Thema des Tages


Wissenschaft kompakt
Die akkumulierte Energie tropischer Wirbelstürme


Jedes Jahr entwickeln sich über den tropischen Ozeanen mal mehr, mal 
weniger Tropenstürme. Entsprechende Vorhersagen geben Monate zuvor 
bereits einen Einblick, wie aktiv die zu erwartende Saison werden 
soll. Doch wie kann man die jeweiligen jährlichen Tropensturmsaisons 
vergleichen?  Richtet man sich nach der Anzahl der Stürme oder nach 
deren Intensität?


Wie jeden Sommer richten viele Meteorologen ihre Augen auf die 
tropischen Meere, denn dort brodelt es zu bestimmten Zeiten des 
Jahres, wenn sich die förderlichen Zutaten für die 
Tropensturmentwicklung wie warmes Meerwasser, schwache 
Windgeschwindigkeitsänderung mit der Höhe (Windscherung) und eine 
feuchte Troposphäre überlappen. Diese Zeiträume mit dem Großteil der 
Aktivität sind z.B. der 1. Juni bis zum 30. November im Nordatlantik,
der 15. Mai bis zum 30. September im östlichen Pazifik (ab dem 1. 
Juni im Zentralpazifik) bzw. das ganze Jahr über im westlichen 
Pazifik, um nur einige Beispiele zu nennen.

Früh werden die ersten Vorhersagen im Jahr erstellt, wie aktiv oder 
inaktiv eine Tropensturmsaison im jeweiligen Seegebiet ausfallen 
soll. Doch nach welcher Maßzahl richtet man sich da? Wie genau können
die jeweiligen saisonalen Aktivitäten miteinander verglichen werden? 
Im Folgenden konzentrieren wir uns auf den Nordatlantik, der im 
Hoheitsgebiet des National Hurricane Center liegt, wo alle 
Vorhersagen und Warnungen bezüglich zu erwartender oder aktiver 
Tropenstürme vorbereitet und letztendlich auch ausgegeben werden.

Die eine Möglichkeit ist, die Anzahl der tropischen Systeme von Jahr 
zu Jahr miteinander zu vergleichen und darauf basierend die 
Vorhersagen zu erstellen. Dazu wird ein laufendes 30- jähriges Mittel
der jeweiligen tropischen Aktivität verwendet, momentan der Zeitraum 
von 1991 bis 2020. Während dieser Zeit traten im Mittel 14,4 benannte
Tropenstürme auf (also Tiefdruckgebiete, die durch Konvektion 
angetrieben beständige Windgeschwindigkeiten in 10 m Höhe von mehr 
als 63 km/h aufweisen), 7,2 Hurrikane (Windgeschwindigkeiten von mehr
als 119 km/h) sowie 3,2 sogenannte "major" Hurrikane. Von einem 
solchen spricht man bei Windgeschwindigkeiten von mehr als 179 km/h 
im 10-minütigen Mittel. An Hand dieser Werte wird nun eine saisonale 
Vorhersage abgeglichen und eingestuft.

Im Mai ließ die erste Vorhersage der NOAA verlauten, dass diese 
Hurrikansaison mit einer Wahrscheinlichkeit von 70% zu aktiv 
ausfallen würde, wobei dieser Wert im August während eines Updates 
auf 60% verringert wurde. In Werten ausgedrückt erwartete man im Mai,
dass sich in der aktuellen Saison 14 bis 20 benannte Stürme, 6 bis 10
Hurrikane und 3 bis 5 "major" Hurrikane entwickeln würden.
Doch es gibt auch eine andere Möglichkeit, ein Maß für die saisonale 
Aktivität zu erstellen, und zwar mit dem sogenannten "akkumulierten 
zyklonalen Energieindex", auf Englisch "accumulated cyclone energy 
index, ACE". 

