Thema des Tages


Wissenschaft kompakt
Ein Nachmittag im November


Die Meteorologie lässt einen nie so richtig los. Lesen Sie heute, was
man bei einem Aufenthalt im Freien so alles erleben kann.


Es ist Anfang November und man darf nach dem außergewöhnlich warmen 
Oktober auch weiterhin sehr milde Novembertage genießen bzw. sich 
über diese Novemberwärme wundern. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass 
sich zwischen den hektischen Alltagsplanungen am Nachmittag noch ein 
bisschen Zeit an der frischen Luft ausging. Es war Samstag, der 5. 
November, ein freundlicher und mit Höchstwerten von 9 bis 12 Grad 
über der Mitte und dem Norden Deutschlands erneut ein angenehm milder
Herbsttag.


Der erste Blickfang beim Verlassen des Hauses waren unzählige 
wellenförmige Wolkenerscheinungen, die den Himmel verzierten. Die 
Wellen liefen in teils sehr unterschiedliche Richtungen und 
erstreckten sich über den gesamten Himmel. Dabei handelte es sich bei
dieser wellenförmigen Wolkenstruktur um sogenannte 
??Gravitationswellen?. Diese Wellen kann man sich vereinfach so 
vorstellen, wie wenn man einen Stein in einen Teich wirft und dabei 
Wellen erzeugt werden. In der Meteorologie kann der Stein z.B. eine 
Gewitterwolke oder aber die Orografie sein. Dabei steigt die Luft bei
der Passage einer solchen Welle erst auf und dann ab. Dabei 
kondensiert die Luft beim Aufsteigen, es bilde sich Wolken und der 
Beobachter kann diese nun entstandenen Wellenstraßen bewundern. 
Bild 1 wurde im Spessart und somit im Umfeld der zentralen 
Mittelgebirge aufgenommen, sodass als erster Grund für die Auslöse 
der Wellen die Orographie in den Sinn kam (sogenannte ??interne 
Gravitationswellen?). 
Für sogenannte gefangene Leewellen (engl. trapped lee waves) müsste 
die Windgeschwindigkeit über den Bergkuppen rasch zunehmen mit einer 
gleichzeitigen Abnahme der Stabilität (vorübergehende Abnahme der 
Temperatur mit der Höhe). Radiosondendaten aus der Umgebung (hier 
nicht gezeigt) unterstützen diese Theorie jedoch nicht.
Somit könnte es sich in diesem Fall um vertikal wandernde Leewellen 
handeln, die entstehen, wenn die Stabilität mit der Höhe zunimmt (die
Temperatur nimmt mit der Höhe vorübergehend zu). Gleichzeitig kommt 
es zu keiner signifikanten Änderung der Windgeschwindigkeit mit der 
Höhe. Diese Bedingungen waren an diesem Tag in der Tat vorhanden. 

Der kleine Haken daran ist, dass diese Wellen kaum eine Verlagerung 
stromab der Gebirge aufweisen (Hauptfluss der Wellenenergie ist in 
die Vertikale und weniger in die Horizontale gerichtet). In diesem 
Bild kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass durch die orange 
hervorgehobenen Wellen diese Wellendynamik zu erkennen war, da auch 
deren Ausrichtung in etwa parallel zur Orografie verlief.

Schaut man sich nun die Höhe aller Wolken näher an und zieht örtliche
LIDARs zu Rate, dann erkennt man, dass im Verlauf des Nachmittags 
nach regionalem Abbau einer Inversion in rund 2km über Grund eine 
weitere Wolkenschicht in rund 6 bis 7 km Höhe von Westen aufzog (hier
nicht gezeigt). Wieso war das von Interesse? An diesem Samstag schob 
sich von Westen vorderseitig eines Höhenkeils ein Band mit sehr hohen
Windgeschwindigkeiten in großer Höhe (der sogenannte ??jet stream?) 
nach Deutschland und sorgte ab 6 bis 7 km Höhe für eine dramatische 
Windzunahme mit der Höhe. In dem Bereich nahm ein schwacher Westwind 
mit der Höhe rasch auf mehr als 150 km/h aus Nord zu. Der Jet 
schwächte ich im Verlauf des Nachmittags ab und erfasste zunehmend 
auch tiefere Schichten (siehe Bild 2 und Bild 3). 

