jedoch rasch die östliche Komponente
als die Richtige herauslesen. Schwieriger wird es z.B. vor der 
Südküste der Türkei, wo teils vier Richtungsoptionen angeboten 
werden. Hier muss man auf jeden Fall lokales Wissen und eine gute 
Übersicht über das aktuelle Wetter mitbringen, um endgültige Aussagen
treffen zu können.
Anhand dieser beiden Beispiele wird ersichtlich, wie wichtig diese 
Daten in der Wettervorhersage sind und zwar in verschiedensten 
Bereichen der Vorhersage - von lokalen Windsystemen über die 
Verteilung von Windmaxima in außertropischen Zyklonen bis hin zur 
Vorhersage der gefährlichen tropischen Stürme. Auch wenn nur zeitlich
und räumlich begrenzt Daten geliefert werden, so ist der Mehrwert ein
bedeutender und in der heutigen Wettervorhersage nicht mehr 
wegzudenken.


Dipl.-Met. Helge Tuschy 
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 05.03.2023

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