Thema des Tages
Wissenschaft kompakt
Die Auswirkungen der Stratosphärenerwärmung
Um den 16.02.23 fand ein Major-Warming in der mittleren und oberen
polaren Stratosphäre statt. Nun kommt die Zeit, wo Auswirkungen für
Nord- und Mitteleuropa spürbar werden.
Laut amerikanischem und japanischem Wetterdienst wurde um den
16.Februar 2023 ein so genanntes Major-Warming (SSW) in der mittleren
und oberen polaren Stratosphäre registriert. Die meteorologische
Definition beschreibt hierbei neben einem starken Temperaturanstieg
(über 25 Grad in wenigen Tagen) in der oberen und mittleren
Stratosphäre über dem Nordpol auch eine vollständige Windumkehr, d.h.
der hier normal vorherrschende westliche Wind im Einflussbereich des
Stratosphärischen Polarwirbels (SPV)im Nordhemisphärischen Winter
(zonal gemittelt, hier auf einem Breitengrad von 60 Grad Nord
zirkumpolar) reversiert in 10 hPa (in etwa 31 km Höhe) komplett auf
Ostwinde.
Hintergrund der Definition für ein Major-SSW ist eine markante (und
möglichst nachhaltige) Schwächung des stratosphärischen Polarwirbels
(SPV), die in der Regel zeitlich und räumlich versetzt auch eine
großräumige Veränderung troposphärischer Zirkulationsmuster nach sich
zieht (bevorzugt im Nordatlantisch-Europäischen Raum).
Nach einem Major-SSW setzt sich die Störung (Erwärmung und Ostwinde,
also Temperatur und Geopotenzial) mit der Zeit dynamisch von der
oberen und mittleren bis in die untere Stratosphäre, schließlich bis
in die Troposphäre durch (kanonisch mit der Folge hohen Luftdrucks
bzw. entsprechend hohen Geopotenzials in 500 hPa im Arktisumfeld,
z.B. Grönland-Blocking, oft als synoptische Entwicklung, ausgehend
vom Skandinavien- oder Ostatlantik-Blocking in hohen Breiten).
Damit einher geht oft (statistisch gesehen in knapp 70 Prozent der
markanten Stratosphärenerwärmungen) ein deutlich negativer Index der
Arktischen und Nordatlantischen Oszillation (AO bzw. NAO, siehe Link
Wetterlexikon:
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/lexikon_node.html), wobei dann
bei vermehrt meridionalen Strömungsmustern arktische Luftmassen weit
nach Süden vordringen können (z.B. über Nord- nach Mittel- und
Westeuropa, mitunter auch zeitlich und räumlich versetzt über Teilen
Osteuropas).
Im Thema des Tages vom 09.02.2023 wurde bereits ausführlich über das
zu dieser Zeit noch bevorstehende Ereignis berichtet
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2023/2/9.html). Dort
wurde auch darauf verwiesen, dass in der Regel einige Zeit vergehen
muss, bis sich die polare stratosphärische Störung auch in der
Troposphäre bemerkbar macht.
Nun, der spätwinterliche arktische Kaltlufteinbruch am kommenden
Wochenende (25./26.02.23) kann in der Tat mit der markanten
Stratosphärenerwärmung vom 16.02.23 in Verbindung gebracht werden,
wobei vor allem der NAO-Index von neutral bis leicht negativ
prognostiziert wird, d.h. auch die troposphärische Zirkulation der
mittleren und hohen Breiten wirkt zunehmend gestört (https://www.cpc.ncep.noaa.gov/products/precip/CWlink/pna/nao.gefs.sp
rd2.png). Die entsprechende synoptische Konstellation dafür am
kommenden Wochenende (25./26.02.23) ist ein blockierendes
Hochdruckgebiet über dem nördlichen Ostatlantik, demgegenüber
herrscht tiefer Luftdruck über Nordosteuropa. So können arktische
Luftmassen in einer nördlichen Strömung relativ ungehindert über
Skandinavien bis nach Mitteleuropa vordringen.
Interessant erscheint derweil eine weitere und von den Globalmodellen
(EZMWF, GFS) mittlerweile konsistent simulierte markante Störung des
Stratosphärischen Polarwirbels (SPV) am Ende des Monats (Februar).
Dadurch ergibt sich nach dem Minor-Warming von 26.Januar 2023 (siehe
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2023/2/9.html)und dem
Major-Warming vom 16. Februar 2023 eine doch recht nachhaltige
Störung des SPV, die im weiteren Verlauf zu länger andauernden
Störungen der großräumigen troposphärischen Strömungsmuster im
atlantisch-europäischen Raum führen könnte (im Monat März). Die Rede
ist von einem Zeitraum von bis zu zwei Monaten nach dem Major-SSW,
häufig aber zumindest von zwei bis vier, manchmal auch sechs Wochen.
Aktuell ist diese neuerliche markante Störung in der mittleren und
oberen polaren Stratosphäre mit einem weiteren Abfall des NAO-,
später auch des AO-Indexes in der ersten und zweiten Märzwoche
verbunden. Die Ensemble-Member bzw. gruppierten Cluster des
EZMWF-Modells zeigen im aktuellen Lauf (23.02.2023, 0 UTC) ähnliche
synoptische Muster als troposphärische Reaktion (wie weiter oben
beschrieben) für diesen Zeitraum.
Interessant sieht in diesem Zusammenhang auch die Ensemble-Prognose
des EZMWF-Modells für die erweiterte Mittelfrist (Woche vom
06.-13.03.2023) bezüglich der mittleren wöchentlichen Abweichung der
2m-Temperatur aus, siehe Grafik unten. Hier ist eine teils deutlich
negative Anomalie dieses Parameters für Bereiche des östlichen
Nordatlantiks, Skandinaviens, Nordwest-Russlands sowie Mittel- und
Westeuropas zu erkennen.
Mittlere wöchentliche 2m Temperatur-Anomalie, Prognose des EZMWF-ENS
für 06.-13.03.23
Eine spannende Entwicklung der mittel- und langfristigen
Wettervorhersagen scheint vorprogrammiert, auch als Evaluierung der
Auswirkungen dieser markanten Schwächung (-en) des SPV in diesem
Spätwinter sowie im ersten meteorologischen Frühjahrsmonat März.
Gerade die Auswirkungen eines Major-SSW über die Mittelfrist hinaus
bis in den subsaisonalen Bereich machen meteorologische Forschungen
und Anwendungen im Bereich der Stratosphäre so schmackhaft für die
Wettervorhersage.
Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.02.2023
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