Beim ACE handelt es sich um einen sogenannten Windenergieindex, der 
definiert wird als die Summe des maximal auftretenden 
Oberflächenwindes im Quadrat. Dieser Wert wird alle 6 Stunden für 
alle benannten Stürme ermittelt, während sie mindestens die Stärke 
eines Tropensturms innehaben (geteilt durch 10 000, um den Index 
besser lesen zu können und mit der Einheit Knoten hoch zwei, wobei 
die Einheit in der Folge weggelassen wird). Damit wird also sowohl 
die Intensität als auch die Dauer des Sturmes berücksichtigt. Ein 
langlebiger intensiver Hurrikan kann den Wert daher innerhalb weniger
Tage deutlich in die Höhe treiben, während mehrere schwache und 
kurzlebige Systeme ins Gewicht fallen. Mit dieser Berechnung erhält 
man für die Saison von 1991 bis 2020 einen Mittelwert von 122. 
Allerdings fielen in diesen Zeitraum sehr viele aktive Saisons, 
sodass des besseren Vergleichs wegen der Zeitraum von 1951 bis 2002 
mit 96,7 bevorzugt wird. Richtet man sich nach diesem Wert, dann 
spricht man von einer extrem aktiven Saison, wenn der ACE den Wert 
von 160 überschreitet. Bei einem Wert von mehr als 126 spricht man 
von einer aktiven (über dem Durchschnitt liegend), bei 73 von einer 
unterdurchschnittlichen und zwischen 73 und 126 von einer nahezu 
normalen Saison.

Und wo stehen wir denn momentan im Nordatlantik? Der Eindruck war 
bisher, dass wir mit dem Tropensturm ALEX, BONNIE, COLIN sowie den 
Hurrikanen DANIELLE und EARL einen eher gemäßigten Saisonbeginn 
hatten. In der Tat lag der ACE bis zur Entstehung von DANIELLE am 1. 
September mit 3.5 bei rund 10% des klimatologischen ACE-Wertes. Der 
Grund dafür war einerseits die leicht unterdurchschnittliche Anzahl 
von Tropenstürmen bis zum 1. September und dass die auftretenden 
Stürme recht kurzlebige und schwache Systeme waren. Mit den beiden 
"Fischstürmen" DANIELLE und EARL, also Tropenstürmen, die nur über 
dem offenen Ozean tobten, nahm der ACE rasch auf knapp 30 zu, was 
rund 53% des normalen klimatologischen Mittels entspricht (beide 
waren Hurrikane). 

Man kann sich aber auch den ACE der jeweiligen Stürme ausrechnen. 
Hurrikan DANIELLE wurde z.B: für 7,25 Tage als benanntes System 
geführt, 5 Tage davon als Hurrikan und dabei erzeugte er einen ACE 
von 12,5. Hurrikan EARL kam auf 7,75 Tage, nur 3,75 Tage als 
Hurrikan, wies jedoch höhere Spitzengeschwindigkeiten auf und 
erzielte dabei einen ACE von 14,2. ALEX, BONNIE und COLIN kamen 
zusammen hingegen bis dahin nur auf einen akkumulierten Wert von 2,9!


Mit FIONA, dem aktuell aktiven Hurrikan, erhielt der ACE während der 
letzten Tage einen deutlichen Schub nach oben, da FIONA ein 
langlebiger und sehr kräftiger Hurrikan ist (in Spitzenzeiten wurde 
die zweithöchste Intensitätsstufe von Fünf erreicht). Damit die 
saisonalen Vorhersagen auch erfüllt werden, muss der Wert von 126 
erreicht und überschritten werden ? mal schauen, was der Rest der 
Saison noch mit sich bringt. Stand vorgestern liegen wir bei 67% des 
klimatologischen ACE-Wertes.

Im bisher sehr aktiven Nordpazifik liegt der ACE bis heute bei einem 
prozentualen Wert von 93%, im Nordwestpazifik bei rund 66% und über 
die gesamte Nordhemisphäre gemittelt (zusammen mit dem nordindischen 
Ozean) bei rund 74%.

Wie stark ein Sturm den ACE beeinflussen kann, zeigte vom 28. August 
bis 9. Juni 2022 der Supertaifun HINNAMNOR im Nordwestpazifik, der 
die höchste Stufe auf der fünfteiligen Intensitätsskala erreichte und
den prozentualen ACE-Wert im Nordwestpazifik von 29% auf 53% anhob 
(eine Differenz von 24%).

Übrigens, den Weltrekord des höchsten ACE-Wertes für einen Sturm hält
der Hurrikan/Taifun IOKE aus dem Jahr 2006 mit einem Wert von 82 und 
der höchste akkumulierte ACE-Wert stammt aus der nordpazifischen 
Taifunsaison des Jahres 1997 mit einem unglaublichen Wert von 571.



Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 23.09.2022

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