Thema des Tages

Ist das schon der Klimawandel? (Attributionsforschung - Teil 2)

Jeder Meteorologe und Klimaforscher kennt diese Frage zu Genüge. Im 
heutigen Thema des Tages zeigen wir, wie man mithilfe der sogenannten
"Attributionsforschung" analysieren kann, ob und inwieweit sich 
Wetterextreme aufgrund der Erderwärmung verändern.

Am heutigen Donnerstag werden zum wiederholten Male in diesem Sommer 
Höchstwerte nahe 40 Grad erreicht. "Ist das schon der Klimawandel?" 
oder "Ist das eine Folge der Erderwärmung?" Sicherlich wurden mit 
diesen oder ähnlichen Fragen in den vergangenen Tagen wieder viele 
Meteorologen und Klimaforscher konfrontiert, wie immer bei extremen 
Wetterlagen. Sei es von Freunden und Bekannten, die selbst von einem 
Extremwetter heimgesucht wurden oder wenn in den Nachrichten mal 
wieder von Unwettern oder Ernteausfällen durch Dürreperioden 
berichtet wird. Spätestens bei der verheerenden Flutkatastrophe im 
Juli 2021 ergriffen Klimaaktivisten und selbst Politiker 
unterschiedlicher Parteien die Chance, im Wahlkampf diese Tragödie 
als eindrucksvolles Beispiel zu verwenden, um eine nachhaltigere und 
engagiertere Klimapolitik zu fordern. Aber ist das wirklich so, dass 
diese Naturkatastrophe ein klares Zeichen für den bereits 
stattgefundenen Klimawandel war? Im Thema des Tages vom 27. Juni 
(siehe Link am Ende des Textes) haben wir bereits erklärt, dass man 
es sich so einfach nicht machen darf.

Manch einem mag es vielleicht so erscheinen, als gäbe es heutzutage 
im Sommer nur noch Extreme. Mal sind es verheerende Überschwemmungen 
wie im letzten Jahr, mal unerträgliche Hitzewellen oder 
langanhaltende Dürreperioden wie in diesem Jahr. Doch haben sich 
tatsächlich bereits heute Wetter und Klima hin zu häufigeren und 
zunehmend schlimmeren Extremereignissen verändert? Werden sich diese 
mit fortschreitender Erderwärmung weiter verschlimmern? Diesen 
Fragestellungen gehen die Klimawissenschaften mit sogenannten 
"Attributionsstudien" nach. Dabei handelt es sich um ein noch sehr 
junges Forschungsfeld, welches wir im heutigen Thema des Tages 
vorstellen wollen.  

Der Begriff "Attribution" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so 
viel wie "Zuordnung (von Zusammenhängen)". In der Klimaforschung wird
konkret untersucht, ob der fortschreitende Anstieg der globalen 
Lufttemperatur bereits heutzutage zu einer geänderten Häufigkeit von 
Extremereignissen geführt hat. Bei den Studien wird von einem 
Ursache-Wirkungs-Prinzip ausgegangen. Dazu blickt man mit 
Klimamodellen mehrere Tausend Jahre in die Vergangenheit zurück. In 
diesen Simulationen werden die klimatischen Bedingungen bis in 
vergangene Zeiten, für die es keine (präzisen und flächendeckenden) 
Messungen gibt, künstlich erzeugt. Da Wetter- und Klimaextreme per 
Definition selten auftreten, benötigt man für belastbare statistische
Aussagen einen so langen Zeitraum.

Für den notwendigen Vergleich zwischen dem Klima der Vergangenheit, 
den heutigen klimatischen Verhältnissen und denen der Zukunft wird 
ein weiterer wissenschaftlicher Kunstgriff vollzogen. Sämtliche 
Simulationen des vergangenen Klimas werden zunächst nur mit 
natürlichen Klimaantrieben durchgeführt (z.B. Vulkanausbrüche, 
Änderung der solaren Einstrahlung, ...). So erhält man die 
klimatischen Verhältnisse, die sich ohne den Einfluss des Menschen 
entwickelt hätten. Anschließend berücksichtigt man in den 
Klimasimulationen zusätzlich anthropogene (d.h. vom Menschen 
verursachte) Einflüsse wie den Ausstoß von Treibhausgasen (z.B. CO2, 
Methan), um ein realitätsnahes Klima zu berechnen.

Um die Bandbreite der natürlichen Variabilität von Extremereignissen 
abschätzen zu können, werden diese Simulationen mehrfach 
durchgeführt. So erhält man einen ausreichend großen Datensatz für 
statistische Analysen. Durch den direkten Vergleich der Klimata mit 
und ohne anthropogenem Einfluss lassen sich etwaige Unterschiede 
bezüglich der Häufigkeit von Wetter- oder Witterungsextremen dem 
menschlichen Handeln "zuordnen". Damit wären wir zurück bei der 
namensgebenden "Attribution" und dem Prinzip "Ursache-Wirkung". Die 
Auswertung erfolgt in der Regel in Form einer Auszählung aller dem 
aktuellen Wetterphänomen (z.B. eine Hitzewelle) sehr ähnlichen 
Ereignisse. Mit dieser Methode kann man also geänderte 
Eintrittswahrscheinlichkeiten eines betrachteten Extremereignisses im
Vergleich zur vorindustriellen Zeit bestimmen und diese dem 
Klimawandel zuordnen. Für eine Einschätzung der zukünftig zu 
erwartenden Verhältnisse können Simulationen unter Hinzunahme der 
anthropogenen Treibhausgasemissionen aus unterschiedlichen 
Klimaszenarien durchgeführt und im Hinblick auf Extremereignisse 
ausgewertet werden.

Bei Attributionsstudien muss allerdings beachtet werden, ob die 
eingesetzten Klimamodelle überhaupt in der Lage sind, die 
untersuchten Extremereignisse realitätsgetreu abzubilden. Analysen 
von kleinräumigen Phänomenen wie Gewitter mit Starkregen sind erst 
seit der Entwicklung der neuesten Generation der sogenannten 
konvektionserlaubenden regionalen Klimamodelle möglich. Diese 
Modellrechnungen sind allerdings rechentechnisch äußerst aufwändig 
und erfordern daher sehr leistungsstarke Großrechner.

Zusammengefasst geben uns die Erkenntnisse aus der 
Attributionsforschung also Aufschluss über den tatsächlichen Einfluss
des Klimawandels auf Extremereignisse. Mit ihnen kann selbst für 
individuelle Extremwetterlagen (z.B. die Flutkatastrophe 2021, mehr 
dazu im nächsten Teil) analysiert werden, ob und in welchem Maße der 
Klimawandel deren Intensität beeinflusst hat und ob die 
Eintrittswahrscheinlichkeit für solche Ereignisse bereits zugenommen 
hat.

Weltweit besteht für diese Thematik bei Politik und Gesellschaft ein 
sehr hohes Interesse, weil die Attributionsforschung auch dafür 
verwendet werden kann, um Aussagen für die Zukunft abzuleiten. So 
helfen sie politischen Entscheidungsträgern bei der Konzipierung von 
Klimaanpassungsstrategien und ermöglichen es uns, die Veränderung von
Extremereignissen bei unterschiedlichen Klimaprojektionen 
abzuschätzen (z.B. bei Einhaltung des 1,5- oder 2-Grad-Ziels oder 
beim Verfehlen dieser Ziele).   

Im dritten und letzten Teil dieser Themenreihe stellen wir demnächst 
die wesentlichen Ergebnisse von Attributionsstudien zu 
Extremwetterlagen der jüngeren Vergangenheit vor.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale 
Offenbach, den 04.08.2022

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