Dabei sind in diesem Fall die durch Windscherung hervorgerufenen 
Gravitationswellen von Interesse, die häufig im Umfeld eines Jets 
entstehen und im Satellitenbild durch eine wellenförmige Ausbreitung 
im Cirrusniveau zu erkennen sind (sogenannte ??transversale 
Wolkenbänder?, also Bänder, die senkrecht zur vorherrschenden 
Windrichtung stehen). Der dafür notwendige Wendepunkt wurde im Bild 2
durch einen Stern markiert. In der Tat kann man diese Struktur in 
hochaufgelösten Satellitenbildern erkennen (hier nicht gezeigt), 
wenngleich die Abschwächung des Jets mit der Zeit auch diese 
Strukturen allmählich auflöste (im Bild 1 wurden diese Wellen grün 
hervorgehoben). Da diese Bewölkung unseren Standort ab 15 Uhr 
erfasste kann somit eine Überlagerung verschiedener Schwerewellen mit
unterschiedlichen Gründen für deren Entwicklung angenommen werden.
Nach dieser Erkenntnis war erstmal ein Kaffee nötig um die Gedanken 
wieder zu ordnen, doch keine 30 Minuten später sorgte ein weiteres 
Schauspiel für Furore, denn es zog eine sogenannte "hole-punch cloud"
vorüber.


Sie sollte für den Beobachter bereits ein beeindruckendes Schauspiel 
darstellen, doch wurden später im Internet noch viel 
farbenprächtigere Bilder weiterer hole-punch clouds im Westen und 
Südwesten Deutschlands geteilt. Die genaue Entstehung ist noch 
umstritten, nicht fundiert geklärt und kann durch mehrere Faktoren 
hervorgerufen werden. Letztendlich sollte ein Initiator für 
Eiskristallbildung vorhanden sein, sodass diese Kristalle in die mit 
unterkühlten Wassertröpfchen ausgestatten tiefere Wolkenschicht 
fallen. Dank eines geringeren Sättigungsdampfdrucks über Eis als über
den unterkühlten Wassertröpfchen lagern sich immer mehr Tröpfchen am 
Kristall an, der schlussendlich herunterfällt (siehe gelber Pfeil im 
Bild 4). Der Umgebung fehlt nun der Wasserdampf und es kommt zur 
Wolkenauflösung. Initiatoren können z.B. Flugzeuge sein, die es in 
der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens zahlreiche gibt. Zudem
scheint ein möglicher Eiskristalleintrag von höheren Wolkenschichten 
eher unwahrscheinlich, da die Luftmasse zwischen den von Westen 
eintreffenden Cirren und der bereits vorhandenen tieferen 
Wolkenschicht sehr trocken war. Auch umgebende LIDAR Messungen 
deuteten keinen Eintrag von Eiskristallen an. Natürlich konnte man 
diese auch vom Satelliten aus erkennen, wobei exemplarisch zwei 
Beispiele im Bild 5 mit gelben Kreisen hervorgehoben wurden.



Beendet wurde dieser spannende Nachmittag an der frischen Luft durch 
den Ausruf von Nachbarskindern, die von Südwesten ein Einhorn 
heranschweben sahen. Diese tiefe Bewölkung wurde in Folge einer 
schwachen Konvergenzpassage, wo also Winde aus unterschiedlichen 
Richtungen zusammenströmen, an den Spessart gedrückt, gehoben und es 
bildeten sich vor der untergehenden Sonne neben bedrohlich 
aussehenden Wolkentürmen u.a. auch die abendliche Einhorn-Wolke (mit 
viel gutem Willen erkennbar ? naja).



Damit ging ein spannender Nachmittag zu Ende, der wieder einmal 
zeigte: ein Blick in den Himmel kann Freude bereiten sowie Klein und 
Groß zum Wolkenraten animieren. Versuchen Sie es doch auch mal bei 
nächster Gelegenheit und lassen Sie sich von der Vielfalt an 
Strukturen und Formen beeindrucken.



Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 14.11.2022

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst

Diesen Artikel, eventuell im Text erwähnte Bilder und das Archiv der "Themen des Tages"
finden Sie unter www.dwd.de/tagesthema

Weitere interessante Themen zu Wetter und Klima finden
Sie auch im DWD-Wetterlexikon unter: www.dwd.de/lexikon